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"Du Verräterin - geh nach Gaza!"

Israels Regierung Netanjahu steht unter massivem Druck - außenpolitisch, weil die Vereinten Nationen, die USA und die die EU Aufklärung fordern und die israelische Blockade des Gazastreifens immer lauter kritisieren. Der Druck wächst aber auch innenpolitisch - denn die Konfrontation zwischen jüdischen und arabischen Israelis wird immer schärfer.

Von Sebastian Engelbrecht | 05.06.2010
    Hanin Zuabi schreitet zum Rednerpult in der Knesset. Die 40jährige Frau ist eine israelische Araberin aus Nazareth – und Mitglied der Knesset.

    Hanin Zuabi gehörte als einzige Knesset-Abgeordnete zu den Passagieren der Gaza-Solidaritätsflotte. Ihr erster Auftritt vor dem israelischen Parlament, zwei Tage nach der Erstürmung der Schiffe durch die israelische Armee, führt zu Tumulten. Jüdische Abgeordnete rennen hysterisch zum Rednerpult, rufen, Zuabi müsse ihr Amt aufgeben.

    Die Abgeordnete Miri Regev von der rechten Likud-Partei bezichtigt Hanin Zuabi eines "doppelten Verbrechens". Sie habe sich, indem sie sich auf einem der Schiffe befand, Terroristen angeschlossen, und sie habe ein moralisches Verbrechen gegen den Staat Israel begangen. Dann schickt die Jüdin Regev die Araberin Zuabi in den Gaza-Streifen.

    Regev: "Die Abgeordnete Zuabi muss bestraft werden. Wir brauchen keine trojanischen Pferde in der Knesset. Deswegen schlage ich der Abgeordneten Zuabi vor, dass sie gut zuhört. Ich hoffe, die Worte auf Arabisch richtig auszusprechen: Geh nach Gaza, Verräterin! Eine Verräterin, das ist sie! Wir brauchen keine Verräter im israelischen Parlament!"

    In der hasserfüllten Debatte werden zehn Abgeordnete des Saales verwiesen, darunter sieben Juden und drei Araber. In diesen Momenten in der Knesset wird deutlich, wie schlecht es steht um das Verhältnis von Juden und Arabern in Israel. Nach einer aktuellen Umfrage der Universität Haifa sind 48 Prozent der israelischen Araber unzufrieden mit ihrem Leben in Israel. Im Jahr 2003, vor sieben Jahren, waren es nur 35 Prozent. Hanin Zuabi hat sich weit vorgewagt, indem sie sich an der Fahrt der Gaza-Solidaritätsflotte beteiligte, und das gefällt den meisten jüdischen Israelis überhaupt nicht. Zuabi redet für eine israelische Araberin ausgesprochen selbstbewusst.
    Zubai: "Israel kann nicht immer die Region abschließen und sagen, das sei ein militärisches Sperrgebiet. Und die Medien zum Schweigen bringen und sagen: Wir haben die Wahrheit. Es handelt sich um ein tragisches Ereignis, um ein Massaker, und ich fordere, dass eine internationale Untersuchungskommission der UNO die Ereignisse untersucht. Israel wollte nicht diese Flottille verhindern, Israel wollte jede andere Flottille abschrecken."

    Wie Zuabi hat auch einer der bekanntesten israelischen Araber, Scheich Raed Salah, die Fahrt mit dem Schiff heil überstanden. Am Tag der Schiffs-Erstürmung hielten sich lange Gerüchte, das Oberhaupt der Islamischen Bewegung in Nord-Israel sei von Soldaten getötet oder schwer verletzt worden.

    Er sagt, die Soldaten hätten versucht, ihn zu töten. Während die meisten der 682 Flotten-Passagiere abgeschoben werden, bleibt Scheich Raed Salah zunächst in Haft. Einen Tag später kommt auch er frei, steht aber für fünf Tage unter Hausarrest. Mit gefesselten Händen wird er abgeführt.

    Voller Abscheu und Hohn beschimpfen jüdische Israelis den Scheich, der mit an Bord war wie vier weitere Repräsentanten der israelisch-arabischen Zivilgesellschaft. Das arabische Volk in Israel solidarisiert sich mit ihnen.

    Tausende gehen auf die Straße, sie demonstrieren gegen die israelische Militäraktion, vor allem in den nordisraelischen Städten, in denen sie in der Mehrheit sind. Einen Tag lang rufen sie zum Generalstreik auf. Alles bleibt friedlich.

    Dennoch: Der Widerwille unter den Arabern in Israel wächst.