Freitag, 03. Mai 2024

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Droste-Festival auf Burg Hülshoff
"Wie weiblich muss eine Frau sein?"

Ein Kunstfestival auf Burg Hülshoff feiert Annette von Droste-Hülshoff als Vorreiterin des Feminismus. "Sie hat in ganz jungen Jahren schon damit begonnen, sich hinaus zu wagen mit Positionen, die unbequem waren", sagte Kurator Jörg Albrecht im Dlf. Auf dem Programm steht unter anderem ein "klitorianisches Lesezimmer".

Jörg Albrecht im Gespräch mit Änne Seidel | 03.07.2019
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) nach einer Miniatur von ihrer Schwester Jenny (picture alliance / akg-images)
Änne Seidel: High Heels bitte zu Hause lassen – das empfiehlt das Literaturzentrum auf der Burg Hülshoff bei Münster. Dort eröffnet heute ein Kunst- und Literaturfestival, das sich noch bis Sonntag der einstigen Bewohnerin der Burg widmet: der Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff. Ende des 18. Jahrhunderts kam sie auf der Burg zur Welt - und gilt heute als die wohl bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin ihrer Zeit. Dafür musste sie sich gegen viele Widerstände durchsetzen. Denn als Frau und noch dazu als Adelige war sie damals alles andere als prädestiniert fürs Schreiben. Das Festival feiert Annette von Droste-Hülshoff daher als frühe Vorreiterin des Feminismus – und hat Künstlerinnen und Schriftstellerinnen eingeladen, die sich heute mit ihren Werken für die Gleichberechtigung einsetzen. "Annettes Erbinnen" sozusagen.
Jörg Albrecht ist künstlerischer Leiter auf der Burg Hülshoff. Die Besucher sollen die hohen Schuhe lieber zu Hause lassen, schreiben Sie auf Ihrer Website. Ist diese Empfehlung schon Teil des Festival-Programms?
Jörg Albrecht: Die ist erst mal einfach ganz pragmatisch, weil wir im Rüschhaus, wo wir das Festival feiern – das ist ja der Ort, wo die Droste dann später lebte und schrieb -, einfach auch einen musealen Raum haben. Und wir haben da Böden, die ganz empfindlich sind. Von daher: Pfennigabsätze sind einfach "no go". Aber nur in der Hinsicht, ansonsten immer gern gesehen.
"Mit den allerersten Frauenrechtlerinnen befreundet"
Seidel: Trotzdem würde ja Annette von Droste-Hülshoff heute wahrscheinlich keine High Heels, sondern eher Turnschuhe tragen. Immer schön hübsch und adrett aussehen, das war nach allem, was man so weiß, wohl nicht ihr Ding. Aber jetzt mal abgesehen von solchen Äußerlichkeiten: Was macht sie zu einer feministischen Schriftstellerin?
Albrecht: Annette von Droste-Hülshoff hat ja als Frau damals geschrieben und publiziert und ganz selbstbewusst von Anfang an, wirklich in ganz jungen Jahren schon, damit begonnen, literarisch tätig zu sein, zu denken, sich hinaus zu wagen mit Positionen, die unbequem waren. Ich glaube, das ist genau das, was Feminismus heute auch noch macht. Dazu kommt historisch, dass sie tatsächlich mit den allerersten Frauenrechtlerinnen auch befreundet war, mit denen regen Austausch hatte. Und das alles in allem reicht schon, um für uns zu sagen: Wir feiern sie und feiern dieses Erbe in dem Festival.
Seidel: Äußert sich dieser Feminismus auch ganz konkret in Annette von Droste-Hülshoffs literarischem Werk? "Die Judenbuche" jetzt zum Beispiel, ihre wohl berühmteste Novelle: Finden sich darin konkrete Spuren ihres Feminismus?
Albrecht: "Die Judenbuche" würde ich da jetzt mal außen vor lassen. Aber sie hat tatsächlich in ganz jungen Jahren auch ein Theaterstück angefangen - das blieb nur Fragment -, wo es eine Figur gibt, die sich mit ihrer Schwester auseinandersetzt; genau über diese Fragen: Wie weiblich darf eigentlich eine Frau sein, oder wie weiblich muss eine Frau sein? Wie männlich darf sie sein, wie sehr darf sie eigentlich gesellschaftliche Ansprüche geltend machen? Das zieht sich dann durchs ganze Werk, immer wieder in verschiedenen Figurenkonstellationen, in der Prosa, aber auch in der Lyrik: dieser Anspruch, einfach genau das gleiche zu gelten. Da sind wir auch schon beim Grundsatz des Festivals. Es geht ja auch gar nicht nur darum, jetzt Mann gegen Frau auszuspielen, sondern zu sagen, alle Geschlechter, die existieren, sind gleich. Ich glaube, diesen Anspruch vertritt sie in ihrer Sprache, in ihrer Magie, die sie mit der Sprache entwickelt, einfach absolut eigentlich in jedem Text. Aber "Die Judenbuche" ist vielleicht sogar das schlechteste Beispiel dafür.
