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Zwanzig Demonstranten ziehen durch die Altstadt von Damaskus. Schweigend marschieren sie durch den Suq al Hamidye, den traditionellen Stoffmarkt, vorbei an eleganten Abendkleidern, bestickten Tischdecken und Galabias, langen arabischen Gewändern. Keine lauten Parolen, keine Trommeln, was sie sagen wollen, steht auf den weißen Tüchern, die sie sich umgebunden haben: "La ila al harb, nein zum Krieg". Der Krieg im Irak sei zwar offiziell vorbei, sagt Nauras, aber Gewalt und Aggression in der Region gingen weiter. Deswegen demonstriert der 27-jährige Computerspezialist weiterhin einmal pro Woche.

Kristin Helberg |
    Wir können gegen die Tyrannen in Amerika nicht mit Waffen vorgehen, wir haben keine Waffen, und wir brauchen keine Waffen. Denn wir wollen keinen Dritten Weltkrieg anfangen, sondern eine Friedensbewegung gründen, die sich gegen die Amerikaner erhebt zusammen mit anderen Friedensbewegungen überall auf der Welt.

    Die ungewöhnlich stille Demonstration erreicht die Omayadenmoschee, Damaskus größte und schönste Moschee, zugleich Mittelpunkt der Altstadt. Waseem, ein syrischer Geschäftsmann, kommt aus seinem Laden und mustert das Grüppchen interessiert. Auch er kritisiert die amerikanische Nahostpolitik.

    Der Krieg hat vor allem den Israelis gedient. Es ging nicht um Saddam oder um Massenvernichtungswaffen. Es geht um die Unterstützung der Israelis, das ist kein Geheimnis, jeder weiß das. Die Amerikaner sagen nie das, was sie meinen, das erleben wir seit 50 Jahren. Es ist nicht das erste Mal, dass wir Syrer beschuldigt werden und die Zeit wird ans Licht bringen, dass wir immer zu Unrecht angeklagt werden.

    Die Amerikaner im Osten, Israel im Südwesten, seit dem Irakkrieg fühlen sich die Syrer in der Klemme. Die Bedrohungen von außen schweißen die Menschen im Innern zusammen, selten waren sich Regierung und Volk so einig. Im Gegensatz zu Jordanien oder Ägypten vertreten Syriens Machthaber außenpolitisch das, was die Leute auf der Straße denken: dass die USA mit Krieg und Gewalt keine Demokratie bringen, sondern eigene wirtschaftliche Ziele verfolgen und den Nahen Osten zugunsten Israels neu ordnen wollen.

    Durch die Irakkrise habe die Stimme von Präsident Bashar al Assad mehr Gewicht bekommen, sagt Sadik al Azm, ein renommierter Intellektueller des Landes, der an der Universität von Damaskus europäische Philosophie lehrt.

    Während dieser schweren Krise war er der einzige, der auf politischer Ebene ausgesprochen hat, was Millionen von Arabern überall in der Welt fühlen. Das ist eine Bestätigung für die Regierung. Es gibt ihnen zusätzliche Legitimität und stärkt ihren arabischen Nationalismus.

    Bashar al Assad ist ein kühler Stratege, der auf Diplomatie und Verhandlungen setzt. Als sein Vater Hafiz al Assad im Juni 2000 starb, hatte der damals 34-jährige wenig politische Erfahrung und keine gesicherte Machtbasis innerhalb des Systems. Er versprach Reformen und weckte Hoffnungen auf mehr Demokratie und Freiheit, doch der so genannte Damaszener Frühling währte nicht lange. Wer sich – nach Auffassung der Machthaber – zu kritisch äußerte, landete im Gefängnis, die Geheimdienste spitzeln bis heute.

