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Drohender Schleifenstrom

Umwelt. - Seit rund einem Vierteljahr strömt Öl aus dem zerstörten Bohrloch im Golf von Mexiko. Die Strände eines guten Teils der amerikanischen Golfküste sind bereits verschmutzt. Der Sonnenschein-Staat Florida fürchtet weiterhin, dass auch seine Strände an Ost- und Westküste getroffen werden. Nicht ohne Grund, wie Wissenschaftler sagen.

Von Volker Mrasek |
    Gut und gerne 600 Kilometer sind es von der Untergangsstelle der Bohrplattform bis zur Halbinsel von Florida im Osten des Golfes von Mexiko. Alle hoffen, daß das noch immer austretende Erdöl nicht bis dorthin gelangt. Auch der Biologe Doug Helton von der Noaa, der Nationalen Fachbehörde für Ozean und Atmosphäre in den Vereinigten Staaten:

    "Im Süden Floridas gibt es einzigartige Korallenriffe, ausgedehnte Mangroven-Wälder und Meeresgebiete, die sehr wichtig sind für den kommerziellen Fischfang wie auch für Freizeitangler. Florida ist ein beliebtes Urlaubsgebiet. Die Leute haben große Sorge, daß Touristen abgeschreckt werden, sollte Öl die Strände verschmutzen."

    Doug Helton gehört zum Ölpest-Reaktionsteam der Noaa. Er ist der Koordinator für alle laufenden Aktionen der Behörde. Sie hat Schiffe im Einsatz, die die Strömungen im Golf von Mexiko erkunden. Auch Flugzeuge werfen regelmäßig Messsonden ab. Das Öl, das aus dem Tiefsee-Leck quillt, bildet keinen zusammenhängenden Teppich, sondern rot-braune Schlieren, die man für Schokoladenpudding halten könnte. Nach weiterer chemischer und biologischer Verwitterung an der Wasseroberfläche entstehen daraus treibende Teerklumpen. Kritisch für Florida würde es, wenn sie in den sogenannten Loop Current oder Schleifenstrom gerieten. Helton:

    "Der Loop Current hat seinen Ursprung in der Karibik. Es ist ein Warmwasser-Strom, der zwischen Kuba und der Halbinsel von Yucatan in Mexiko verläuft und in manchen Jahren tief in das Golf-Becken vorstößt, bis zur Küste von Louisiana. Dann macht er eine Schleife, strömt nach Osten, um Florida herum, und bis in den Atlantik, wo er in den Golfstrom mündet."

    Für den Moment können die Experten der Noaa aber Entwarnung geben. Die Schleife des Loop Current hat sich nämlich abgeschnürt. Sie ist zu einer isolierten, kreiselförmigen Strömung im Golf von Mexiko geworden, die sich im Uhrzeigersinn dreht. Im Fachjargon heißt so etwas Eddy. Helton:

    "Wir glauben, daß dieser riesige Eddy mit einem Durchmesser von mehreren hundert Kilometern langsam westwärts ziehen wird und sich dann im westlichen Teil des Golfes auflöst. Wir gehen davon aus, daß gewisse Mengen Öl in diesem Strömungskreisel gefangen sind und vom Loop Current abgeschnitten bleiben. Auch aus ihnen werden Teerklumpen entstehen, die langsam weiter zerfallen."

    Doch wie sieht es auf längere Sicht aus? Vor allem dann, wenn das Leck auf dem Meeresgrund nicht bald geschlossen wird und weiterhin Öl austritt? Das haben Wissenschaftler der Universität von Hawaii am Computer simuliert, in einem Ozean-Strömungsmodell, und zwar für den Zeitraum eines ganzen Jahres. In dem gewählten Szenario gelingt es erst Ende September, das Leck abzudichten. Bis dahin fließen weiterhin Tag für Tag 50.000 Barrel Öl ins Meer. Der deutsche Physiker Axel Timmermann, Professor für Ozeanographie an der Hochschule auf Hawaii:

    "Wir haben festgestellt, daß im Mittel etwa 20 Prozent des Öls in unseren Simulationen in den Atlantik gelangt."

    Bildet sich wieder ein stabiler Loop Current aus mit einer Schleife, die bis zur Unglücksstelle reicht, dann könnte die Öl-Menge, die in den Atlantik abfließt, auch wesentlich größer sein. Die Modellierungen haben allerdings eine große Schwäche. Timmermann:

    "Man Muss hinzufügen, daß unsere Rechnungen nicht Prozesse enthalten, die das Öl letztlich in Teerklumpen umwandeln, und biologische Prozesse, die dazu führen, daß die Öl-Konzentrationen verschwinden."

    Grundsätzlich zeigen die Simulationen aber: Sollte das Öl noch über Wochen oder sogar Monate austreten, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß es doch noch bis nach Florida und in den westlichen Atlantik gelangt. Im Herbst hat man dort bevorzugt Wind, der vom Meer an Land weht. Er könnte das Öl am Ende auch an die Ostküste der USA drücken.