Aufsitzen zur Patrouillenfahrt. Zwei Beamte der lokalen Polizei werden bewacht von drei Soldaten der mexikanischen Armee. Die haben das Sagen. Auf diesem Wagen, in dieser Stadt.
Mit den Sturmgewehren im Anschlag fahren die Sicherheitskräfte mit mir durch die breiten Avenidas, die mehr an US-amerikanische Shopping- und Fastfood-Meilen erinnern, denn an eine mexikanische Innenstadt. Unvermittelt halten wir einen Pritschenwagen an.
Der Verdachtsmoment: Das Fahrzeug hat keine Nummernschilder. Die Soldaten sichern die Strasse, die Polizisten kontrollieren Auto und Fahrer. Sie finden nichts, Kontrolleure und Kontrollierter setzen ihre Fahrt fort.
Das ist seit Anfang März Alltag in dieser Grenzstadt, seit 5000 zusätzliche Soldaten einmarschierten. "Verlieren wir Ciudad Juárez an das organisierte Verbrechen, verlieren wir Mexiko", hieß es nach dem blutigsten Monat in der Geschichte des Drogenkrieges: 231 Menschen wurden im Februar in der Stadt ermordet. Es war ein angekündigter Krieg, so Bürgermeister José Reyes Ferriz im ARD-Gespräch.
"Wir hatten Informationen, dass es zu einem Krieg zwischen zwei rivalisierenden Kartellen kommen würde. Wir hatten sogar ein Datum: sechster Januar 2008. Das Morden begann einen Tag zuvor: am fünften Januar. Es starben sehr viele Menschen, 1600 in einem Jahr."
2008 wurde Ciudad Juárez zur blutigsten Stadt Amerikas, obwohl 2500 Soldaten entsandt wurden. Sie konnten nichts ausrichten, weil die meisten Polizisten auf den Lohnlisten der Drogenbarone standen, gesteht der Bürgermeister.
"Die Korruption innerhalb der Polizei war enorm. Ich habe alle Polizeiführer abgesetzt. Der Einsatzchef wurde zwei Monate später verhaftet, als er eine Tonne Drogen in die USA bringen wollte. Die Korruption ging von oben nach unten. Jetzt haben wir den Polizeiapparat gesäubert: Die Hälfte der 1600 Polizisten wurde entlassen."
Die Übriggeblieben werden jetzt von Soldaten bewacht. Nach dem Blutmonat Februar übernahm das Militär den gesamten Sicherheitsapparat der Stadt. Zunächst mit Erfolg: Die Morde gingen im März um 74 Prozent zurück, "nur" noch 44 Leichen wurden gefunden. Hector Hawley, Leiter der hiesigen Gerichtsmedizin, atmet auf: Nach der Obduktionsarbeit im Dreischichtbetrieb liegen jetzt nur noch zwei Dutzend Leichen in seinen Gefrierfächern.
"In diesem Plastiksack sind die Knochen eines Geköpften", sagt Hawley im Formalin-Gestank des Kühlraumes. Die Toten, die er in den letzten Monaten untersuchen musste, waren oft bestialisch verunstaltet. Ihm war schnell klar, ob es sich um ein Opfer der Kartelle handelte.
"Am Tatort zählt man Kugeln und Kartuschen. Wenn es mehr als hundert sind, steckt das Organisierte Verbrechen dahinter. Manchmal finden wir den Körper an einem Ort und den Kopf ganz woanders - oder da liegen Patronenhülsen uns noch unbekannter Waffen. Etwa Kugeln vom Kaliber 50 Millimeter hatten wir noch nie gesehen und kannten auch nicht ihre Wirkung im Körper. Es werden uns jetzt US-Ärzte weiterbilden, die aus dem Irak-Krieg zurückgekommen sind, damit wir mit diesen Gewaltakten klarkommen."
Fortbildung in Zeiten des Krieges: Die Forensiker nutzen die relative Gefechtspause. Wie der Bürgerrechtler Hernán Ortiz gehen sie davon aus, dass die militärische Besatzung nur vorübergehend den Krieg der Kartelle bremst.