    Neben vielen politischen Gefangenen aus früheren Zeiten sitzen seitdem neun Bürgerrechtler hinter Gittern. Wegen "Versuchs der Änderung der Verfassung mit illegalen Mitteln" wurden sie im vergangenen Jahr zu zwei bis 10 Jahren Haft verurteilt. Immer wieder hatten sie die Regierung zu Grund legenden Reformen aufgefordert, vergeblich. Bis heute existieren viele der angekündigten Maßnahmen nur auf dem Papier. So einig sich Bevölkerung und Regierung in außenpolitischen Belangen sind – nein zum Irakkrieg, nein zu einer Vormachtstellung der USA in der Region – so unzufrieden sind die Syrer deshalb mit der innenpolitischen Situation. Korruption, Misswirtschaft, keine Rechtssicherheit, kaum Mitbestimmung, eine eingeschränkte Meinungsfreiheit und fehlende politische Alternativen machen Syrien zu einem autoritären System, das zwischen halblebigem Sozialismus und halbherzigen Reformen schlingert.

    Schuld an der Misere ist in den Augen der meisten Syrer jedoch nicht der Präsident, sondern eine alte Garde aus Militärs, Geheimdienstlern und Parteigenossen - allesamt einflussreiche Vertreter des früheren Regimes. Selbst bei Regierungskritikern sei Bashar beliebt, sagt Tariq, ein Arzt, der vierzig Jahre lang in Deutschland gelebt hat.

    Ich gehöre zu der Opposition, ganz bestimmt. Ich kann nie akzeptieren, dass eine Partei das Land regiert. Aber seine Person, so wie ich ihn einschätze, habe ich den Eindruck, dass der Mann nicht schlecht ist, ganz im Gegenteil. Er will das Gute, aber es gibt so viele Faktoren, die ihn daran hindern, es ist undurchsichtig.

    Bis heute hat sich der junge Präsident nicht vom Einfluss der alten Garde befreit. In Damaskus kommen deshalb erste Zweifel auf, wie stark Bashars Reformwille in Wirklichkeit ist. Fest steht, dass die ominösen Machthaber im Hintergrund dem Land doppelt schaden: Innenpolitisch bremsen sie die Reformkräfte, außenpolitisch liefern sie den USA Argumente für ihre Kritik. Syrien müsse sich demokratisieren, fordern die Amerikaner und ziehen Parallelen zum Irak.

    Da der zurückhaltende Bashar sich schwerlich mit Saddam Hussein vergleichen lässt, berufen sie sich auf die Ähnlichkeit der Systeme: Formal sozialistisch, Ein-Parteien-Herrschaft, mächtiger Sicherheitsapparat aus Militär und Geheimdiensten. Syrien gilt den Amerikanern als Schurkenstaat, sie behaupten, Damaskus strebe nach Massenvernichtungswaffen. Die Regierung Assad bestreitet das, Beweise liegen bislang nicht vor. -- Der Mangel an Demokratie und Freiheit diene den Amerikanern nur als Vorwand, um ihre Interessen in Syrien durchzusetzen, sagt dagegen Samir al Taqi, ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter. Wie viele andere Regimekritiker sieht Taqi in der momentanen Situation eine Chance: Den wachsenden Gefahren von außen könne nur ein innenpolitisch gefestigtes Syrien begegnen. Die Forderungen nach Reformen sollten das Land also stärken, nicht schwächen.

    Die Leute diskutieren darüber, wie wichtig Reformen sind, um Syrien zu festigen gegen die Amerikaner. Wir beugen uns nicht einfach ihren Forderungen, nein. Wir überlegen, wie wir die syrische Gesellschaft, die syrische Wirtschaft, den syrischen Staat widerstandsfähiger machen können, damit uns nicht so etwas passiert wie Bagdad.

    Die Ereignisse der vergangenen Monate geben Grund zur Hoffnung. Laut einem Regierungsbeschluss dürfen sich Parteifunktionäre nicht mehr in die Arbeit der Behörden einmischen. Bei der Vergabe von Posten soll die Parteizugehörigkeit des Kandidaten keine Rolle mehr spielen. Präsident Assad junior hat außerdem eine Amnestie erlassen. Sie betrifft vor allem Wehrdienstverweigerer, allerdings sind auch mehr als 90 politische Gefangene frei gekommen. Schon vor der Amnestie durfte Ibrahim Al Hamidi das Gefängnis verlassen. Der syrische Korrespondent der wichtigen arabischen Zeitung Al Hayat saß monatelang in Untersuchungshaft wegen eines Artikels über Syriens Vorbereitungen auf den Irakkrieg. Auch Syriens bekanntester Oppositioneller Riad al Turk ist wieder auf freiem Fuß. Nach Protesten aus dem Ausland hatte Bashar den 73-jährigen begnadigt.

