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70 Jahre nach Hiroshima
Immer noch erkranken Atombombenopfer

Die langfristigen Folgen radioaktiver Strahlung führen dazu, dass auch 70 Jahre nach den Atombombenexplosionen von Hiroshima und Nagasaki immer noch Opfer von damals etwa an Krebs erkranken, sagte Axel Rosen von der Organisation Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs im DLF. In Fukushima seien die Folgen aber sogar noch ungleich größer.

Axel Rosen im Gespräch mit Stefan Römermann | 06.08.2015
    Junge Menschen gedenken zum 70. Jahrestag des Abwurfs einer US-Atombombe über Hiroshima der Opfer.
    Junge Menschen gedenken zum 70. Jahrestag des Abwurfs einer US-Atombombe über Hiroshima der Opfer. (picture alliance / dpa / Jiji Press / Michiko Takei)
    Stefan Römermann: Heute ist es auf den Tag genau 70 Jahre her: Damals, am 6. August 1945, da wurde über der japanischen Stadt Hiroshima die Atombombe abgeworfen, der erste Abwurf einer Atombombe überhaupt. 70.000 bis 80.000 Menschen sind damals wohl sofort gestorben, in den Folgejahren an der Strahlenbelastung weit, weit mehr. Und bis heute sind die Spätfolgen spürbar.
    Darüber spreche ich jetzt mit Axel Rosen von der deutschen Sektion des Vereins Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs. Herr Rosen, warum beschäftigt Sie ganz persönlich das Thema noch heute?
    Dossier: Atomwaffen
    Axel Rosen: Wir bei den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs sehen natürlich die anhaltende Gefahr, die Atomwaffen in der Welt von heute immer noch spielen, und da ist die Erinnerung 70 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen vom August 1945 in Hiroshima und Nagasaki natürlich eine Gelegenheit, noch einmal auf die katastrophalen humanitären Folgen von Atomwaffen hinzuweisen und auch derer zu gedenken, die eine solche Atombombendetonation damals durchgemacht haben. Es gab ja viele Überlebende, die sogenannten Hibakusha, von denen einige bis heute noch leben und der Welt von ihrem Schicksal, dem Schicksal ihrer Stadt, ihrer Familie berichten mit der Hoffnung und der Forderung, dass das, was ihnen damals geschehen ist, niemandem mehr geschehen darf.
    Atombombe setzt enorme Hitze frei
    Römermann: Im Schulunterricht haben wir gelernt, die Halbwertzeit von radioaktiven Elementen ist häufig sehr, sehr, sehr, sehr lang. Wie steht es heute um die Strahlung in Hiroshima? Kann ich da problemlos hingehen?
    Rosen: Ja. Ich war selber vor Kurzem in Hiroshima und in Nagasaki, habe dort unsere Partner getroffen und an den Gedenkfeierlichkeiten teilgenommen. Es ist so, dass durch eine Atombombenexplosion enorme Energie in Form von Hitze, in Form von Druckwelle frei wird, und nur, ich sage mal, im Vergleich zu einem Atomunglück jetzt wie Tschernobyl oder Fukushima, geringfügige Mengen an radioaktivem Material tatsächlich in die Atmosphäre geblasen wird. Das heißt, durch intensive Aufräumarbeiten, durch die Zeit, die einfach dazu geführt hat, dass radioaktive Stoffe ausgewaschen oder wirklich auch entfernt wurden, per Hand sozusagen, das Plutonium, ist es gelungen, dass in Hiroshima und Nagasaki ein normales Leben wieder stattfinden kann, dass, wenn man dort Urlaub macht oder die Städte dort besucht, man sich nicht, ähnlich wie jetzt in Tschernobyl oder Fukushima erhöhten Strahlenmengen aussetzt. Das ist der große Unterschied, der, glaube ich, vielen Leuten auch nicht so präsent ist, dass es einen Riesenunterschied macht, ob ein Atomkraftwerk einen Unfall hat und dabei große Mengen an radioaktiven Partikeln freigesetzt werden, oder eben diese horrende Explosion durch eine Atombombe, die akut ganz, ganz viele Menschen tötet, aber eben langfristig nicht zu dieser immensen radioaktiven Verstrahlung des Gebietes führt.
    Auch höheres Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen
    Römermann: Sie haben es jetzt gerade schon gesagt, jetzt ist die Strahlung dort also relativ auf einem normalen Niveau. Trotzdem erkranken immer noch Menschen an den Spätfolgen. Woran liegt das?
    Rosen: Das liegt zum einen daran, dass das Menschen sind, die damals entweder als Kinder oder auch noch im Mutterleib der Radioaktivität direkt oder indirekt ausgesetzt waren, also direkt wirklich die Gammastrahlen, die aus der Atombombe kamen, und indirekt der radioaktive Fallout, der Nahrungsmittel, Wasser, Luft damals verseucht hat. Und wie das halt so ist mit Krankheiten mit einer langen Latenzzeit, vor allem Krebserkrankungen, aber auch Herz-Kreislauferkrankungen, die strahlenbedingt sein können. Viele Erkrankungen bilden sich jetzt erst im hohen Alter aus. Das heißt, wir sehen bei der Bevölkerung in Hiroshima und Nagasaki, die damals gelebt hat, ein ungefähr anderthalbmal erhöhtes Risiko für die Entwicklung solider Krebserkrankungen, also Brustkrebs, Darmkrebs, Schilddrüsenkrebs, ein Risiko für Leukämieentwicklung, aber auch ein ungefähr anderthalb mal erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen. All diese Erkrankungen lassen sich durch Dosiswirkungsbeziehung kausal auf die Strahlung zurückführen. Also man kann sagen, das ist wirklich, je mehr Strahlung man damals abbekommen hat, je mehr man quasi am Hypozentrum gelebt hat, umso höher ist das Risiko, an diesen Erkrankungen jetzt zu leiden. Und gleichzeitig gibt es auch die Nachkommen der damals Geschädigten, die überlebt haben. Und auch die haben nachweislich erhöhte Erkrankungsrisiken.
    Römermann: Ohne dass wir da jetzt zu weit ausholen, Sie haben die zweite Nuklear- oder, man muss ja sagen die dritte Nuklearkatastrophe in Japan angesprochen, das Reaktorunglück von Fukushima. Wie lange werden denn davon noch die Folgen zu spüren sein?
    Fukushima wird Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern
    Rosen: Wenn man so rechnet, sogar die vierte, denn es gab ja eine große Atomexplosion in Tokaimura in den 90er-Jahren. In Fukushima ist es so, dass tatsächlich wenig akute Strahlenschäden messbar waren. Die Arbeiter, die dort gearbeitet haben, haben erhöhte Strahlenmengen abbekommen, aber da ist keiner akut dran gestorben. Aber die Langzeitfolgen sind immens. Wir sehen das, in Tschernobyl begehen wir ja nächstes Jahr den 30. Jahrestag, 30 Jahre braucht radioaktives Cäsium, um zumindest seine erste Halbwertzeit zu erreichen. Das heißt, nach 30 Jahren ist gerade einmal die Hälfte des radioaktiven Cäsiums abgebaut. Und wir sehen in Fukushima auch große Mengen an radioaktivem Cäsium, und es wird Jahrzehnte, Jahrhunderte dauern, bis da wirklich die Radioaktivität so weit abgeklungen ist, dass man sagen kann, da ist ein unbeeinträchtigtes Leben möglich.
    Römermann: Ja, das ist in der Tat sehr traurig. Axel Rosen vom Verein Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.