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Dubais "Weißes Gold"
Milch und Schokolade aus der Wüste

Dubai ist eine Glitzerwelt des Luxus: Spektakuläre Wolkenkratzer und orientalische Märkte prägen das Stadtbild des Emirates am persischen Golf. Auf einer Kamelfarm am Rande der Stadt geht es allerdings alles andere als glanzvoll zu. Über 4.000 Kamele liefern dort die Milch für Dubais "weißes Gold".

Von Michael Marek und Saskia Guntermann | 16.10.2016
    Kamele auf einer Farm in der Nähe von Dubai.
    Kamele auf einer Farm in der Nähe von Dubai. (Deutschlandradio/Michael Marek)
    Umm Nahad, eine halbe Autostunde von Dubai entfernt:
    Die Autobahn hierher hat sechs Spuren, läuft schnurgerade durch die Wüste. Trotzdem ist hier fast niemand unterwegs. Im Rückspiegel verschwinden die Wolkenkratzer, mondänen Einkaufszentren und luxuriösen Wohnviertel der Expats, der ausländischen Fachkräfte.
    "Wir befinden uns hier am Rande von Dubai und trotzdem mitten in der Wüste und unsere 4.200 Kamele verteilt auf das Gesamtgelände, wo auch viel Platz ist für die Kamele, um sich zu bewegen."
    Kirsten Lange arbeitet für "Emirates Industry for Camel Milk & Products". Das Unternehmen fördert kein Erdöl und kein Erdgas, sondern eine weiße Flüssigkeit: Kamelmilch. Zum Trinken, aber auch um Schokolade daraus zu machen. Auf das Gelände kommt nur, wer sich vom Sicherheitsdienst die Autoreifen desinfizieren lässt. Man könnte ja Bakterien einschleppen. Bis auf freitags, dem muslimischen Feiertag, gibt es täglich Führungen für Touristen. Kamelmilchverköstigung inbegriffen.
    Streicheleinheiten und Biomöhren für viel Milch
    Auf der Farm werden Kamele auf einem 1,5 Quadratkilometer großen Gelände gehalten – das ist eine Fläche so groß wie 210 Fußballfelder. Hier werden die Kamele gestreichelt und mit Biomöhren verwöhnt. Das ist für sie eine Leckerei, denn schließlich gibt es keine Karotten in der Wüste. Die Tiere sollen sich wohlfühlen und reichlich von ihrer wertvollen Milch geben. Wir sind erstmal skeptisch: Kamelmilch – schmeckt die überhaupt?
    "Viele Leute werden denken, das wird ein sehr herber Geschmack sein, vergleichen das in ihrem Geist mit Ziegen- oder Schafsmilch. Es ist sehr interessant zu beobachten, wenn sie Kamelmilch trinken, die wesentlich weicher ist im Geschmack, sie schmeckt vollmundig, hat weniger Fett, die einen leichten salzigen Abgang hat."
    500 Mitarbeiter arbeiten bei "Emirates Industry for Camel Milk & Products". Die meisten kommen aus Bangladesh, Indien und Pakistan. Einige kommen – wie Kirsten Lange – auch aus Deutschland, aber die arbeiten alle in Führungspositionen und nicht in den Ställen mit den Tieren. Emiratis jedenfalls sieht man - wie überall in Dubai – auch auf der Kamelfarm nur selten:
    "Wir stehen hier vor der Eingangshalle unserer Produktion, d.h., hier ist der Platz, wo die Milch nach dem Melken ankommt und dann weiter verarbeitet wird in verschiedene Produkte."
    Strenge Hygiene im Produktionsbereich
    Wer in den Produktionsbereich will, muss erst einmal Schutzkleidung anlegen – das verlangen die Hygienebestimmungen. Kirsten Lange inspiziert den Melkstand und die Melkmaschinen, die an das Kamel und dessen kleineren, flacheren Euter angepasst sind. Wie Kühe haben auch Kamelstuten vier Zitzen, die in der Leistengegend sitzen. Zweimal am Tag wird gemolken:
    "Beim Melken wird sie sofort heruntergekühlt auf sechs Grad und hierher gebracht. Und hier wird erst einmal geprüft, ob die Milch den Qualitätsansprüchen entspricht. Hier werden die ersten Proben genommen, und erst wenn die Milch freigegeben ist vom Labor, geht sie in die Produktion."