"'Institut für Chauvinistische Weiterbildung' zu Gast"
Seidel: Sie haben jetzt zu Ihrem Festival Schriftstellerinnen und Künstlerinnen eingeladen, die den Kampf um Gleichberechtigung im Jahr 2019 fortführen. Nennen Sie uns vielleicht ein paar Beispiele. Wer sind diese Erbinnen von Annette von Droste-Hülshoff?
Albrecht: Ich nehme mal die Beispiele, die wir jetzt heute bei der Eröffnung haben werden. Das sind zwei Eröffnungsrednerinnen, nämlich Eva Meyer und Sharon Dodua Otoo, die uns zwei Texte mitbringen werden, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Sharon Dodua Otoo spricht eigentlich darüber, wie weiß das Erbe von Droste-Hülshoff auch ist. Sie als "Künstlerin of Colour" beschäftigt sich natürlich sehr stark damit und sucht da schon auch sehr liebevoll - jetzt gar nicht unnötig kritisch, sondern im besten Droste-Hülshoff-Sinne ganz nötig kritisch - mit diesem Erbe. Während Eva Meyer fast das Gegenteil macht und sich erstmal ganz auf die Ästhetik bezieht und sagt: Das Musikalische bei Droste, das was dadrunter liegt, diese Sprachmusik, die ist eine Kategorie, eine Qualität, die sich so einem männlichen Universalschaffen, wie wir das bei Goethe oder so haben, widersetzt. Es ist ein ästhetischer Widerstand.
Dann haben wir als dritten Punkt heute Abend noch das "Institut für Chauvinistische Weiterbildung" zu Gast. Das sind fünf Dramatikerinnen, die sich zusammengeschlossen haben - auch aus einer solidarischen Geste heraus -, um im Kunst-, vor allem im Theaterbetrieb, zusammen zu bestehen. Die schreiben auch alle einzeln, aber sie machen jetzt für uns zusammen auch einen gemeinsamen Text, die "Droste-Lectures", im Anschluss an Droste-Hülshoff. Da finden wir auch Kritik an der Schicht, aus der die Droste stammte, am Adel, eine Milieu-Kritik, und auch durchaus kritische Töne zu dem Werk. Aber auch eine sehr zugewandte Auseinandersetzung damit, und immer die Frage, wie weit sind wir heute, wohin geht es. Uns ist wichtig, dass wir da eigentlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirklich zusammenbringen und immer in der Perspektive auf die Vergangenheit in der Gegenwart auch die Zukunft sehen: Wohin wollen wir? Das ist, glaube ich, auch im besten Sinne Drostes.
"Radikale Gegenwartskünstlerin"
Seidel: Trotzdem, Herr Albrecht, hatte ich den Eindruck, dass es manchmal dann doch ein recht weiter Bogen ist, den Sie versuchen zu schlagen auf Ihrem Festival. Ich greife da noch mal ein weiteres Beispiel heraus: Sie laden zum Beispiel ein ins "klitorianische Lesezimmer". Das ist doch jetzt schon ein gewagter Schritt von der praktizierenden Katholikin Annette von Droste-Hülshoff hin zu Veranstaltungen mit solchen Titeln, oder?
Albrecht: Ja, natürlich. Aber wir sind ja nun mal auch weiter, als vor 200 Jahren die Droste'sche Gesellschaft war, und das muss sich ja auch wiederspiegeln. Droste selber war eine radikale Gegenwartskünstlerin. Das hat sie auch so formuliert. Und wir wollen Leute einladen, die genau das auch heute tun. Dieses "klitorianische Lesezimmer" wird das machen. Es wird eine Rauminstallation sein, die - natürlich fiktiv - die beiden Teenager-Zimmer von Annette und ihrer Schwester Jenny rekonstruiert und da auf die Klitoris fokussiert und sagt: Was bedeutet so ein Geschlechtsorgan, wie können wir das lesen von außen? Das hat ja schon wieder ganz viel mit Normen und so zu tun, also dem, womit sich die Droste immer beschäftigt hat. Aber wie kann vielleicht so ein Organ selber auch lesen? Und da sind wir wieder in der Zukunft des Lesens, weil wir ja gerade dabei sind, in eine digitale Zukunft zu gehen, wo Objekte auch anfangen, uns zu scannen und so weiter. Ich glaube, dass das ein breiter Bogen oder ein weiter Bogen ist, den wir da schlagen. Aber müssen wir auch, um einfach die Vielfalt der Kunst abzubilden, wie sie heute da ist.