    All diese Entscheidungen seien Schritte in die richtige Richtung, meinen Syriens Intellektuelle. Aber sind sie wirklich der Beginn einer neuen Ära? Dienen sie nicht viel mehr dazu, das schlechte Image des Landes kurzfristig aufzupolieren? Die nächsten Monate werden zeigen, wie ernst es der syrischen Regierung mit Reformen ist. Bashar al Assad hat einen neuen Ministerpräsidenten ernannt: Mohammed Naji Otri, ein Ingenieur mit guten Verbindungen zu alter und junger Garde. Das von ihm aufgestellte Kabinett ist allerdings enttäuschend: Schlüsselfiguren des alten Regimes wie der Verteidigungs- und der Außenminister sind weiterhin im Amt, insgesamt gab es kaum Personalwechsel. Dabei bräuchte das Land dringend neue Köpfe, die Mut zu tief greifenden Veränderungen haben: zum Beispiel ein neues Parteiengesetz auszuarbeiten und freie Wahlen mit echten Alternativen zuzulassen. Ein frei gewähltes syrisches Parlament müsste alle Gesellschaftsgruppen vertreten, sagt Sadik al Azm. Als überzeugter Säkularist und Anhänger Immanuel Kants plädiert er jedoch dafür, religiöse Parteien von vorneherein zu verbieten. Ein aufgezwungener Säkularismus nach dem Vorbild Europas könnte allerdings scheitern, da Religion im syrischen Alltag eine wichtige Rolle spielt und sowohl Islam als auch Christentum tief verwurzelt sind. Michel Kilo, ein führender Oppositioneller, sieht in der Verbindung von Religion und Politik kein Hindernis für Demokratie. Einen radikalen Islam fürchtet er in Syrien nicht.

    Es gab nie in Syrien so einen starken Integrismus, wie man immer außerhalb Syriens denkt, vor allem unter dem Einfluss der Amerikaner denkt, Islam bedeutet Integrismus und Fanatismus, das stimmt nicht. Es gibt nur eine Chance für den gemäßigten Islam. Die Islamisten, die jetzt die Bewegung führen, bekennen sich alle zur Demokratie, demokratisch denkende Muslime. Das sind Leute, die sagen, die Demokratie ist die Lösung, aber gefüllt mit unserem islamischen Gedankengut, warum nicht?

    Kilo – selbst Christ – will mit diesen Muslimen ins Gespräch kommen, denn sie machen die große Mehrheit der Gesellschaft aus. Viele Syrer wünschen sich eine moderne islamische Demokratie, die ihnen politische und wirtschaftliche Freiheit bringen und islamische Grundwerte sicherstellen würde. So auch Leila, eine 48-jährige Geschäftsfrau, die zwischen Syrien und den USA pendelt.

    Ich will Freiheit, ich will keinen Druck spüren bei der Erziehung meiner Kinder. Aber das können wir alleine erreichen. Wir wollen unsere eigene Demokratie, denn wir haben eine andere Lebensweise als der Westen. Der Präsident kennt unsere Mentalität, und er geht Schritt für Schritt in Richtung Demokratie.

    In einigen Bereichen des Alltags hat sich tatsächlich etwas getan: Dank Satellitenfernsehen und Internet können sich die Syrer frei informieren, Handys gehören zur Grundausstattung trendbewusster Teenager. Demnächst sollen private Banken und Universitäten eröffnen – die ersten Lizenzen sind bereits vergeben. Auf diese Reformen warten Syriens Unternehmer schon lange. Noch immer befinden sich weite Teile der syrischen Wirtschaft in staatlicher Hand. Wer als Privatperson Geschäfte machen will, braucht gute Verbindungen in die zuständigen Ministerien, sagt Elie Abou Fadel, ein syrischer Unternehmer, der jahrelang für die deutsche Lufthansa gearbeitet hat.

    Die großen Geschäfte sind leider immer noch durch bestimmten Kreis von Personen konzentriert. Es gibt Schlüsselpersonen und man muss normalerweise durch diese Leute an das Geschäft kommen entweder in partnership oder als Mittelsmänner.