    Kamelstuten sind feinfühlig – und eigensinnig. Sie lassen sich nur melken, wenn sie vorher ihr Kalb gesäugt haben; und während des Melkens muss das Jungtier auch in der Nähe seiner Mutter bleiben. Wenn die Kameldame keine Lust hat, dann kann man sich noch so bemühen, aber ihre Milch rückt sie nicht raus. Selbst wenn die Stuten entspannt, gut gelaunt und freigiebig sind, erhält man maximal sieben Liter pro Tier und Tag. Im Vergleich zu unseren mitteleuropäischen Kühen, die täglich zwischen 25 und 40 Liter geben, ist das recht wenig. Auch das macht die Kamelmilch so wertvoll. Nach dem Melken wird die Kamelmilch durch modernste Maschinen erhitzt, das heißt, sie wird bei 75 Grad Celsius pasteurisiert:
    "Das ist eine sehr niedrige Temperatur. Diese Temperatur stellt sicher, dass die Proteinstruktur erhalten bleibt, dass die Vitamine erhalten bleiben, weil sonst kann man sie auch nicht unter dem Motto: Sie-ist-gesünder-als-Kuhmilch verkaufen. Und der Geschmack bleibt sanfter."
    Auf der Kamelfarm in Dubai werden die Kühe professionell gemelkt.
    Auf der Kamelfarm in Dubai werden die Kühe professionell gemelkt. (Deutschlandradio/Michael Marek)
    Beduinen schwören auf Heilkraft von Kamelmilch
    Derzeit liegt die Produktion bei 6.000 Liter Milch pro Tag. Zwei Drittel davon werden als Frischmilch verkauft, aus dem Rest wird vor allem Milchpulver produziert, so Kirsten Lange:
    "Wir befinden uns gerade vor dem Gefriertrockner. Wir produzieren das Kamelmilchpulver nicht mit Hitze, sondern mit Kälte, was länger dauert als das übliche Trocknen mit Hitze. Aber die Vitaminhaltigkeit bleibt erhalten, was für uns sehr wichtig ist, denn das ist das Grundprodukt, das in der Körperpflege benutzt wird und was auch medizinisch genutzt werden kann."
    Seit Jahrtausenden leben die Beduinen Arabiens in symbiotischer Beziehung mit ihren Tieren, und sie schwören auf die Heilkraft von Kamelmilch. Während eine Kuh im Wüstenklima nach vier Stunden ohne Wasser schlapp macht, kommt das Kamel dank seiner Fähigkeit, Wasser in den roten Blutkörperchen zu speichern, zwei Wochen und länger ohne Wasser aus – und, kaum zu glauben, es gibt weiter Milch. "Emirates Industry", sagt Kirstin Lange, arbeite daran, das Kamel wieder zu einem Nutztier zu machen – ähnlich wie die Kuh in Europa. Denn eigentlich halten die Emiratis ihre Kamele heutzutage eigentlich nur noch als Renntiere. Traditionell füttern sie ihre wertvollen Tiere vor einem Rennen mit Kamelmilch, von deren Kraft sie überzeugt sind:
    "Wir befinden uns gerade im Farmbereich, nämlich da, wo wir unsere Kamele halten. Wenn Sie da nach hinten schauen, haben sie sogenannte Paddocks, überdachte Bereiche, pro Umzäunungsbereich sind es maximal 25 Kamele. Man kann Kamele nicht in der Reihe halten, sie sind soziale Tiere, die brauchen ihre soziale Gruppe. Die werden normalerweise mit Heu und Alfalfa gefüttert, das ist ein Grüngras, ein Frischgras."
    Das Heu wird derzeit aus dem Oman importiert, für das Frischgras hat man eine eigene Farm aufgebaut, um Alfalfa langfristig selber produzieren zu können.
    "Dort leben die Kamelgruppen, maximal 25 Kamele, meistens bis zu 10 in einer Gruppe. Diese Gruppen werden auch gewechselt. D.h., die bleiben nicht immer im selben Gehege stehen, sondern es gibt ein Rotationssystem, damit die nicht anfangen, sich zu langweilen. Ein Kamel ist recht clever, es braucht auch Animation, um glücklich und zufrieden zu sein. Je klüger so ein Tier, umso mehr Abwechslung muss ein Tier so haben."
    Gute Alternative für Kuhmilch-Allergiker
    Jahrzehntelang war Kamelmilch fast völlig aus den Läden der Emirate verschwunden. Heute fließt die Milch wieder – neben der Milch produziert man auch Trinkjoghurt, Käse und sogar Körperpflegeprodukte.
