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"Du (Norma)" in Mannheim
Der Absturz einer jungen Frau

Philipp Löhle hat mit seiner Norma eine Frauenfigur erschaffen, an deren Beispiel er zeigen will, wie die Konstruktion von Geschlecht in unserer Gesellschaft einen Lebensweg bestimmt. "Du (Norma)" wurde nun am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt - und ist dabei nicht mehr als eine triviale Stationendramaturgie, wie der DLF-Rezensent meint.

Von Christian Gampert | 13.11.2016
    Das Nationaltheater Mannheim, aufgenommen 2004
    Das Nationaltheater Mannheim (picture-alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Der Dramatiker Philipp Löhle interessiert sich für das Normale. Ein klischeehaftes Stück namens "Du (Normen)" hat er bereits vor drei Jahren verfasst, wobei "Normen" der bedeutungsschwangere Name der männlichen Hauptfigur war. Jetzt folgt Teil zwei, eine weibliche Biografie, die folgerichtig "Du (Norma)" heißt. Die Mannheimer Uraufführung dauert trotz einiger Streichungen fast drei Stunden und hat also Shakespearesche Dimensionen.
    Von Adams Rippe und der Schöpfungsgeschichte, die Löhle im anbiedernden Sound einer Jugendsendung erzählt, bis zum Puff, wo die arme Norma anschaffen geht, von der Kleinkindphase bis zu Normas Selbstmord, der aber eine Art Wiedergeburt ist, lässt uns Löhle an einem deutschen Frauenleben teilhaben. Ihm geht es aber nicht, wie etwa Einar Schleef bei seiner "Gertrud", um ein Individuum; ihm geht es um die "Konstruktion von Geschlecht".
    Und da sieht es natürlich ganz schlimm aus. Schon Mami und Papi zwingen das kleine Mädchen in einen rosa Strampelanzug und lassen es mit Puppis spielen; die Jungs grenzen sie aus; böse Männer wollen immer nur das Eine, nämlich drüberrutschen. Und noch der Freier, der sie schließlich rettet und Medizin studieren lässt, will sie natürlich abhängig machen. Obgleich Norma eigentlich ein frecher Feger ist, gibt es keine Rettung, nirgendwo. Und trotz schöner, kabarettistisch zugespitzter Kurzdialoge, die das Stück zunächst am Laufen halten, ist die politische Botschaft ziemlich simpel: "Ein Frauenkörper tut ein Leben lang weh." Ein Männerkörper offenbar nicht.
    Aber stimmt das denn wirklich? Frauen haben keinerlei Lust? Keinen Spaß? Keine Bildung? Keine Quote? Keine Karriere? Der Frauenversteher Philipp Löhle hat offenbar einseitig recherchiert. Im Programmheft sind einige Quellen aufgeführt, aus denen sich sein Opus speist: eine Gerichtsreportage aus dem "Spiegel", ein Aufsatz über Pornografie der Feministin Laurie Penny, der Pygmalion-Mythos und die Schnulze "Pretty Woman". Mit diesem Material lässt sich natürlich trefflich "Norma-lität" herstellen.
    Fleißarbeit ohne dramaturgischen Kniff
    Das Stück wirkt, trotz einiger witziger Szenen, insgesamt wie eine Fleißarbeit: Da wird ganz bieder eine Biografie durcherzählt, ohne Sprünge, ohne Vor- und Rückblenden, ohne jeden dramaturgischen Kniff. Sind wir im Pleistozän des Stückeschreibens? Der ganze erste Teil, Normas Geburt, Kindheit, Schülerleben, Studentenzeit, ist schlechtes Jugendtheater für Erwachsene. Der Regisseur Jan Philipp Gloger müht sich verzweifelt, das Ganze unterhaltsam zu gestalten: Auf einem pinkfarbenen Flauschteppich, der hinten hochkant steht und sich wie ein Muttermund öffnet, springt die Schauspielerin Hannah Müller wie eine wildgewordene Anarcho-Göre herum.
    Von Anfang an vermittelt sie den Eindruck, lieber bei den Jungs mitspielen zu wollen, leider aber im falschen Körper gelandet zu sein. Auf den Videoschirmen beugen sich Mami und Papi verständnisvoll über das Mädchen, beste Freundinnen finden alles "voll peinlich" und schreiben ins Poesiealbum, in der Schule gibt es einen Amoklauf aus Liebeskummer. Und Normas sexuelle Initiation ist eine Gruppenvergewaltigung, nachdem sie unter Drogen gesetzt wurde.
    Sie aber findet alles total normal, das Schaf, auch das Durcheinandergeficke in einer Studenten-WG, während sie doch von einer "weiblichen Architektur" träumt, aber kaum an der Uni ist. Na, so wird das halt nix. Dann macht Löhle den Sack zu: Nach einem Verkehrsunfall muss Norma eine Blutprobe abgeben und erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Dann Absturz in Drogen und Prostitution. Dann sagt der Autor ätsch-bätsch und lässt verkünden: Die Blutproben wurden verwechselt, Norma war eigentlich kerngesund. Dann bekommt Norma ein Kind, aber das Jugendamt nimmt es ihr weg. Dann kommt ein lieber Freier und lässt sie Medizin studieren. Dann steht sie auf dem Dach und will sich erschießen.
    Erschießen möchte man sich auch, wenn man so eine triviale Stationendramaturgie liest. Der Regisseur Jan Philipp Gloger macht aber was daraus: Eine temporeiche Kabarettshow, die im zweiten Teil ein paar tragische Nuancen zulässt. Drei Schauspieler deuten alle Nebenrollen nur an; im Zentrum aber steht die selbstbewusste, vor Energie platzende Hannah Müller, die die impertinente, abstürzende Göre gibt und dabei ihre Natürlichkeit bewahrt. Von ihr wird man noch hören.