    Wer die Spielregeln nicht kennt, bleibt auf der Strecke – kein Wunder, dass westliche Investoren bislang ausbleiben. Nur schrittweise öffnet Syrien seine Märkte für ausländische Produkte, viele von ihnen sind aufgrund hoher Importzölle teuer. Die Regierung will den syrischen Unternehmen Zeit lassen, sich auf die zukünftige Konkurrenz vorzubereiten. Andernfalls befürchtet sie einen Bankrott und Ausverkauf der heimischen Wirtschaft. Schon jetzt schätzen Experten die tatsächliche Arbeitslosigkeit in Syrien auf 30 Prozent. Selbst wer eine feste Anstellung hat, kommt damit kaum über die Runden. Weil die Löhne so niedrig sind, brauchen viele Arbeitnehmer zwei bis drei Jobs, um die Familie einigermaßen durchzubringen. Sie fahren nach Feierabend Taxi, geben Privatunterricht oder helfen in Restaurants aus. Für Syriens Kaufleute hat sich dagegen einiges verbessert. Sie können viel einfacher Ware importieren als früher, sagt Ziad, der in der Altstadt einen großen Küchenladen betreibt. Der Händler ist überzeugt, dass Bashar al Assad innen- und außenpolitisch das Richtige tut.

    Ich vertraue meinem Präsidenten, er wird alles auf diplomatischem Weg lösen. Denn er will Frieden für sein Volk und sein Land.

    Überhaupt seien die Syrer friedliebende Menschen, sagt Ziad. Er behauptet, gegen jede Form von Terrorismus zu sein. Dabei muss man wissen, dass palästinensische Gruppen wie Hamas, Hisbollah und Islamischer Jihad in Syrien nicht als Terroristen-, sondern als Widerstandsbewegungen gelten.

    Um was geht es Hisbollah und Hamas? Um die Sicherheit der Palästinenser, sonst nichts. Sie gehen nicht nach Deutschland oder Amerika. Wenn du kämpfst, um dein Land zu verteidigen, ist das Terrorismus? Nein. Terrorismus ist, wenn wir jemanden nach Deutschland schicken, in die USA oder sonst wo hin, um dort etwas zu zerstören. Das ist Terrorismus, aber wir verteidigen hier unser Land.

    Einige der Organisationen unterhalten Büros in Damaskus, deswegen werfen die USA und Israel den Syrern vor, Terrorismus zu unterstützen.

    In einem unscheinbaren mehrstöckigen Gebäude inmitten des Palästinenserviertels Yarmouk hat die Hamas ihr Büro. Offiziell Informationsstelle, inoffiziell politisches Hauptquartier. Mit den politischen Aktivitäten sei es jetzt vorbei, sagt ein Nachbar und zeigt nach oben. Im vierten Stock sind die Rollläden heruntergelassen.

    Die Büros sind seit längerem geschlossen, hier in der Gegend ist nichts mehr, alles ganz normal.

    Wie die meisten anderen palästinensischen Organisationen hat die Hamas kein Interesse daran, die syrische Regierung in Schwierigkeiten zu bringen – schließlich haben viele ihrer Vertreter und Anhänger hier politisches Asyl erhalten. Die Hamas verhält sich deshalb ruhig in Damaskus: keine Pressekonferenzen, keine Interviews, keine politischen Treffen oder Äußerungen.

    Um Konflikten aus dem Weg zu gehen, hat Bashar al Assad sich so weit wie möglich aus dem Palästinakonflikt zurückgezogen. Israel besetzt auf dem Golan noch immer einen Teil des syrischen Staatsgebietes, offiziell befinden sich die beiden Länder im Kriegszustand. Nach dem Ende des Regimes von Saddam Hussein habe Israel keinen ernst zu nehmenden Gegner mehr in der Region, sagt Sadik al Azm. Ein Problem für Syrien.

    Wenn der Irak unter einer neuen Regierung Frieden mit Israel schließt, würde das alles ändern und den Syrern das Leben schwer machen. Es könnte sich eine informelle Achse bilden: Kuweit, Qatar, Irak, Jordanien, Israel – das würde Syrien in eine schwierige Lage bringen.

