Blutbeschmiert, eine Schreckensmaske voller Narben überm Gesicht, sitzt Gaius Marcius Coriolan auf dem Stuhl, den seine Mutter ihm zugewiesen hat. Gleich drei Darsteller spielen dieses Mutteruntier, das geradezu entzückt scheint von den klaffenden Wunden, die der stramme Soldat erkämpft hat – denn in diesem Rom 493 vor Christus sind die Verletzungen, die man vom Schlachtfeld nach Hause trägt, die Währung, in der man den Aufstieg bezahlt.
Mutter: "Mir war keine Gefahr zu groß, wenn es darum ging, dass er Ruhm erringt und sich einen Namen macht. In einen grausamen Krieg habe ich ihn geschickt, da war er dreizehn –"
Coriolan: "Zwölfeinhalb."
Mutter II: "Ein Gemetzel! Und als er mit einem Siegerkranz um die Stirn zurückkam, ich sage dir, da war ich glücklicher als bei seiner Geburt!"
Mutter I: "Glücklicher als darüber, dass es ein Sohn war, denn jetzt war er ein Mann!"
Virgilia: "Und wenn er gefallen wäre?"
Mutter I: "Stell doch nicht so dumme Fragen!"
Vom brutalen Krieger zum klugen Politiker
Dann wäre sie selbstverständlich stolz gewesen. Eine Kampfmaschine hat die eiserne Lady aus ihrem Sohn gemacht. Doch die Zeiten ändern sich. Revolten werden nicht mehr blutig niedergeschlagen, dafür Volksvertreter gewählt. Coriolan muss vom brutalen Krieger zum klugen Politiker werden. Das misslingt, denn er hasst das Volk:
Coriolan: "Dreckspack! Ich spuck auf das Volk! Ich spuck auf eure Meinung! Heute verflucht ihr den, dem ihr morgen aus der Hand fresst."
Weil er sich gegen Rom wendet, wird er getötet. Nach ihm entsteht die Republik, die 400 Jahre später wiederum der allzu mächtige Julius Caesar bedroht. Brutus begeht an ihm den Tyrannenmord, doch das befeuert nur die Unruhe im Staat. Brutus muss ebenfalls sterben. Octavius folgt Caesar nach, schafft die Republik ab und wird zu Kaiser Augustus. Ein erfolgreicher Despot, dessen Werdegang die Frage stellt: Kann eine Monarchie im Zweifelsfall nicht doch stabiler sein als eine Demokratie?
Deformierte Staatsformen
Die drei politischen Shakespeare-Stücke, die den Anfang und den Niedergang der Römischen Republik markieren, hat John von Düffel geschickt montiert und auf ihre Schlüsselszenen reduziert. Natürlich geht dabei einiges verloren, und doch gelingt es dem Abend, so konzentriert von den Turbulenzen und Deformationen der Staatsformen zu erzählen, dass er zugleich auch die globalen Demokratiebestrebungen von heute hinterfragt. Brutus etwa sieht sich als Befreier des Volks, weil er den Tyrannen Caesar ermordet:
Brutus: "Ich frage Euch: Wollt Ihr, dass Cäsar lebt und Ihr als Sklaven sterbt – oder dass er tot ist und Ihr lebt wie freie Menschen?"
Warum glorifizieren die Bürger Caesar nach dessen Tod? Kann man die Regierungsentscheidung in die Hände eines so wankelmütigen Volks legen?
Karin Henkel inszeniert das laut und kräftig, zuweilen satirisch zugespitzt, immer plausibel. Sie wechselt zwischen kammerspielartigen Szenen auf der Vorderbühne und solchen, die sich auf der großen, düsteren Drehbühne entfalten. Im zweiten Teil eröffnet sich eine kopfüber im Dunkeln leuchtende Skyline – die Weltstadt Rom. Im dritten Teil geben Benjamin Lillie und Camill Jammal den Octavius als blutleeres, bleiches Horror-Zwillingspaar. Ein groteskes Bild der deformierten Macht.
Skurrile Kriegsmonster und halbseidene Rocker
So analytisch diese dreieinhalb Stunden Theater sich geben, so fesselnd und spielstark sind sie auch. Michael Goldberg gibt Coriolan als skurriles Kriegsmonster, Manuel Harders Antonius mutiert vom ehrbaren Caesar-Anhänger zum halbseidenen Rocker. Und auch die Machtpolitik der Frauen wird beleuchtet. Kate Strong navigiert mit bitterbösem Humor als denglisch sprechende Shakespeare-Hexe durch den Abend. Und Anita Vulesicas Cleopatra strotzt vor eiskalter Berechnung.
Shakespeare, Düffel und Henkel stellen der Vox Populi kein gutes Zeugnis aus. Zu schwankend ist das Volk in seinen Meinungen, zu leicht verführbar, als dass man dem demokratischen Pathos blind vertrauen könnte. Man kann das auch auf heutige politische Umbrüche beziehen, auf den arabischen Frühling etwa. Der Abend macht nachdenklich.