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Dreidimensionale Abbilder seltener Krankheiten

Medizin. - In unserer Reihe "Schatzkammern der Wissenschaft" möchten wir Ihnen besondere Sammlungen an Exponaten vorstellen, die im alltäglichen Museumsbetrieb oft eher wenig beachtet werden, die aber bei näherer Betrachtung besonders spannend sind.

Von Michael Stang | 26.02.2009
    Das Freiburger Wahrzeichen - das mit Wasser der Dreisam gespeiste "Bächle" - fließt auch an der Universitäts-Hautklinik entlang. Dort befindet sich die größte Moulagensammlung einer Klinik in Deutschland, Hunderte Abformungen von Hautkrankheiten, konserviert in Wachs.

    "Da wäre jetzt ein Beispiel für eine Krankheit, die heute eben nicht mehr existiert, der Arm mit den Pocken. Man sieht die entzündeten Stellen, an denen Bläschen waren, hier sind die Bläschen bereits alle aufgeplatzt, man sieht die kleinen Krater in der Mitte."

    In einem Seminarraum im Erdgeschoss befinden sich die Moulagen, die vor allem in der Lehre eingesetzt werden. Studenten können die plastisch nachgebildeten krankhaften Befunde am naturgetreuen Abbild lernen, sagt Dermatologe Martin Faber.

    "Es ist dreidimensional und es steht jederzeit zur Verfügung und es zeigt die Hautkrankheit ganz exakt in einem bestimmten Augenblick; also es ist auch ein individueller Abdruck."

    Ihren Beginn nahmen die Moulagen in Paris. Als 1889 Jules Baretta auf dem 1. Dermatologischen Weltkongress seine Wachsmodelle ausstellte, beeindruckten diese die Mediziner derart, dass alsbald überall in Europa Sammlungen aufgebaut wurden, so auch in Freiburg. Die ersten Moulagen im Breisgau stammen von 1903. Sie zeigen einerseits eine bestimmte Krankheit an sich, zum andern aber auch die ganz persönliche Form, wie sich dieses Leiden bei einem Patienten zeigt. Martin Faber kniet vor einer Vitrine. Er hat die lichtdichten Jalousien hochgezogen, die die Moulagen schützen. Er holt zwei handliche, auf Holz aufgezogene Exemplare, hervor.

    "Hier wäre es eine Krätze und das wäre ein Herpes simplex, eine Erkrankung vergleichbar den Fieberbläschen an den Lippen, nur eben im Genitalbereich."

    Den Großteil der über 800 Exemplare der Sammlung zeigen ansteckende Krankheiten, allen voran Tuberkulose und Syphilis. Hinzu kommen Pilzinfektionen, Tumoren und einige allergische Reaktionen. Bei der Herstellung der Wachsabbilder waren die Moulageure nicht zimperlich, der Patientenschutz spielte keine Rolle. Faber:

    "Es ist eigentlich recht brutal. Die Patienten wurden zunächst eingeölt, dann wurden sie eingegipst. Unter dem Gips wurde die kranke Haut sogar auch noch heiß, beim Abbinden des Gipses entsteht Wärme. Dann wurde diese Gipsform abgenommen und in diese Negativform von Gips wurden flüssige Wachsschichten rein gegossen, aus denen dann die Positivform wieder entsteht."

    Danach wurden die Wachsmodelle noch bemalt, bei denen die Patienten wieder Modell standen. So sollte ein möglichst realitätsgetreuer Eindruck der Krankheit gewonnen werden. Faber:

    "Die eigentliche Kunst der Moulagenherstellung ist auch durchscheinende Farben wie hier diese zarten Rötungen in tiefere Schichten des Wachses einzuarbeiten, darüber wieder mattere Schichten zu legen, so dass sie hier den Eindruck von Transparenz erzielen."

    Die Restaurierung der zum Teil über 100 Jahre alten Moulagen gestaltet sich jedoch schwierig. Die Mischungen aus Paraffin und Wachs waren streng gehütete Werkstattgeheimnisse. Dadurch ist heute kaum bekannt, aus welchen Materialien und Mischungsverhältnissen die Moulagen bestehen. Eine langfristige Erhaltung liege aber im Interesse aller, sagt Thilo Jakob, der sich dazugesellt hat.

    "Die Studenten lernen zu sehen, was vor dem Auge sich darbietet und sie haben nicht das Gefühl, dass sie irgendeinen Patienten damit belästigen, weil er jetzt am Bauch irgendwelche Hautveränderungen zeigen muss. Die Moulage ist stumm, geduldig und hat die besten und schönsten Hautveränderungen, die der Student sich wünschen kann."

    Der Oberarzt und Professor für Allergologie und Immundermatologie hält ebenso wie Martin Faber die Ausbildung der Studierenden mit Hilfe der Moulagen für unerlässlich. Eine Einschränkung gibt es jedoch. Jakob:

    "Das einzige, was die Moulage nicht macht, die redet nicht. Die sagt nicht ,es juckt‘ oder ,es brennt‘ und das ist das, was der Dozent dann ergänzen muss."

    Das sei allerdings kein Problem, sagt Martin Faber zum Abschluss. In erster Linie gehe es darum, Krankheiten in ihren verschiedenen Stadien richtig zu erkennen, da sich viele Leiden ähnlich sehen. Der Unterschied zwischen einer Pustel, einem Bläschen und einem Fleck ist oft erst im dreidimensionalen Abbild zu erkennen – in dieser Hinsicht sei es nicht unmodern, dass Studenten auch mit Hilfe 100 Jahre alter Wachsmoulagen ausgebildet werden. Faber:

    "Unter diesen Gesichtspunkten sind solche Moulagen unschätzbar, denn die Kenntnis gerade solcher Krankheiten im Genitalbereich ist für jeden praktisch tätigen Arzt unverzichtbar und, wenn man ihn ausschließlich mit PowerPoint-Präsentationen oder Fotos unterrichtet hat, hat er doch wesentlich mehr Schwierigkeiten als wenn er einen realistischen Eindruck im Unterricht bekommt."
    Fortgeschrittes Stadium einer Syphiliserkrankung.
    Fortgeschrittes Stadium einer Syphiliserkrankung. (Michael Stang)
    Wachsabbild einer Lichtschrumpfhaut oder Mondscheinkrankheit.
    Wachsabbild einer Lichtschrumpfhaut oder Mondscheinkrankheit. (Michael Stang)