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Drohbriefe an Linksautonome
Berliner Polizei unter Druck

Ein Berliner Polizist hat gestanden, dass er einen Drohbrief an zahlreiche Menschen verfasst hat, die mutmaßlich der linksautonomen Szene angehören. Woher er die teils sehr persönlichen Daten hatte, ist unklar. Der Berliner Datenschutzbeauftragten geht die Aufklärung des Falls nicht weit genug.

Von Daniela Siebert | 18.02.2019
    Der Schriftzug "Polizei" am 1. Polizeirevier auf der Zeil in Frankfurt am Main.
    Die Verurteilung des einen Polizisten reicht der Berliner Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk nicht - sie stellte Anzeige gegen Unbekannt (picture alliance / Boris Roessler)
    Ganze neun Seiten war der Drohbrief mit Phantasie-Absender lang und sollte offenbar einschüchtern, nicht nur indem mit Datenweitergabe an "Identitäre", Autonome Nationalisten oder "Bullen" gedroht wird:
    "Da Ihr mit menschenverachtenden Methoden agiert und anderen Euren Lebensweg aufnötigt, dachten wir uns dem ebenso nachzukommen. Eure Gesichter, Namen, Adressen, Fahrzeuge, Eltern, Geschwister sind sehr lange schon bekannt."
    Mehrere Dutzend Personen wurden in dem Brief bedroht und mit zum Teil sehr persönlichen Daten adressiert: Name, Wohnort, Telefonnummer, Porträt-Fotos aus offiziellen Ausweis-Dokumenten.
    Auch Felix, der in Wirklichkeit anders heißt, wurde darin genannt. Ins Mikrofon möchte er nicht sprechen, lässt sich aber zitieren. Ihn habe der Brief erst geschockt, dann eingeschüchtert. Inzwischen habe er sogar Angst.
    Drucker überführt Polizist
    Felix erstattete Strafanzeige, und in dem anschließenden Verfahren kam heraus, dass ein Berliner Polizist Autor der Briefe war. Der Drucker, der den Brief auswarf, konnte identifiziert werden, berichtet Felix. Auch war ein Schreibfehler bei seinem Vornamen eindeutig der Polizei zuzuordnen. Ergebnis: Ein Polizist musste eine Geldstrafe von 3.500 Euro bezahlen.
    Rechtsanwalt Martin Henselmann vertritt weitere Bedrohte, er findet den Verfahrensausgang unzureichend. Denn er glaubt nicht an einen Einzeltäter:
    "Die Polizei hat das auch selber zwischen den Zeilen vermuten lassen, weil sie gesagt hat: Zum einen ist der Täter umfassend geständig gewesen, aber sie hätte nicht aufklären können, wo er genau die Daten her gehabt hat. Das heißt für mich, dass der Täter selber nicht Zugriff auf diese Daten aus eigener Kompetenz gehabt hat, sondern dass er da höchstwahrscheinlich Helfer gehabt haben muss, die noch Zugriff haben."
    Henselmann ärgert sich, dass ihm wenig Einblick in die Erkenntnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft gewährt wird. Er zeigt auf eine sehr dünne Papier-Mappe:
    "Hier ist eine Seite davon, da steht 276 drauf, also ich denke,die Akte beinhaltet so etwa 300 Seiten, davon haben wir ungefähr 20 bekommen. Weiterhin wird uns die Akteneinsicht verwehrt, so dass wir die Ermittlungsergebnisse der Polizei, wo die Sachen genau herkamen, nicht einsehen können. Ein halbes dreiviertel Jahr wurde so getan, als ob das alles noch ermittelt würde, als ob wir noch keinen Anspruch auf Akteneinsicht hätten, dann auf einmal wurde gesagt: Nee - ist doch alles schon vorbei."
    Missbrauch hochsensitiver Daten
    Auch die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk hält die Vorgänge bei der Berliner Polizei rund um die Drohbriefe nicht für ausreichend aufgearbeitet:
    "Es waren Daten, die so nur in offiziellen Datenbanken vorkommen konnten. Dass jemand ermittelt worden ist, ist natürlich gut, auch dass es einen Strafbefehl gegeben hat, aber was mich als Beauftragte für den Datenschutz des Landes Berlin insbesondere natürlich interessiert, ist: Was gibt es da für Strukturen, oder für Lücken, die es ermöglichen, dass ein Mitarbeiter der Polizei an solche hochsensitiven Daten gelangen kann und die zu eigenen politischen Zwecken mißbrauchen kann?"
    Auch sie hat Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Verurteilung des einen Polizisten reicht ihr nicht. Mit der Kooperation der Polizei ist die Juristin nicht zufrieden:
    "Was ich jetzt feststelle ist, dass auf meine Anfragen hin eher abwehrende Reaktionen kommen, also es wird nicht wahrgenommen, dass die Problematik weit über das Strafverfahren hinaus geht. Weil hier unter Umständen technisch-organisatorische Strukturen in der Polizei betroffen sein könnten, die man sich angucken muss, um gegebenenfalls Sicherungslinien einzuziehen, die erneute Vorfälle dieser Art vermeiden."
    Hintergrund: G20-Gipfel
    Rechtsanwalt Henselmann ordnet die Drohbriefe aus Polizeikreisen in einen Schlagabtausch ein, der über Berlin hinaus reicht, angefangen habe alles mit Fahndungsaufrufen gegen Demonstranten in Hamburg anlässlich des G20-Gipfels.
    Dann hätten Unbekannte in Berlin Fotos von Polizisten veröffentlicht, die an der Räumung eines Hauses in der Rigaer Straße beteiligt gewesen sein sollen. Die Drohbriefe aus Polizeikreisen seien wohl eine Reaktion darauf.

    Maja Smoltczyk setzt inzwischen per Pressemitteilung auf öffentlichen Druck in der Sache.
    Sehr gerne hätten wir auch über die Position der Polizei in der Sache berichtet. Eine Interviewzusage wurde jedoch nicht eingehalten. Trotz des extra verschobenen Sendetermins. Der Zeitung "Neues Deutschland" teilte sie kürzlich immerhin mit, die Umsetzung organisatorischer Maßnahmen werde noch geprüft und ein Disziplinarverfahren laufe.