    Und nicht nur das: Latte macchiato war gestern, Camelatte und Camelccino ist heute – zumindest in Dubai sind das die Getränke der Stunde. In dem arabischen Emirat bieten die Cafés ihren Kaffee und Tee mittlerweile auch mit Kamelmilch an. Das ist nicht nur Exotisch, sondern angeblich auch gesund. Leichter verdaulich als Kuhmilch soll sie sein – und besonders geeignet für Allergiker:
    "Sie hat 50 Prozent weniger Fett als Kuhmilch. Das ist ein großer Vorteil, weil sie ist von Natur aus Halbfett-Milch ist. Dazu kommt, die ungesättigten Fettsäuren in der Kamelmilch sind wesentlich stärker vorhanden als in Kuhmilch, was gesund ist für den Körper. Es gibt drei bis fünf Mal mehr Vitamin C, wesentlich mehr Vitamin B, mehr Calcium und andere Mineralien.
    Außerdem fehlen der Kamelmilch die Eiweiße Beta-Laktoglubolin und Beta-Kasein, die eine Milcheiweißallergie auslösen können. Auch für Menschen mit einer Laktoseintoleranz sei sie besser verdaulich, versichert das Unternehmen. Auf der sicheren Seite sind Milchallergiker aber nicht – auch Kamelmilch enthält Allergene, die bei Kuhmilchallergikern Reaktionen auslösen können. Zudem mahnen Kritiker wie der Berliner Allergieexperte Jörg Kleine-Tebbe, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Allergologie: Die positiven Resultate mancher Kamelmilchforscher seien mit Skepsis zu betrachten, weil umfassende klinische Studien zur Wirkung von Kamelmilch fehlten. Aber immerhin versichert Kirsten Lange:
    "Kamele bekommen keine Hormone gespritzt, bekommen keine Antibiotika."
    Kamelmilchschokolade seit 2013 auch in Europa
    Seit 2013 dürfen Kamelmilchprodukte der Marke "Camelicious" auch nach Europa exportiert werden. Bis dahin blockierten die strengen Seuchenschutzbestimmungen der EU die Einfuhr von Kamelmilchprodukten. Jetzt sollen die Europäer von den positiven Eigenschaften der Kamelmilch profitieren – ironischerweise ausgerechnet in Form von Schokolade…
    Die weltweit erste Schokolade auf Basis von Kamelmilch gibt es schon seit ein paar Jahren – inzwischen werden etwa 100 Tonnen davon pro Jahr produziert. Doch die Schokoladenmasse ist alles andere als made-in-Dubai. Der Kakao stammt von der Elfenbeinküste, die Vanille aus Madagaskar, nur das Kamelmilchpulver aus Dubai:
    "Das ist Multikulti Schokolade, spricht für den Verkauf im Duty Free. Es ist eine große Reise, diese Schokolade zu produzieren."
    So eine "Globetrotter-Schokolade" hat ihren Preis. Eine 70-Gramm Tafel kostet etwa sechs Euro. Zusammengerührt werden die Zutaten dafür in Österreich. Dort ist das Know-how der Chocolatiers vorhanden, um das Kamelmilchpulver vom Golf in süßes Naschwerk zu verwandeln:
    "Das Kamelmilchpulver wird dann nach Österreich verschifft. Und dort wird da von der Bohne zur fertigen Schokoladenmasse komplett produziert mit unseren Zutaten. Das heißt die Bohnen, das Milchpulver, alle Zutaten, die Produktion wird auf firmeneigenen Geräten geliefert. Diese Schokoladenmasse wird dann in die Emirate zurückgeschickt. Und hier werden Produkte hergestellt und verpackt, sprich Hohlkörper, Kamele, Pralinen."
    Am Ende eines jeden Besuchs steht – natürlich - die Verköstigung. Und tatsächlich: Kamelmilch im Glas serviert, schmeckt weniger nach Fett und hat eine leicht wässrig-salzige Note, aber ohne das intensive Aroma einer Ziegen- oder Schafsmilch etwa. Die Kamelmilchschokolade ist – im Gegensatz zur Vollmilchschokolade - sehr viel cremiger und weicher, kein kratzende Nachgeschmack im Gaumen. Und es gibt sie in den unterschiedlichsten Sorten: als Zartbitter und Nuss, mit Datteln und Orangen oder als Gewürzmischung aus Kardamom, Zimt, Nelke und Pfeffer. Das Kamel: unterschätzt, verkannt, von manchen belächelt - in Dubai wird seine Milch für Schokolade genutzt.