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"Dschungel von Calais"
Wohin mit den Flüchtlingen?

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat sich für eine Räumung des sogenannten "Dschungel von Calais" ausgesprochen. Die Lebensbedingungen im Lager seien "erbärmlich". Doch bisher gibt es keinen konkreten Räumungsplan und es ist weiter unklar, wohin mit den bis zu 10.000 Flüchtlingen.

Von Jürgen König |
    Blick auf das Flüchtlingslager in Calais, das auch als "Dschungel" bezeichnet wird, im August 2016.
    Blick auf das Flüchtlingslager in Calais, das auch als "Dschungel" bezeichnet wird, im August 2016. (AFP / PHILIPPE HUGUEN)
    Ende September hatte Staatspräsident Francois Hollande angekündigt, das Flüchtlingslager, der "Dschungel von Calais", werde noch in diesem Jahr geräumt. Doch wann das sein wird, das sagt niemand. Was bei den in Calais arbeitenden Hilfsorganisationen auf Unverständnis stößt. Bei Ronja zum Beispiel, 23 Jahre alt. Schon seit Februar kocht sie für die Hilfsorganisation "L‘Auberge des migrants", die eng mit der britischen Einrichtung "Refugee Community Kitchen" zusammenarbeitet. Täglich versorgen sie rund Zweieinhalbtausend Menschen.
    Unklar, wann die Räumung sein wird
    "Und das ist natürlich für uns als Organisation und für die Menschen hier superschwer und ist eigentlich nicht in Ordnung, dass das nicht klar kommuniziert wird, wann genau und wie auch, sondern das ist dann wahrscheinlich so, dass irgendwann mal morgens kommt hier einfach ein Aufmarsch von vielleicht 1.000 Polizisten und dann wird alles zerstört. Und dann haben die Menschen nicht die Zeit, ihre Sachen zusammenzupacken und zu sagen: Wo hab ich Bekannte oder wo kann ich hingehen und unterkommen für die Zeit. Ich versteh auch nicht, warum das Sinn macht. Weil danach sind viele Menschen dann in Calais erst mal, oder hier bilden sich neue Camps, das heißt, das ist eigentlich für niemanden sinnvoll."
    Gerüchte machten die Runde, "irgendwann Ende Oktober" sollen die Bulldozer kommen, hieß es. Erst war vom 17., dem vergangenen Montag, die Rede, jetzt geistert der kommende Montag, der 24. Oktober, als möglicher Räumungstermin durch die Reihen der Zelte und Hütten von Calais.
    Einreise nach Großbritannien nur für einzelne Flüchtlinge
    Nachdem das oberste französische Verwaltungsgericht in Paris die Schließung der kleinen Shops im Lager, der Imbissbuden und "Restaurants", bereits genehmigt hatte, stellten elf Hilfsorganisationen beim Verwaltungsgericht in Lille einen Eilantrag gegen die Auflösung des Lagers, der abgelehnt wurde.
    Die Regierung versucht seit Langem, die Flüchtlinge zu überreden, das Lager freiwillig zu verlassen und Asyl in Frankreich zu beantragen, "würdevoll" wolle man sie unterbringen. Doch die allermeisten Flüchtlinge warten auf ihre Ausreise nach Großbritannien, darunter über 1.000 Minderjährige mit englischer Verwandtschaft. Die ersten von ihnen gelangten zu Wochenbeginn mit Genehmigung der britischen Regierung tatsächlich nach England, nach Appellen dortiger Wohltätigkeitsorganisationen und mehrerer Kirchenvertreter, und nachdem der französische Innenminister Bernard Cazeneuve die Briten an ihre "moralische Pflicht" erinnert hatte, diese Minderjährigen aufzunehmen. Doch nur Einzelgenehmigungen werden erteilt. Eine grundsätzliche Regelung steht nach wie vor aus.
    50 Anwälte zur Unterstützung der Flüchtlinge in Calais
    Unterdessen haben sich 50 Anwälte auf den Weg nach Calais gemacht, sind angereist aus ganz Frankreich, um die Flüchtlinge vorzubereiten, sie darüber zu informieren, was im Falle einer Räumung zu bedenken sei. Zwei dieser "Dschungel-Anwälte", Julien Brel und Pauline Labro aus Toulouse, im Sender France Inter:
    "Im Falle einer Festnahme haben sie Rechte, auf einen Übersetzer, einen Anwalt, einen Arzt. Und wir sagen ihnen auch, dass die Polizisten verpflichtet sind, diese Rechte zu achten."
    "Die Menschen hier in Calais haben Rechte wie alle anderen Menschen auch, und es ist wichtig, sie darauf noch mal gezielt hinzuweisen, nämlich dass diese Rechte auch zu respektieren sind!"
    Die Anwälte Flor Tercero und Norbert Clement vom "Verein für die Verteidigung der Rechte der Ausländer":
    "Sie sind sehr offen und interessiert, ich glaube, die meisten Flüchtlinge sind sich der Tatsache bewusst, dass es hier eine große Räumung geben wird und dass sie dann wissen müssen, welche Rechte sie haben."
    Angst vor landesweit kleinen "Dschungel"
    "Stellen Sie sich vor: Vor zwei Jahren wurden hier bei einer massiven Polizeiaktion 800 Menschen festgenommen und alle 800 sollen auf die Ausübung ihrer Rechte verzichtet haben! Das ist nicht normal, das ist statistisch unmöglich!"
    Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sprach sich Ende letzter Woche ausdrücklich für eine Räumung aus, die Lebensbedingungen im Flüchtlingslager seien "erbärmlich". Amnesty International wie auch der Migrationsbeauftragte des Europarats, Tomás Bocek, kritisierten dagegen, dass es nach wie vor keinen konkreten Räumungsplan gebe, dass noch immer unklar sei, wo und wie die bis zu 10.000 Menschen aus dem Flüchtlingslager von Calais untergebracht werden sollen. Das könnte in der Tat schwierig werden, Widerstand regt sich in vielen Teilen Frankreichs. Die Angst geht um, nach dem Abriss des großen "Dschungels von Calais" könnten landesweit kleine "Dschungel" entstehen.
    Der Front National hat schon eine Vereinigung von Bürgermeistern gegründet, unter der Überschrift: "Ma commune sans migrants" - "Keine Migranten in unserer Kommune".