
Wie klingt die Apokalypse. Wie klingt es, wenn eine Atombombe fällt?
Doch richtiger wäre vielleicht zu fragen: wie klingt es, wenn Musiker 70 Jahre nach diesem Ereignis, ihre eigenen Antworten darauf suchen?
Finden sich Klänge für diesen "unerhörten" Moment, als die Atomwolke "wie ein vor Wut laut schnaubender Dämon hoch an den Himmel schießt".
So jedenfalls beschreibt es Keiji Nakazawa in seinem Buch "Barfuß durch Hiroshima", das 1983 auch in Deutschland erschien. In diesem monumentalen Manga, der im japanischen Original "Der barfüßige Gen" heißt, beschreibt Nakazawa seine persönlichen Erinnerungen an dieses gleichermaßen monströse Ereignis, das er als sechsjähriger Junge in seiner Heimatstadt erlebte und überlebte.
Hiroshima und Nagasaki, das war der erste und bisher einzige Einsatz von Atombomben gegen Menschen. Und Nakazawa zeichnet auf knapp 3000 Seiten was er, alias Gen, damals erlebt: verbrannte, entstellte, verstümmelte Menschen, die ihre Haut in Fetzen hinter sich her ziehen, unzählige Leichen und die Invasion von Fliegen und Maden. Die Hölle auf Erden.
Dieses Trauma, im Manga von Keji Nakazawa beschrieben, und das Ereignis vor 70 Jahren gaben den Impuls für das Projekt, das der Dramaturg und Ideengeber Manuel Gogos gemeinsam mit dem Musikmanager Markus Rindt auf die Elbwiesen am Japanischen Palais in Dresden brachte.
Markus Rindt ist die passende Besetzung dafür, einem solchen Thema den gebührenden Platz in einem multimedialen Abend zu geben, den beide Initiatoren selbst durchaus als "Zumutung" im sommerlich-leichten Open-Air-Kulturprogramm beschreiben.
Projekt voller Spannungsbögen
Markus Rindt, künstlerischer Leiter der Dresdner Sinfoniker hat acht hervorragende Musiker ausgewählt und deren Instrumentarium zwischen den zwei Projektionsflächen auf die Elbwiese platziert: zwei Klarinetten, Trompete, Posaune und Tuba. Dazu Drum-Set, E-Gitarre und Keyboards. Sie finden gut zusammen in ihrer improvisierten Musik zu den schwarz-weißen Zeichnungen, die mal wie Dias eingeschoben, manchmal auch vergrößert, auf einer der zwei Leinwände erscheinen.
Und, sie finden für diese Bilder eine - meist - stimmige Sprache: sie klingt mal behutsam, mal still, sie steigert sich auch bis zu freejazzigen und zappaesken Momenten und versucht gar nicht erst, in pathetischer Betroffenheit die aus der Materialfülle ausgewählten Geschichten Nakazawas zu überbieten.
Diese erzählen vom Hungeralltag, vom Atomschlag, dem Tod des Vaters und der Geschwister, und wie der Sechsjährige seiner Mutter hilft, seine Schwester auf den Trümmern des Hauses mit auf die Welt zu bringen.
Weit schwingt der Bogen an diesem 70-minütigen Abend zwischen Daumenkino, Filmmusik, Kriegsepos und Video-Oratorium im Public-Viewing-Format. Kann man so das Unfassbare fassen?
Das Japanische Palais mit seiner klassizistisch-barocken Fassade samt japanisch gewölbter Dächer diente parallel am gestrigen Abend als zweite Projektionsfläche für eine dramatische atmosphärische Videoinstallation mit zuckenden Farbspielen.
Dabei hätte dieser imposante Museumbau auch selbst viel von Seelenpein, Vernichtung und Leichenbergen in der zu Kriegsende zerstörten Stadt Dresden erzählen können.
Doch gestern Abend bot er für jedermann zugänglich, Geschichten aus Hiroshima, einer Stadt, die erst durch massive Kriegszerstörung – ähnlich wie Dresden auch – vom Täter zum Opfer wurde. Dieser kranke Mythos beider Städte ist der unausgesprochene Subtext eines an vielen Spannungsbögen reichen Projektes, und der sicher stärkste, der diesem Abend auch wirklich Sinn gibt.