"Wäre ich Drogenhändler, würde ich jetzt sagen: 'Zieht eure Show nur ab, danach komme ich wieder. Wozu Hektik? Die Konsumenten bleiben, Drogen werden weiterhin produziert.' Ich glaube, die Verbrecher sind jetzt einfach woanders. Die Morde in der Landeshauptstadt Chihuahua und in anderen Städten haben schon zugenommen. Das Ganze ist doch verrückt und hat weder Hand noch Fuß."
6290 Morde wurden im mexikanischen Drogenkrieg im letzten Jahr verübt. Längst geht es nicht mehr vorrangig um den Drogenschmuggel gen USA, es geht um den Konsum im Land selbst, um Märkte, um eine Vielzahl von Einnahmequellen: Entführungen, Erpressungen, Schutzgeld, Banküberfälle, Verkauf von Raubkopien, Schmuggel von Menschen und Waffen und so weiter.
Vier mexikanische Städte sind bereits von der Armee besetzt, aber die 45.000 eingesetzten Soldaten können nicht überall sein. Und Killer-Nachwuchs finden die Kartelle in den Armenvierteln des Landes genügend, berichtet Sozialarbeiterin Andrea Baltazar.
"Wenn man kleine Kinder fragt, was sie werden möchten, sagen sie: 'Ich werde einmal Killer, denn die können töten und sind stark.'"
Aus diesem kindlichen Berufswunsch wird bei Jugendlichen, die keine Chance auf Ausbildung und Arbeit haben, schnell Realität.
"Zuerst gehen Dealer auf die Jugendlichen zu und schenken ihnen irgendeine Droge - oder geben ihnen welche zum Weiterverkaufen in der Schule. Wenig später kommen die Dreizehn-, Vierzehn-, Fünfzehnjährigen von sich aus zum Drogenhändler und der sagt: 'Ich gebe dir 700 Pesos die Woche und du dealst für mich oder bringst jemanden um.'"
Wer erst einmal in einer Bande ist, so Andrea Baltazar, kommt da nicht mehr raus - höchstens tot.
Sie fährt mit mir in das Viertel Plutarco Elias Calles. Ärmliche Häuschen, Sand und Staub fegen durch die meist ungepflasterten Strassen, die Arbeitslosigkeit ist sichtbar: Mittags lungern an allen Ecken junge Männer herum. Wir kommen mit einem 22-Jährigen ins Gespräch, nennen wir ihn Sergio. Sergio hat drei kleine Kinder, vor über einem Jahr verlor er seinen Job in einem Billiglohnbetrieb. Jetzt bringt er die Familie "irgendwie" durch, sagt er. Seine Pupillen sind trotz greller Sonne weit geöffnet, nach und nach wird uns klar: Sergio ist drin, drin im schmutzigen Geschäft der Drogenkartelle.
"Irgendwie muss man halt über die Runden kommen, irgendwie müssen die Kartoffeln auf den Tisch. Man riskiert zwar seine Haut dabei, aber man kann doch nicht mit verschränkten Armen daneben stehen, wenn die Kinder nach Süßigkeiten schreien. Außerdem beschützen die mich besser. Ob ich wirklich dazu gehöre? Das bleibt mein Geheimnis."
Ein durchschaubares Geheimnis. Da überrascht auch nicht mehr Sergios Meinung über die Soldaten in der Stadt.
"Soldaten - Drogenleute: Das ist doch das Gleiche, beide töten. Soldaten bringen welche um, schieben es auf die Kartelle und behaupten dann, sie seien die Guten. Die Armee soll doch abhauen, damit alles wieder normal wird. Wenn du im Zentrum Kaugummis verkaufst, schmeißen sie deine Ware auf die Erde und trampeln drauf rum. Du kämpfst um jeden Peso, aber auf ehrliche Weise lassen sie dich keinen verdienen. Also gehst du zu den Anderen. Die Soldaten wollen dein Leben ruinieren - da ruinierst du lieber ihres."
Nur 44 Tote im März - es ist relativ ruhig geworden in Ciudad Juárez - oberflächlich betrachtet. Der Krieg geht weiter, denn es geht nicht darum, die Stadt zu beherrschen, sondern es geht um Gewinn: um ein 25 Milliarden Dollar-Geschäft pro Jahr, schätzt, ganz vorsichtig, die US-Regierung.
