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Druck auf die Opposition

Alexander Lukaschenko beherrscht Weißrussland seit 16 Jahren. Die Opposition ließ er in dieser Zeit verfolgen, Demonstrationen niederprügeln, die Medien zensieren - wie auch jetzt kurz vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag.

Von Robert Baag | 17.12.2010
    Für viele der gut eintausend Demonstranten auf dem Oktoberplatz im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt Minsk waren vor Kurzem diese 15 Minuten eine Art Generalprobe für den kommenden Sonntag. Sie hoffen, dass der neue Präsident der Republik Belarus, so heißt Weißrussland offiziell, nicht mehr Aleksandr Lukaschenko sein wird. Tatsächlich aber ahnen sie, dass es am Ende dann doch wieder so kommt. 16 Jahre ist Lukaschenko schon im Amt - vier weitere Jahre also für jenen Mann, der immer wieder mal als der "letzte Diktator Europas" bezeichnet wird? Dann wollen sie aber wenigstens am 19. Dezember, ab 20 Uhr, hier, auf dem Oktoberplatz, wieder zusammenkommen und protestieren, sollte das vorläufige Wahlergebnis tatsächlich erneut so verkündet werden.

    Immerhin: Diesmal hat es ihm gefallen, ein bisschen mehr Demokratie zu spielen, wie einzelne Oppositionelle vebittert-ironisch anmerken. Eine Show, vor allem für die westliche Öffentlichkeit, klagen sie. Diese Demonstration etwa: Sie ist nicht erlaubt worden. Doch die Miliz und der KGB, wie Lukaschenkos Geheimdienst alter sowjetischer Tradition immer noch heißt, haben sie auch nicht auseinandergejagt, wie das früher die Regel gewesen ist. Neun Gegenkandidaten dürfen sich an Lukaschenko wund reiben, werden von "Bat'ka", dem "Väterchen", so des Präsidenten Spitznamen im Volk, im eigenen Staatsfernsehen mal beschimpft, mal lächerlich gemacht. - Auch wenn sie sich selbst nicht auf einen einzigen Gegenkandidaten einigen konnten, haben die drei, vier landesweit wenigstens halbwegs bekannten Oppositionspolitiker mindestens ein gemeinsames Anliegen an das Wahlvolk.

    "Gebt eure Stimme nicht vorfristig, vor dem Wahlsonntag, ab! Denn sie werden eure Stimme stehlen!", ruft beschwörend der Ex-Berufsoffizier und sich als Sozialdemokrat verstehende Nikolaj Statkievitsch seinen Anhängern zu - ähnlich auch der Liedermacher Vladimir Nekljajev, der ein wenig schillernde Spitzenkandidat der Bewegung "Sag die Wahrheit!" - "Govori Pravdu!". Eindringlich wiederholt er ein ums andere Mal, auf weißrussisch und auf Russisch:

    "Geht nicht vor dem Sonntag wählen. Habt keine Angst. Niemand darf euch dazu zwingen und dafür bestrafen. - Wenn ihr aber doch tut, dann werden eure Stimmen, die ihr für mich oder einen anderen demokratischen Kandidaten abgegeben habt, nur Lukaschenko gutgeschrieben. Denn das so genannte ‚vorfristige Wählen' ist das Hauptinstrument, um die Wahl zu fälschen."

    Auf Staatsangestellte, Soldaten, Studenten wird denn auch seit Anfang dieser Woche ganz offensichtlich wieder Druck ausgeübt - wie in den Jahren zuvor, lässt sich das im Internet bereits nachlesen. Wer sich nicht fügt, dem wird offen oder subtil mit Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, im Studium gedroht. Dagegen versucht Statkievitsch die Menschen zu mobilisieren:

    "Wählt! Unbedingt! Aber nicht vor dem 19. Dezember! Wenn ihr nicht wählt, werden die für euch wählen! - Wenn ihr am Sonntag um zwanzig Uhr in euer Wahllokal kommt, würdet ihr sehen, dass neben eurem Namen im Verzeichnis jemand anders unterzeichnet hat. Sammelt einfach zehn Unterschriften eurer Nachbarn. Dann könnt ihr als Beobachter in der Wahlkommission eures Wahllokals mitmachen. Fordert, dass die Stimmzettel öffentlich, in eurer Anwesenheit ausgezählt werden!"

    Der dunkle Minsker Winterabend verschluckt die letzten Demonstranten. Der Pensionär Vassilij, ein ehemaliger Universitätsdozent, hakt Ehefrau Galina unter. Er ist ganz bewusst zu dieser Demonstration gekommen. Er weiß, dass Geheimpolizisten in Zivil vom KGB diese Kundgebung eifrig mitgefilmt haben. Angst vor möglichen Folgen nach der Wahl hat er nicht. Der 64jährige will sich seine Meinung nicht verbieten lassen.

    "Wir wissen es doch alle", sagt er: "Freie Wahlen gibt es nicht in diesem Land! Gefälscht werden die hier schon lange."


    Aber, setzt seine gleichaltrige Ehefrau Galina, eine ehemalige Architektin, hinzu:

    "Viele sitzen nur in der Küche und klagen, wie schlecht es ihnen geht. Ich mit meiner Krücke hier hab's bestimmt nicht einfacher als sie. Aber wenn wir nicht auf die Straße gehen, wenn wir überhaupt nichts tun, dann bleibt eben alles beim Alten - und wir werden weiter in unseren Küchen herumsitzen!"