Seidel: Und schon auch ein bisschen der Versuch, Annette von Droste-Hülshoff wirklich radikal modern zu deuten, ihr Werk vielleicht auch ein bisschen zu entstauben?
Albrecht: Ich glaube, das Werk muss gar nicht entstaubt werden. Das ist modern. Wenn wir es lesen, ist es eine wahnsinnige Kraft und Aktualität, die da drin ist, auch in der Sprache. Ich glaube, die Ansätze, die früher da waren, die waren staubig. Das Werk war es nicht und das zeigen wir auch mit dem Festival wieder ganz klar.
"Wir benutzen gern das Gendersternchen"
Seidel: Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammendenken auf diesem Festival. Wo, würden Sie sagen, stehen wir denn heute? Was bedeutet es heute, als Frau Künstlerin oder Schriftstellerin zu sein, gerade auch im Vergleich zur Zeit von Annette von Droste-Hülshoff? Würden Sie eher sagen, wir haben schon viel erreicht, oder wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns?
Albrecht: Ich würde sagen, wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns, auch wenn wir viel erreicht haben. Auch im Kunstbetrieb. Es sind ja ganz strukturelle Probleme, die immer mehr zu Tage treten, über die wir auch immer mehr nachdenken und eine Sprache dafür finden können. Und, vielleicht noch mal als Zusatz: Wir benutzen gern das Gendersternchen, und so ist es auch gemeint. Wir haben Leute im Festival, die nicht nur weiblich sind, und auch nicht Leute, die nur männlich sind, sondern auch Menschen dazwischen. Das ist wirklich wichtig zu wissen, dass es natürlich um alle Geschlechter geht. Denn ich glaube, worauf der Feminismus, wenn wir ihn ernst nehmen, hinaus will, ist ja, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen unabhängig vom Geschlecht ihr Glück finden können, ihre Kunst produzieren können, ein Werk vorlegen können, einfach arbeiten können, sein können. Das ist, glaube ich, die Perspektive, die wir wählen, und da ist natürlich noch wahnsinnig viel zu machen. Gerade jetzt in Zeiten, in denen einige Gruppen der Gesellschaft auch wieder ganz weit zurück wollen, ist es doch ganz gut, entschieden nach vorne zu gucken und zu sagen: Ja, genau dahin wollte Annette von Droste-Hülshoff in ihrem Schaffen auch.
Seidel: Sie haben für dieses Festival einige wirklich bekannte Schriftstellerinnen begeistern können – Karen Duve zum Beispiel, die im vergangenen Jahr einen Roman über die junge Annette von Droste-Hülshoff veröffentlicht hat. Außerdem – Sie haben es angesprochen – die Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo, die die Eröffnungsrede hält. Haben Sie den Eindruck, dass Annette von Droste-Hülshoff gerade auch insgesamt eine Renaissance erlebt? Kann man das so sagen?
Albrecht: Es ist auf jeden Fall so, dass ganz viele Menschen sich mit ihr wieder beschäftigen. Das hat schon vor ein paar Jahren angefangen. Und ich glaube, es hat damit zu tun, dass die Sprache oder die Sprachen – es sind ja ganz unterschiedliche Stile, die die Droste in ihren Texten findet oder sucht und findet – einfach so stark sind, dass sie wirklich eine Zauberin mit der Sprache ist. Und das führt nämlich dazu, dass die Themen, die sie für damals verhandelt, heute auch noch berühren, auch noch treffen, weil die Sprache das schafft, weil das so ein ausgefeilter Stil ist, den wir über Rhythmen, über Musikalisches wirklich auch im Körper spüren. Ich glaube, das entdecken ganz viele wieder. Karen Duve ist ein ganz tolles Beispiel, weil sie in dem Roman natürlich auch das explizit aufgreift, was uns in dem Festival umtreibt. Und das in einer Mischung aus einer Sprache von damals, die wie auf einer Zitatebene auftaucht, und einer ganz heutigen Sprache. Aber ich merke, wenn wir Menschen jetzt ansprechen, für uns was zu schreiben, Projekte zu entwickeln – selbst wenn wir das Wort "Werk der Droste-Hülshoff" gar nicht sagen: Die Leute kommen natürlich über die Verbindung, die wir als Droste-Stiftung haben, einfach darauf und beschäftigen sich dann damit und sehen selber, wie stark anschlussfähig das Werk ist und wie wichtig für uns heute diese ganzen Themen in der Art und Weise, wie sie sie aufbereitet, auch noch sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.