Mit den Sturmgewehren im Anschlag fahren die Sicherheitskräfte mit mir durch die breiten Avenidas, die mehr an US-amerikanische Shopping- und Fastfood-Meilen erinnern, denn an eine mexikanische Innenstadt. Unvermittelt halten wir einen Pritschenwagen an.
Der Verdachtsmoment: Das Fahrzeug hat keine Nummernschilder. Die Soldaten sichern die Strasse, die Polizisten kontrollieren Auto und Fahrer. Sie finden nichts, Kontrolleure und Kontrollierter setzen ihre Fahrt fort.
Das ist seit Anfang März Alltag in dieser Grenzstadt, seit 5000 zusätzliche Soldaten einmarschierten. "Verlieren wir Ciudad Juárez an das organisierte Verbrechen, verlieren wir Mexiko", hieß es nach dem blutigsten Monat in der Geschichte des Drogenkrieges: 231 Menschen wurden im Februar in der Stadt ermordet. Es war ein angekündigter Krieg, so Bürgermeister José Reyes Ferriz im ARD-Gespräch.
"Wir hatten Informationen, dass es zu einem Krieg zwischen zwei rivalisierenden Kartellen kommen würde. Wir hatten sogar ein Datum: sechster Januar 2008. Das Morden begann einen Tag zuvor: am fünften Januar. Es starben sehr viele Menschen, 1600 in einem Jahr."
2008 wurde Ciudad Juárez zur blutigsten Stadt Amerikas, obwohl 2500 Soldaten entsandt wurden. Sie konnten nichts ausrichten, weil die meisten Polizisten auf den Lohnlisten der Drogenbarone standen, gesteht der Bürgermeister.
"Die Korruption innerhalb der Polizei war enorm. Ich habe alle Polizeiführer abgesetzt. Der Einsatzchef wurde zwei Monate später verhaftet, als er eine Tonne Drogen in die USA bringen wollte. Die Korruption ging von oben nach unten. Jetzt haben wir den Polizeiapparat gesäubert: Die Hälfte der 1600 Polizisten wurde entlassen."
Die Übriggeblieben werden jetzt von Soldaten bewacht. Nach dem Blutmonat Februar übernahm das Militär den gesamten Sicherheitsapparat der Stadt. Zunächst mit Erfolg: Die Morde gingen im März um 74 Prozent zurück, "nur" noch 44 Leichen wurden gefunden. Hector Hawley, Leiter der hiesigen Gerichtsmedizin, atmet auf: Nach der Obduktionsarbeit im Dreischichtbetrieb liegen jetzt nur noch zwei Dutzend Leichen in seinen Gefrierfächern.
"In diesem Plastiksack sind die Knochen eines Geköpften", sagt Hawley im Formalin-Gestank des Kühlraumes. Die Toten, die er in den letzten Monaten untersuchen musste, waren oft bestialisch verunstaltet. Ihm war schnell klar, ob es sich um ein Opfer der Kartelle handelte.
"Am Tatort zählt man Kugeln und Kartuschen. Wenn es mehr als hundert sind, steckt das Organisierte Verbrechen dahinter. Manchmal finden wir den Körper an einem Ort und den Kopf ganz woanders - oder da liegen Patronenhülsen uns noch unbekannter Waffen. Etwa Kugeln vom Kaliber 50 Millimeter hatten wir noch nie gesehen und kannten auch nicht ihre Wirkung im Körper. Es werden uns jetzt US-Ärzte weiterbilden, die aus dem Irak-Krieg zurückgekommen sind, damit wir mit diesen Gewaltakten klarkommen."
Fortbildung in Zeiten des Krieges: Die Forensiker nutzen die relative Gefechtspause. Wie der Bürgerrechtler Hernán Ortiz gehen sie davon aus, dass die militärische Besatzung nur vorübergehend den Krieg der Kartelle bremst.
