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Drei Semester vergeblich studiert

Der Modellstudiengang HannibaL an der MHH gilt als besonders praxisnah und wegweisend in der Ausbildung von Medizinern. Doch die Praxisnähe hat auch einen Haken - es kann nur eine beschränkte Anzahl Studierender angenommen werden. Studenten, die sich eingeklagt haben und mittlerweile im dritten Semester sind, müssen die Hochschule wieder verlassen.

Von Susanne Schrammar | 16.04.2010
    "Die allerersten Schritte waren, dass ich heute Morgen mit meiner Arbeitgeberin telefoniert hatte, weil ich eigentlich morgen Nacht hätte arbeiten müssen, und ich ihr sagen musste, dass ich keinen Studentenstatus mehr habe und daraufhin auch gar nicht mehr arbeiten darf. Das war das Allererste und das Nächste war jetzt, dass ich heute ein kleines Meeting mit meiner WG hatte, um zu klären, dass ich ab sofort nach einem Nachmieter schaue - kam gerade für sie natürlich aus heiterem Himmel."

    Franziska Göhrlich sitzt auf dem WG-Sofa unter der Dachschräge und ist ratlos. Seit wenigen Tagen ist es offiziell. Die 23-Jährige ist ab sofort nicht mehr an der Medizinischen Hochschule Hannover eingeschrieben. Wie 35 ihrer Kommilitonen hatte sich Franziska Göhrlich zum Wintersemester 2008/2009 vor dem Verwaltungsgericht Hannover eine vorläufige Studienzulassung erstritten, nachdem ihre Abiturnote von 1,9 nicht ausgereicht hatte, um für den Modellstudiengang HannibaL angenommen zu werden.

    "Ganz allgemein finde ich, ist das Klagen keine faire Sache. Aber das Problem ist im Moment halt einfach, dass die Zulassungsmöglichkeiten, überhaupt Medizin in Deutschland zu studieren, so schwierig sind, dass man mit 2,0 oder mit einem Abi-Schnitt von 1,9 sechs Jahre warten muss, teilweise."

    Das sieht die Medizinische Hochschule Hannover anders und hat deshalb sofort Widerspruch gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes eingelegt. Das Argument: Der stark praxisorientierte Modellstudiengang habe nur eine Kapazität für 270 Studienplätze, mehr lasse das Patientenaufkommen an der MHH nicht zu, so Studiendekan Ingo Just. Der Grund: Viele Patienten blieben im Schnitt nur noch sieben Tage in der hannoverschen Uniklinik.

    "Sieben Tage bedeutet: Der Alltag des Patienten ist durchorganisiert durch Diagnostik und Therapie und da ist kaum noch Zeit für den Studenten. Dazu kommt, dass die Universitätskliniken ja verstärkt schwere Erkrankungen bekommen. Diese Patienten sind teilweise nicht geeignet, um quasi Studentenunterricht an denen zu machen. Es sind nicht genügend für den Unterricht geeignete Patienten da."

    Doch erst jetzt, nach anderthalb Jahren, hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg der MHH recht gegeben und die nachträglichen Zulassungen für ungültig erklärt. Bei 36 Studierenden ist die Immatrikulation erloschen. Dass das passieren würde, damit mussten wir rechnen, sagt Franziska Göhrlich. Und ihre Studienkollegin Kathrin Overbeck, die ebenfalls betroffen ist, nickt.

    Was die beiden jedoch ärgert: So wie es aussieht, haben sie die drei Semester, die seit der Zulassung vergangen sind, umsonst studiert. Wichtige Prüfungen wie die in Anatomie, die im Sommer anstehen und auf die sie anderthalb Jahre lang hingearbeitet haben, können sie jetzt nicht mehr ablegen. Die Hochschule lässt uns im Regen stehen, klagen die beiden Ex-Medizinstudentinnen.

    "Wir stehen jetzt mit nichts da eigentlich und haben jetzt halt ganz schlechte Chancen, uns für ein höheres Semester zum Beispiel zu bewerben."

    "Weil wir halt noch nicht mal wirklich unsere Kurse abschließen können, die alle noch im Sommersemester weiterlaufen würden. Also wir haben nur einen einzigen Schein machen können in der ganzen Zeit."

    Ohne Studienzulassung dürfen wir die Betroffenen die Prüfungen nicht machen lassen, sagt Studiendekan Just auf die Frage, ob die MHH für die Betroffenen nicht ein Auge zudrücken könnten.

    "Hätten wir jetzt ein Auge zugedrückt, hätten wir doch aller Welt und auch dem Gericht gesagt, unsere Argumentation stimmt nicht, wir haben die Kapazität. Und de facto haben wir sie nicht."

    Der AStA der Medizinischen Hochschule Hannover ist da anderer Meinung. Zwar war die Studierendenvertretung noch nie glücklich darüber, dass sich einzelne juristisch Zugang zum Medizinstudium verschafft haben und einige Kurse, räumt der stellvertretende AStA-Vorsitzende Michael Grimme ein, seien auch an der Kapazitätsgrenze. Doch mit einem bisschen guten Willen und Kreativität ließe sich der Modellstudiengang auch ausbauen.

    "Wir sehen die Situation so, dass das möglich wär, eine überschaubare Zahl mehr Studenten zulassen, die dann aber auf dem regulären Wege den Zugang in die Uni finden, also über Auswahlgespräche, Wartezeit oder die Abiturnote. Wir denken schon, dass es einen gesellschaftlichen Bedarf gibt und dass sich das Land vielleicht gemeinsam mit der Hochschule Gedanken machen sollte, wo Möglichkeiten bestehen, die Kapazitäten auszuweiten."

    Vor 2011 wird das jedoch nichts werden, erst dann wird die MHH eine neue Kapazitätsanalyse durchführen. Studienbeginner, die sich im vergangenen Wintersemester eingeklagt haben, steht übrigens das gleiche Schicksal bevor wie Franziska Göhrlich. Die muss sich Gedanken über die Zukunft machen.

    "Und nun heißt es irgendwie, einen Nachmieter zu finden und zu schauen, wie es weitergeht."