    Syrien ist jetzt umringt von USA-freundlichen Staaten. Um sein Land nicht weiter zu isolieren, gibt sich Präsident Assad offen und dialogbereit – in Wirklichkeit bleibt ihm nichts anderes übrig als den Amerikanern entgegen zu kommen. Syrien sitzt in der Zwickmühle: Einerseits will es sich die Regierung in Damaskus mit niemandem verderben, andererseits versucht sie, Stärke zu zeigen. Einerseits suchen Präsident und Außenminister die Nähe zu Europa und machen den Amerikanern Zugeständnisse, andererseits beharren sie auf ihren Positionen. Daraus ergibt sich eine gefährliche Gratwanderung: Syrien unterstützt radikale Palästinensergruppen, gleichzeitig bekämpft es an der Seite der USA den Terrorismus. Seit langem pflegt Damaskus enge Beziehungen zum Iran, aber auch mit den Amerikanern möchte die Regierung Assad gut Freund sein. Den Besuch des amerikanischen Außenministers Powell Anfang Mai bezeichnete die syrische Seite als "konstruktiv und positiv", kurz darauf zeigte sich die Regierung Assad reformfreudig: Ab diesem Schuljahr tragen Syriens Kinder neue Schuluniformen, statt wie kleine Soldaten in dunkelgrün gehen sie dann in grau-blau. Außerdem wurden das Militärtraining und das Fach Nationalkunde vom Lehrplan gestrichen. Ein Zufall? Michel Kilo winkt ab.

    Nein, das ist nicht Zufall, das sind die Forderungen der Amerikaner. Die Amerikaner haben gesagt, es gibt Strukturen innerhalb der Schule, der Erziehung, der Armee des Landes, die abgeschafft werden müssen. Ich hoffe, dass sie so schnell in den Fragen der Reformen sein werden nach Verlangen der Bevölkerung als nach dem Verlangen der Amerikaner.

    Die Wünsche der Bevölkerung seien keineswegs identisch mit denen der Amerikaner, will Kilo damit sagen. Washington verfolge seine eigenen Ziele, für Demokratie und Freiheit müssten die Syrer selbst eintreten.

    Traditionell sind die Amerikaner nicht mit der Opposition in Syrien gewesen, traditionell sind die Amerikaner mit dem Regime gewesen. Traditionell sind die Amerikaner nicht mit der Demokratie gewesen, sie sind traditionell mit der Diktatur gewesen. Jetzt gibt es andere Verhältnisse, ja natürlich, das nutzt ein bisschen. Weil wenn diese Verhältnisse verändert werden, dann wird alles verändert, nicht nur die Stimmung in der Opposition, sondern auch die Gleichgewichte, die Kräfteverhältnisse, die Stimmung der Regierung und alles Mögliche.

    Es bewegt sich etwas in Syrien. Nicht nur kritische Köpfe der Zivilgesellschaft diskutieren die Probleme des Landes offener als bisher, sondern auch Vertreter des Regimes. In der Baathpartei, in Militär- und Geheimdienstkreisen macht man sich ernsthaft Gedanken über Veränderungen. Die Botschaft ist klar: Syrien ist kein zweiter Irak, die Syrer brauchen keine vermeintliche Befreiung von außen. Selbst die Opposition stellt nicht das System an sich in Frage, sondern fordert Veränderungen von innen: die Aufhebung der Notstandsgesetze, die Freilassung der politischen Gefangenen, ein neues Parteiengesetz, mehr Freiheit und Mitbestimmung. Eine organisierte Opposition oder Bürgerbewegung gibt es in Syrien bislang nicht. Michel Kilo bereitet deshalb mit einigen anderen Regimekritikern einen landesweiten Kongress vor. Dort sollen sich sämtliche Reformkräfte erstmals treffen, um eine breite demokratische Plattform zu gründen.

    Entweder wird das Land sich selbst reformieren, sich selbst stärker machen, seine Probleme mit seinen eigenen Kräften loswerden in einer großen gemeinsamen Anstrengung, an der alle möglichen Teile des Landes zusammenarbeiten, oder werden wir alle verlieren.