"Wäre ich Drogenhändler, würde ich jetzt sagen: 'Zieht eure Show nur ab, danach komme ich wieder. Wozu Hektik? Die Konsumenten bleiben, Drogen werden weiterhin produziert.' Ich glaube, die Verbrecher sind jetzt einfach woanders. Die Morde in der Landeshauptstadt Chihuahua und in anderen Städten haben schon zugenommen. Das Ganze ist doch verrückt und hat weder Hand noch Fuß."
6290 Morde wurden im mexikanischen Drogenkrieg im letzten Jahr verübt. Längst geht es nicht mehr vorrangig um den Drogenschmuggel gen USA, es geht um den Konsum im Land selbst, um Märkte, um eine Vielzahl von Einnahmequellen: Entführungen, Erpressungen, Schutzgeld, Banküberfälle, Verkauf von Raubkopien, Schmuggel von Menschen und Waffen und so weiter.
Vier mexikanische Städte sind bereits von der Armee besetzt, aber die 45.000 eingesetzten Soldaten können nicht überall sein. Und Killer-Nachwuchs finden die Kartelle in den Armenvierteln des Landes genügend, berichtet Sozialarbeiterin Andrea Baltazar.
"Wenn man kleine Kinder fragt, was sie werden möchten, sagen sie: 'Ich werde einmal Killer, denn die können töten und sind stark.'"
Aus diesem kindlichen Berufswunsch wird bei Jugendlichen, die keine Chance auf Ausbildung und Arbeit haben, schnell Realität.
"Zuerst gehen Dealer auf die Jugendlichen zu und schenken ihnen irgendeine Droge - oder geben ihnen welche zum Weiterverkaufen in der Schule. Wenig später kommen die Dreizehn-, Vierzehn-, Fünfzehnjährigen von sich aus zum Drogenhändler und der sagt: 'Ich gebe dir 700 Pesos die Woche und du dealst für mich oder bringst jemanden um.'"
Wer erst einmal in einer Bande ist, so Andrea Baltazar, kommt da nicht mehr raus - höchstens tot.
Sie fährt mit mir in das Viertel Plutarco Elias Calles. Ärmliche Häuschen, Sand und Staub fegen durch die meist ungepflasterten Strassen, die Arbeitslosigkeit ist sichtbar: Mittags lungern an allen Ecken junge Männer herum. Wir kommen mit einem 22-Jährigen ins Gespräch, nennen wir ihn Sergio. Sergio hat drei kleine Kinder, vor über einem Jahr verlor er seinen Job in einem Billiglohnbetrieb. Jetzt bringt er die Familie "irgendwie" durch, sagt er. Seine Pupillen sind trotz greller Sonne weit geöffnet, nach und nach wird uns klar: Sergio ist drin, drin im schmutzigen Geschäft der Drogenkartelle.
"Irgendwie muss man halt über die Runden kommen, irgendwie müssen die Kartoffeln auf den Tisch. Man riskiert zwar seine Haut dabei, aber man kann doch nicht mit verschränkten Armen daneben stehen, wenn die Kinder nach Süßigkeiten schreien. Außerdem beschützen die mich besser. Ob ich wirklich dazu gehöre? Das bleibt mein Geheimnis."
Ein durchschaubares Geheimnis. Da überrascht auch nicht mehr Sergios Meinung über die Soldaten in der Stadt.
"Soldaten - Drogenleute: Das ist doch das Gleiche, beide töten. Soldaten bringen welche um, schieben es auf die Kartelle und behaupten dann, sie seien die Guten. Die Armee soll doch abhauen, damit alles wieder normal wird. Wenn du im Zentrum Kaugummis verkaufst, schmeißen sie deine Ware auf die Erde und trampeln drauf rum. Du kämpfst um jeden Peso, aber auf ehrliche Weise lassen sie dich keinen verdienen. Also gehst du zu den Anderen. Die Soldaten wollen dein Leben ruinieren - da ruinierst du lieber ihres."
Nur 44 Tote im März - es ist relativ ruhig geworden in Ciudad Juárez - oberflächlich betrachtet. Der Krieg geht weiter, denn es geht nicht darum, die Stadt zu beherrschen, sondern es geht um Gewinn: um ein 25 Milliarden Dollar-Geschäft pro Jahr, schätzt, ganz vorsichtig, die US-Regierung.