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Dresdener Klänge

Glocken sind oft mit bedeutenden Schicksalsstunden im Leben der Menschen verbunden. Dies gilt auch für die Glocken der wieder aufgebauten Dresdener Frauenkirche.

Von Rudi Schneider |
    Dies ist eine historische Aufnahme des Geläuts der Frauenkirchen in Dresden aus dem Jahr 1925. Von diesen Glocken hat nur eine einzige den Zweiten Weltkrieg und insbesondere die Bombardierung vom 13. bis zum 15. Februar 1945 überlebt. Ihr Name ist "Maria". Um Sie und ihre sieben neuen Glockengeschwister zu besuchen, begeben wir uns in der wieder aufgebauten Frauenkirchen zunächst in den Glockenturm über dem Eingang C.

    Wir haben uns mit Dr. Rainer Thümmel verabredet, der für die Planung und Errichtung des Glockengeläuts und der Turmuhr verantwortlich war.

    "Ich bin ein gebürtiger Dresdener und habe die Zerstörung meiner Vaterstadt als kleines Kind selbst miterlebt. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich mit knapp fünf Jahren nach dem Angriff aus dem Keller kam, man konnte auf der Straße praktisch Gegenstände liegen sehen, und dann sagte uns jemand 'es ist doch hell, es ist doch Nacht'. Wir kamen praktisch nach dem Nachtangriff aus dem Keller, die Straße war gleißend hell. Ich habe es in Dresden-Neustadt praktisch überlebt. Als Kind habe ich nicht verstanden, was ein Bombenangriff ist. Aber, wir haben an den entsetzten Gesichtern und den weinenden Leuten gemerkt, dass es etwas sehr Schlimmes sein musste."

    Die Spuren dieses Infernos sind auch heute noch in der Stadt an der Elbe zu sehen, aber wie wir an der Frauenkirche sehen, waren die Ruinen nicht für immer begraben. Beim Wiederaufbau wurde auch im Bereich der Glocken darauf geachtet, alte Bausünden nicht zu wiederholen.

    "Historisch hatte die Frauenkirche nur eine Glockenstube hier im Turm über dem Eingang C. Es war ein tontiefes Geläut, das mit Mühe und Not zwischen die Wände ging. Damit es überhaupt geläutet werden konnte, hat man es zwischen den Wänden eingespannt und diese Art der Aufhängung, verbunden mit dem großen Gewicht von drei Tonnen der früheren historischen Glocke, haben frühzeitig Bauschäden verursacht."

    So klingt es, wenn man quasi mitten in der Turmuhr steht und gerade der "Halbstundenschlag" erklingt. Das Uhrwerk ist mit drei der acht Glocken verbunden, deren Tonhöhe im wahrsten Sinne des Wortes signalisieren, was es geschlagen hat.

    "Wir haben großen Wert darauf gelegt, in die Frauenkirche eine mechanische Uhr und keine Funkuhr um die alte Handwerkskunst hochzuhalten. Der Viertelstundenschlag wird mit der kleinsten Glocke 'Hanna' ausgeführt, der Stundenschlag mit der Glocke 'David', und der Stundenschlag wird als Besonderheit. Glocken sind vor allen Dingen auch Musikinstrumente mit der Glocke 'Josua' wiederholt. Keine Kirche in Dresden hat einen derartigen Uhrschlag."

    Während sich die Glocke Hanna, die wir gerade gehört haben, und die Glocke David hier im Turm C befinden, hängt die Glocke Josua im anderen Glockenturm über dem Eingang E und ist gleichzeitig auch die Trauglocke.

    Neben den drei Glocken, die von der Turmuhr angeschlagen werden, befinden sich vier weitere neue Glocken mit den Namen "Philippus" und "Jesaja" im Turm C und "Jeremia" und "Johannes" im Turm E. Ihre feierliche Weihe fand am 4. Mai 2003 statt.

    "Wir wollen nun die sieben neuen Glocken der Frauenkirche in den Dienst Gottes stellen. Sie sollen die Gemeinde zu Wort und zum Sakrament und zum täglichen Gebet rufen, Zeit und Stunde künden und daran erinnern, dass unsere Zeit in Gottes Händen steht."

