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Dreiteiler über NSU
Im Herzen der Fascho-Zone

Heute Abend läuft in der ARD der erste von drei Filmen über die Terrorgruppe NSU. Der Film versucht ihr auf Augenhöhe zu begegnen, zeichnet den Weg ihrer Radikalisierung nach. So wie im Film könnte etwa der Weg Beate Zschäpes verlaufen sein, findet unser Autor Karsten Umlauf.

Von Karsten Umlauf | 30.03.2016
    Das Bild zeigt die Hauptdarsteller der ARD-Trilogie zur NSU-Mordserie.
    Die Hauptdarsteller der ARD-Trilogie zur NSU-Mordserie. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Regisseur Christian Schwochow ist in Leipzig und Ost-Berlin aufgewachsen. Vor dem Mauerfall. Von daher kann er vielleicht nachvollziehen, welche Bedeutung der erste Walkman gehabt haben mag, den ostdeutsche Jugendliche damals, 1989, in die Hand bekamen.
    Beate Zschäpe ist zu der Zeit 14. Der Walkman, den ihr ein amerikaner Scientology-Missionar in die Hand drückt, bringt für sie die Musik der großen, weiten Welt. Ein Zukunftsversprechen. Kurze Zeit später nutzt sie ihn eher, um sich abzuschotten gegen den desillusionierenden Alltag - und verbringt ihre Zeit lieber mit dem netten Uwe Mundlos mit den glänzenden Augen als mit der eher antifaschistisch eingestellten Freundin Sandra.
    (Auszug aus dem Film: Beate, Sandra und Uwe reden miteinander)
    Es ist der Versuch der Augenhöhe, der diesen Film so besonders, aufwühlend und in manchen Teilen schwer erträglich macht.Er beginnt 1989 und endet mit dem Mord an dem Blumenhändler Enver Şimşek im Jahr 2000, der wohl ersten Tat unter dem Pseudonym "Nationalsozialistischer Untergrund".
    Ungekannte Energie, ein Gefühl von Stärke
    Schwochow wollte Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wie eigene Klassenkameraden darstellen. Sympathischer werden sie deswegen nicht. Ihre Einstellungen und Taten sind nicht nachvollziehbarer. Dennoch wagt der Film ein Stück Empathie mit einer Gruppe von Jugendlichen gerade aus Ex-DDR-Akademiker-Haushalten, die sich Anfang der Neunziger Jahre in Thüringen radikalisiert haben.
    Statt der vielbeschworenen blühenden Landschaften ist hier Fascho-Zone. In Massenaufmärschen entlädt sich ungekannte Energie und ein Gefühl von Stärke.
    (Geschrei, zerberstende Flaschen)
    Gruselig zu sehen, wie sich die drei an brennenden Asylbewerberheimen buchstäblich aufgeilen. Wie Zschäpe und Böhnhardt eine junge Mutter drangsalieren, weil sie eine deutsche Wiese betreten habe. Wie Mundlos mit lupenreiner Nazi-Ideologie seine Kumpels auf den so genannten Tag X einschwört, an dem sie ihren Krieg gegen das System in Taten umsetzen wollen.
    (Szene aus dem Film)
    Der Film beruht auf Erfindungen, aber eben auch auf Fakten. Er sichert sich wortreich am Anfang und Ende gegen mögliche rechtliche Schritte ab, da ja das Verfahren gegen Beate Zschäpe noch läuft und einige Dinge noch nicht erwiesen oder juristisch geklärt sind.
    Das reicht, das geht unter die Haut
    Irgendwann spielt die Faktizität, die wirklichkeitsgetreue Darstellung des konkreten Falls, aber keine Rolle mehr. Der NSU-Komplex ermöglicht auch mit seinen vielen blinden Flecken einen tiefen Blick in unsere heutige Gesellschaft. So wie im Film könnte der Weg Zschäpes verlaufen sein, vom orientierungslos-ratlosen Teenager zur berechnend-kaltschnäuzigen Nazi-Braut.
    So wird wohl tatsächlich in einigen Jugendclubs gesoffen und "Sieg Heil" gebrüllt, nicht nur in Thüringen und Sachsen-Anhalt. So offen und unbehelligt können Menschen beleidigt, bedroht und geschlagen werden. Das reicht, und das geht unter die Haut.
    Die Entstehung des NSU geschah unter den Augen der Öffentlichkeit und der Polizei. Heute gehört es zur Mitte der Gesellschaft, die Angst vor Fremden bewusst zu schüren. Ebenso das Gefühl, in einem angeblich maroden System auch mal mit Gewalt aufräumen zu müssen.
    Es ist gut und wichtig, dass sich die ARD die Zeit nimmt, diesen verzweigten Fall in weiteren Fernsehfilmen auch aus der Opfer- und Ermittlerperspektive zu erzählen. Es dürften nicht die letzten Filme zu dem Thema sein.