Donnerstag, 28. März 2024

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Dreiländer-Kampagne "Unsere Alpen"
"Erwärmung im Alpenraum doppelt so stark wie global"

Tobias Hipp, Naturschutz-Experte beim Deutschen Alpenverein, warnt vor der vielfältigen Bedrohung des Lebens- und Naturraums Alpen. Als wichtigste Folgen nannte er im Dlf Gletscherschmelze, Rückgang der Schneedecke um bis zu 40 Prozent, Zunahme von Extermwetterereignissen und Einschränkung der Freizeitmöglichkeiten.

Tobias Hipp im Gespräch mit Britta Fecke | 04.12.2018
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    Schneekanone auf dem Rettenbachgletscher in Sölden, Ötztal, Tirol (picture-alliance / Frank Hörmann / Sven Simon)
    Britta Fecke: Bei Sturm, auf offener See und bei Gewitter im Gebirge wird der Mensch kurz bescheiden, weil er den Elementen schutzlos ausgeliefert ist. Wenn die Elemente nicht toben, wäre es schön, wenn der Mensch die Meere und die Berge schützen würde. Doch meist nutzt er die Berge, die Alpen als Vergnügungspark. Skifahren pünktlich zur Ferienzeit, und wenn kein Schnee liegt, muss die Schneekanone her. Die Alpen sind nicht mehr Rückzugsraum oder Ort der Stille, sondern Party-Zone mit angeschlossenem Sportgebiet.
    Heute beginnt die gemeinsame Kampagne "Unsere Alpen" der Alpenvereine Südtirol, Deutschland und Österreich. Sie wollen gemeinsam auf die Bedrohung des Natur- und Kulturraumes der Alpen aufmerksam machen. Ich bin nun verbunden mit Tobias Hipp. Er ist Naturschutz-Experte beim Deutschen Alpenverein. Herr Hipp, wir haben vor wenigen Minuten noch von der Klimakonferenz aus Kattowitz berichtet. Inwieweit sind denn die Alpen von den Folgen des Klimawandels betroffen, über das offensichtliche Abschmelzen der Gletscher hinaus?
    Tobias Hipp: Die Alpen sind tatsächlich einer der am stärksten betroffenen Räume in Europa. Wir haben seit dem Beginn der Messgeschichte 1850 herum in den Alpen zwei Grad Erwärmung. Global sind wir bei 0,9 zirka. Das heißt, wir haben hier doppelt so stark die Erwärmung im Alpenraum wie global.
    "Nutzungskonflikte um das Wasser"
    Fecke: Das bedeutet Abschmelzen der Gletscher. Und was noch?
    Hipp: Klar, die Gletscher sind das logischste offensichtlichste Zeichen. Wir haben aber auch mit der Schneedecke zu tun. Wir haben schon Rückgänge von der Schneedecke im Alpenraum in Zukunft, bis Mitte des Jahrhunderts um 30, 40 Prozent oder noch mehr weniger Schneemächtigkeit. Das heißt, die Schneesicherheit nimmt ab in Zukunft und damit auch die Länge etwa der Skisaison in den Alpen.
    Fecke: Nun wird ja versucht, diese Saison immer künstlich zu verlängern mit Schneekanonen. Dafür braucht es aber auch Wasser. Ich stelle mir nun vor, wenn die Schneedicke abnimmt, dass das Wasser-Reservoir der Alpen auch kleiner wird, oder?
    Hipp: Wir verlieren durch die Gletscher den Speicher. Wir verlieren durch die Schneedecke einen Speicher an Wasser, ganz klar. Zusätzlich häufen sich in den Alpen auch Hitzewellen und Extremsommer, Extremereignisse, Niederschlagsereignisse. Das heißt, wir bekommen hier in den Alpen definitiv Sachen, die wir heute noch nicht kennen. Nutzungskonflikte um das Wasser, weil Landwirtschaft braucht Wasser und trockene Sommer verschärfen die Problematik. Zusätzlich bekommen die Alpen auch eine Verschärfung, was zum Beispiel die Freizeitnutzung angeht, etwa Bergsteigen. Es gibt höhere Steinschlag-Ereignisse und auch so etwas wie Murgänge, Extremereignisse, Lawinenabgänge verschärfen hier die Nutzung im Alpenraum zusätzlich noch.
