Diese Geschichte ist oft erzählt worden, zuletzt vom Briten Roland Huntford, der für seine Landsleute die überfällige Demontage des letzten britischen Vorkriegshelden vollzog. Robert F. Scott führte in den Expeditionstagebüchern seinen Mißerfolg ausschließlich auf ungünstige Umstände zurück, nie auf eigene Fehler oder Planungsdesaster - aber das konnte er vermutlich auch nicht sehen, denn der Fehler lag im System. Genau diesen Blickwinkel - die historisch-soziologische Vogelperspektive - nimmt nun Rainer K. Langner in seinem Duell der Geisteshaltungen ein. Entschieden wurde der Wettlauf zum Südpol im Kopf, nämlich bei der Frage: cui bono - wem nützt es? Für Scott, der keine Affinität zum kalten Element besaß und in den starren Hierarchiemustern der britischen Marine dachte, war das Abenteuer eine militärisch-organisatorische Herausforderung, in der die britische Zivilisation den unbekannten Kontinent qua technischer Überlegenheit besiegen mußte. Der erste der eigens gefertigten Motorschlitten Scotts brach mit seinem Tonnengewicht aber schon beim Ausladen durchs dünne Eis und versank; zwei weitere gaben rasch ihren Geist auf: Die Theorie der technischen Überlegenheit war falsch, aber sie wurde in der Praxis nicht revidiert. Roald Amundsen hingegen, Angehöriger eines kleinen Volkes, das gerade die Souveränität wiedererlangt hatte, verband mit seinen Polarinteressen eine persönliche Leidenschaft und wußte sich von einer nationalen Aufbruchstimmung getragen. Daß er viel lieber den Nordpol erobert hätte - der Amerikaner Peary kam ihm zuvor - und die Antarktis nur zweite Wahl darstellte, untergrub seinen Willen nicht. Wer gelernt hat, mit einer Okkupationsmacht zu leben wie die Norweger mit den Schweden, wird zum Meister der Überwindung durch Anpassung.
Dem Berliner Journalisten Rainer K. Langner gelingt unter dem etwas klischeehaften Titel "Duell im ewigen Eis" ein spannendes und mit klug-unaufdringlichen Reflektionen durchwobenes Remake des Südpolstoffes. In seiner Interpretation gibt es freilich gar keine Helden, denn beide - der kühl kalkulierende Amundsen und der introvertierte und überforderte Scott - beide sind alles andere als Vorbilder. Zwei Profilneurotiker mit gigantomanen Strukturen, unfähig, Kritik zu ertragen und jederzeit bereit, ihr lebendes Ich durch eine tote Heldenfiktion zu ersetzen. Heroen wie sie hat die Welt nicht mehr nötig.