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Drive-in-Kanzlei

Verkehrsrecht ist unter Juristen nicht sonderlich beliebt - viel Kleinkram und niedrige Streitwerte. Masse statt Klasse heißt hier demnach die Devise. Wer also viele Fälle bearbeiten will, der muss sich etwas überlegen. So wie ein findiger Rechtsanwalt aus Weimar: Er ist mit seiner Kanzlei als erster deutscher Anwalt dahin gezogen, wo die Kunden sind: Auf einen Autohof an der A 9.

Von Secilia Pappert | 30.01.2009
    "Hallo? Autobahnkanzlei? Hören sie mich?

    Ja, hier Autobahnkanzlei, Peter Möller am Apparat."

    Die Autobahnkanzlei von Rechtsanwalt Peter Möller ist auch in punkto Erreichbarkeit ganz auf ihre Klienten eingestellt. Wenn der Punktestand in Flensburg drückt, ein Bußgeld droht oder sogar der Führerscheinentzug, kann ein Termin selbstverständlich auch über CB-Funk vereinbart werden. Ein Anruf über Kanal 9 genügt. 95 Prozent von Möllers Autobahnkanzlei-Klienten sind Trucker. Die Probleme mit denen sie vor der Tür seines Bürocontainers am Autohof Berg-Bad Steben in der Nähe von Hof an der A9 stehen, sind fast immer dieselben, erzählt Möller:

    "Geschwindigkeitsüberschreitungen, Abstandsunterschreitungen, und Verstöße gegen Sozialvorschriften, das meint Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten, sehr viel Gewichtsüberschreitungen und auch Fragen von Ladungssicherung."

    Das besondere Problem der Brummi-Fahrer: Während sie von Montag bis Freitag oder gar länger unterwegs sind, flattern zu Hause die Bußgeldbescheide in den Briefkasten, erzählt Carsten Kranholt. Gerade macht er Rast am Autohof Berg.
    Der Mann aus Mecklenburg-Vorpommern fährt für eine Lübecker Spedition.

    "Man kriegt dann Post, und dann hat man so und so viel Zeit, und dann muss man diese Fristen einhalten, dann ist man wieder nicht zu Hause und dann kann man wieder nicht rechtzeitig antworten. Das ist dann alles schwierig sag ich mal."

    Möchte Kranholt einen Anwalt zu Rate ziehen, steht er vor dem nächsten Problem:

    "Auch die Termine - der hat seine Bürozeiten, da ist man ja schon längst unterwegs. Da kann man ja nicht einen Tag Urlaub nehmen. Das ist ja nicht so dass man so schnippst wie einer im Büro, der nimmt halt einen Tag frei. Ein Lkw-Fahrer ist dann ja schon lange unterwegs der kann nicht einfach aussteigen und einen halben Tag Pause machen."

    Abgesehen davon: Die meisten Kanzleien sind in der Innenstadt. In die kommt Kranholt mit einem 40-Tonner gar nicht rein. Seit Oktober 2007 könnte der Fernfahrer allerdings auf dem Autohof in Berg-Bad Steben zum Anwalt gehen. Schon auf dem blauen Hinweisschild an der Autobahn findet sich neben den üblichen Piktogrammen für Tanken und Essen auch ein Paragrafenzeichen. Der Weimarer Rechtsanwalt Peter Möller hat hier Deutschlands erste Autobahnkanzlei aufgemacht. Dort, wo seine potentiellen Mandanten sind:

    "Und leben tun sie tatsächlich die Woche über auf der Straße und übernachten natürlich auf Autohöfen. Und ich dachte wenn sie dort Freizeit haben, möglicherweise gehen sie dann auch dort zum Anwalt."
    Montag bis Freitag von zehn bis 18 Uhr sitzt der 48-Jährige in seinem Büro-Container an der A 9. Ein rastloser Mann, immer voller Ideen. Die Bilanz nach gut einem Jahr Autobahnkanzlei ist nicht schlecht: Rund 300 Mandate brachte die Autohof-Filiale - neue Mandate wohlgemerkt. Mit rund 150.000 Euro erwirtschaftete Berg-Bad Steben im ersten Jahr etwa ein Fünftel des Gesamtumsatzes der Kanzlei Möller. Etwa 500 Euro bringt ein abgeschlossenes Bußgeldverfahren. Nicht eben viel, doch: Bußgeldverfahren ähneln sich. Die Arbeitsabläufe in der Kanzlei sind straff organisiert. Möller hat einen Terminkoordinator, der die Gerichtstermine zeitlich und geografisch abstimmt, die er und seine vier angestellten Anwälte deutschlandweit wahrnehmen. Außerdem hat Möller eine Mitarbeiterin, die kreuz und quer durch die Republik fährt und prüft, ob die dem Mandanten zur Last gelegten Vorwürfe tatsächlich so sein können:

    "Ob denn tatsächlich, das Schild, bei dem die Polizei einjustiert hat, die angegebenen 182 Meter entfernt ist oder eben nur 168. Oder ob eben der Kautschuk-Verguss in der Fräsnut bei der fest installierten Messanlage Risse aufweist, so das eben Feuchtigkeit eindringt, die dann zu falschen Messergebnissen führen kann. Oder ob es plausibel ist, wenn der Mandant sagt, mein Gott, da ist ein LKW vor mir gefahren, den hab ich überholt und deswegen das Ortseingangsschild nicht gesehen."

    Wirtschaftlich trägt sich die Autobahnkanzlei bislang noch nicht, gibt Möller zu. Sie wird von der Mutterkanzlei in Weimar mitgetragen. Langfristig aber, ist Möller überzeugt, kann er durchaus davon leben. Pluspunkt: Das Ausfallrisiko ist gering, 9o Prozent der Fälle sind durch eine Rechtsschutzversicherung abgedeckt. Natürlich muss Möller wirtschaftlich denken. Aber selbst wenn bei einem Beratungsgespräch nicht immer ein Mandat raus springt: Möller glaubt, hier wird er wirklich gebraucht. So wie an dem Tag, als vor ihm ein Lkw-Fahrer saß, der einfach nicht mehr konnte:

    "Ein gestandener Mann, ein Bär, der weinte. Weil der war schon 36 Stunden auf der Piste und der wurde von seinem Chef hoch nach Hamburg geschickt. Dem konnte geholfen werden. Über eine Selbstanzeige. Wir haben dann bei der Polizei angerufen, die haben dann eine "Kontrolle" installiert, "zufällig" und der wurde dann erst mal still gelegt und durfte dann erst mal zwölf Stunden schlafen."

    Noch immer fährt der Kanzleichef täglich die 120 Kilometer von Weimar nach Berg-Bad Steben selbst. Denn: Möller hat Personalprobleme. Nicht viele Anwaltskollegen zieht es ins Trucker-Millieu an die Autobahn.

    "Eine Autobahnkanzlei kann keine repräsentativen Räume bieten und eine Autobahnkanzlei kann auch keine riesigen Prozesse bieten. Autobahnkanzlei ist nicht die Fusion von zwei großen Aktiengesellschaften, sondern Autobahnkanzlei ist die Geschwindigkeitsüberschreitung eines LKW-Fahrers, die ihn aber möglicherweise ebenso belastet, wie den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank die Übernahme durch die Commerzbank."

    Möllers Dienste sind gefragt, im März will er den nächsten Kanzlei-Container eröffnen. Diesmal im Thüringer Teil der Autobahn 4 in Mellingen.

    Links:

    Autobahnkanzlei Rechtsanwalt Peter Möller

    Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft e.V.