    Fecke: Jetzt werden die Alpen ja auch noch genutzt, oder ihre Kraft, was Energieerzeugung anbelangt. Wenn man auch in einsamen Tälern Wandern geht, war es erst sehr laut, weil man neben einem Gebirgsbach spaziert oder wandert, und plötzlich wird es ganz still, weil nämlich dieser Gebirgsbach mitten im Fluss abgegraben wird. Er fällt dann durch ein Gitter und dann wird er für irgendwelche Wasserkraftwerke genutzt. Was bedeutet das denn zum einen jetzt schon für die Alpen, aber auch, wenn demnächst weniger Wasser zur Verfügung steht für die Wirtschaftskraft der Alpen?
    Hipp: Die Wasserkraft ist tatsächlich ein wichtiger Faktor in den Alpen, weil wir die Höhe nutzen können, um Energie zu erzeugen. Wir sehen das natürlich auch kritisch, dass wir jetzt große Wasserkraftwerke in den Tälern heutzutage noch weiter ausbauen. Da ist definitiv auch der Raum begrenzt. Ich nehme jetzt gerade den Raum Stubai oder Küthai in Tirol. Dort existieren tatsächlich nur noch wenige Gebirgsbäche, die natürlich abfließen, die nicht abgeleitet werden. Dort droht, ein großes Speicherkraftwerk zu kommen, und dann würden in dem Raum tatsächlich keine Bäche mehr natürlich fließen. Für uns sind hier wirklich auch sehr sensible Ökosysteme gefährdet, sehr sensible Lebensräume, die wir in Zukunft brauchen, wo wir schon sehen, dass unsere nächste Generation auch die Chance haben soll, einen natürlich fließenden Gebirgsbach zu erleben.
    Hipp: Skiverbindung Sankt Anton/Kappl gerichtlich gestoppt
    Fecke: Was hängt denn da dran an ökologischen Lebensräumen? Schildern Sie mir das doch mal.
    Hipp: Wir haben natürlich im Hochgebirge wirklich Bäche, die frei fließen können, die noch keine Verbauung haben, keine Wehre, keine Querverbauungen. Und diese Lebensräume sind nicht ersetzbar. Die gibt es wirklich nur im Hochgebirge. Die können wir nicht irgendwo anders wiederherstellen. Das sind sensible Fischarten, sensible Tierarten, die dort ihr Zuhause haben und eben nur dort. Das heißt, dieser Verlust ist wirklich ein nachhaltiger Verlust.
    Fecke: gibt es auch Lichtblicke in Ihrem Kampf um den Lebensraum Alpen?
    Hipp: Ja, absolut! Wir wollen durch diese Kampagne wirklich zeigen, wie schön unser Alpenraum ist, wie lebenswert er ist, wie gerne wir dort wohnen, wirtschaften, leben und auch auf Skitour gehen zum Beispiel. Das heißt, wir setzen uns dafür ein, dass genau diese Räume in Zukunft für unser Wirtschaften und Leben erhalten bleiben. Momentan zeigen sich da schon Lichtblicke, dass zum Beispiel jetzt aktuell eine Skigebietsverbindung von Sankt Anton nach Kappl in der zweiten Instanz in Wien vor dem Verwaltungsgericht abgelehnt wurde. Die war wirklich die Begründung, die Interessen von Naturschutz sind hier höher zu werten als die touristischen Werte durch diese Verbindung. Das heißt, wir sehen hier schon eine Entwicklung, dass der Wert der Natur hier wieder viel stärker nach vorne kommt und auch gesehen wird, wie wichtig es ist, diese naturnahen Räume für die Zukunft zu bewahren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.