    Das ist die Glocke "Maria", sie musste nicht mehr neu geweiht werden, sie kam lediglich dorthin zurück, wo sie lange Zeit ihres nahezu 500-jährigen Lebens verbrachte. Um sie zu besuchen, begeben wir uns nun in den Glockenturm über dem Eingang E.

    Es ist nicht schwer, Maria unter den neuen Glocken zu erkennen, Jahrhunderte haben ihre Patina hinterlassen.

    "Diese Glocke hat ein Schicksal, wie es bei Kirchenglocken gar nicht so sehr häufig ist. 1518 gegossen, damals noch zu sogenannter katholischer Zeit in Sachsen, das heißt noch vor der Reformation, für das Hauptgeläut der Stiftskirche in Altzella. Das Kloster Altzella wurde 1539 nach der Reformation säkularisiert, und 1540 verschenkte der damalige Kurfürst von Sachsen, August, auch 'Vater August' genannt, die Glocken an Kirchgemeinden, die Glocken brauchten."

    Ihre Identifizierung, als sie nach dem Krieg gefunden wurde, war nicht schwierig, denn bei ihrem Schriftzug "Afe Maria" hatte sich der Glockengießer mit einem Schreibfehler verewigt, er hatte Ave mit "F" geschrieben.

    "Diese Glockeninschrift war in alten Inventaren genau überliefert. Und da konnte man sagen: 'hundertprozentig ist das die Frauenkirchenglocke, die über so viele Etappen gewandert und erhalten geblieben ist'."

    Das ist die Glocke David, deren Gestaltung Dr. Thümmel besonders am Herzen lag.

    "Die Verbindung zur Synagoge und deren Geschichte war mir ganz wichtig. Eine der ganz wenigen inhaltlichen Vorgaben an den Künstler war, auf der Glocke 'David', die wir nicht ohne Grund so genannt haben, den Davidstern der zerstörten Synagoge, der erhalten geblieben war, abzubilden."

    In einem Glockengestühl wandert der Blick eigentlich immer nach oben, wo die teils tonnenschweren Glocken in gewaltigen Gerüsten aus Holz aufgehängt sind. Hier im Glockenturm E fällt mir allerdings ein relativ großes Bruchstück einer Glocke auf, das auf dem Boden an der Wand lehnt.

    "Jede Kirche hatte nach der Glockenbeschlagnahme 1940 - 1941 eine Glocke behalten dürfen. Da die Glocke aber so groß war, hätte man in die Frauenkirche ein großes Loch schlagen lassen müssen und das war selbst den Nazis nicht ganz geheuer. Und da hat man sich darauf beschränkt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, die drei neu gegossenen Glocken von 1925 kurz vor Weihnachten 1941 im Turm zu zerschlagen. Das war das Weihnachtskonzert der Nationalsozialisten. Scherben dieser großen Glocke sind erhalten geblieben und zur Erinnerung an Alt und Neu, an Krieg und Frieden, steht dieses Stück der Glocke von 1734, übrigens auch in Dresden gegossen, jetzt hier in diesem Turm."

    Krieg und Frieden. Es ist schon seltsam, dass die Bronze vieler Glocken oftmals eingeschmolzen wurde, um Kanonen daraus zu bauen, und manche Kanonen wurden wieder zu Glocken. Glocken sind auf die eine oder andere Weise Verkünder der Zeit, sei es im Zusammenspiel mit der Turmuhr, oder sei es der Ruf zum Gottesdienst. Sie künden vom Zeitpunkt des Todes oder dem freudigen Ereignis der Hochzeit oder eines besonderen Zeitpunkts wie dem des Jahreswechsels. Das volle Geläut, das nun unsere kleine Wanderung in den Glockentürmen der Frauenkirche abschließt, erklingt nur zur Erinnerung an den Feuersturm, jeweils am 13. Februar jeden Jahres, und am Pfingstsonntag.