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Dürre in Indien
Dramatische Folgen von Wassermangel

In Indien haben die Menschen in der Region Marathwada mit katastrophaler Wasserknappheit zu kämpfen. Neben einer langanhaltenden Dürre sind fehlendes Umweltbewusstsein und falsche Produkte in der Landwirtschaft für die Katastrophe verantwortlich. Die Regierung will den Wassermangel mit Flusserweiterungen und zusätzlichen Kanälen bekämpfen - doch auch dafür reicht das Wasser nicht.

Von Udo Schmidt | 28.05.2016
    200 Liter Wasser in zehn Tagen erhält jede Familie im Dürre-Katastrophengebiet in der Region Marathwada.
    200 Liter Wasser in zehn Tagen erhält jede Familie im Dürre-Katastrophengebiet in der Region Marathwada. (Udo Schnidt)
    Laxmikant, steht am Straßenrand im Zentrum der Provinzstadt Latur. Der etwa 60-Jährige stützt auf sein Fahrrad, an dem fünf Wasserkrüge baumeln. Leere Krüge. 200 Liter Wasser in zehn Tagen erhält jede Familie im Dürre-Katastrophengebiet in der Region Marathwada derzeit – wenn es denn einmal Wasser gibt:
    "Wenn ich Wasser erhalten habe, dann fahre ich los und komme gleich noch einmal wieder, und stelle mich wieder an, damit ich genug Wasser bekomme."
    Noch ist an diesem Tag nichts in der Innenstadt Laturs angekommen, kein Tropfen von den 2,5 Millionen Litern Wasser, die ein Zug jede Nacht über 400 Kilometer heranbringt, um wenigstens den größten, dringendsten Bedarf zu decken. Der Ärger an der Wasser-Verteil-Stelle ist groß:
    "Wir brauchen viel mehr Wasser. Nicht nur ein bisschen. Die Regierung muss mehr heranschaffen. Das ist doch nicht die erste Dürre hier."
    Temperaturen bis zu 50 Grad
    Aber die schlimmste Dürre seit vielen Jahren, mit Temperaturen von bis zu 50 Grad und mit Monsunregen, der auf sich warten lässt. Und so bringt ein Zug jede Nacht Wasser in fünfzig Waggons heran, das dann in großen Mengen durch Filter gejagt wird und schließlich in den Wasser-Verteil-Stellen Laturs ankommt, oder mit Tankwagen in die Umgebung gefahren wird. Die langanhaltende Dürre ist ein Grund für die katastrophale Wasserknappheit, Wasserverschwendung, fehlendes Umweltbewusstsein, eine Landwirtschaft, die auf die falschen Produkte setzt, kommen hinzu, meint der Wasserexperte Upmanyu Patil:
    "Die Mehrheit der Bauern hier baut ausschließlich Zuckerrohr an. Das ist einfach, man muss immer nur ordentlich wässern. Andere Feldfrüchte machen viel mehr Arbeit."
    Zuckerrohr wächst gut, braucht aber unendlich viel Wasser. Nicht zufällig finanziert die Familienstiftung eines inzwischen verstorbenen Politikers der Kongress-Partei, der Partei der Ghandis, den Wassertransport innerhalb der Stadt. Der Familie gehören die meisten Zuckerrohr-Plantagen sowie die Zucker-Fabrik in der Stadt.
    Und viele in und um Latur erreicht selbst diese Hilfe nicht. Wer nur wenige Kilometer vom Zentrum der 350.000 Einwohner-Stadt entfernt lebt, bleibt buchstäblich auf dem Trockenen. Rukmani, 50 und Lakadevi, 62 stehen in dem Dorf Pakharsangui neben einer langen Reihe von leeren Tonkrügen. Seit dem frühen Morgen haben sie auf Wasser gewartet –vergeblich:
    "Wir müssen für unser Wasser kämpfen. Die Regierung muss endlich etwas tun. Sie muss eine Wasserleitung in unser Dorf legen. Das sind sehr schwierige Zeiten, die wir zu überstehen haben."
    Kaum Arbeit in Dürrezeiten
    Gangakar ist 70, Landarbeiter, der noch immer auf seinen Tagelohn angewiesen ist. Wer sonst zahlt ihm Geld? Aber während dieser Dürre gibt es keine Arbeit für den drahtigen alten Mann mit der prägnanten Brille.
    "Ich brauche die Feldarbeit, ohne Wasser kann ich nichts tun, es gibt keine Landwirtschaft mehr hier."
    Gangakar hat viel erlebt und kann weit zurückdenken.
    "Das ist das erste Mal, dass wir so eine große Krise erleben. 1972 war es schon einmal schlimm, aber nicht so schlimm wie jetzt mit dieser Dürre."
    So etwas wie derzeit darf nie wieder passieren, egal wie heiß es noch werde in der Zukunft, da sind sich im Dorf Pakharsangui alle einig. Jagdevi ist Ende zwanzig und hat zwei Kinder zu versorgen:
    "Wir wollen wissen, wie die Probleme gelöst werden können, wir brauchen eine langfristige Lösung, nicht alle drei Jahre so eine Katastrophe."
    Die Regierung von Premierminister Modi plant, Flüsse in den Dürreregionen zu verbreitern, Wasser über Kanäle umzuleiten – als wenn es Wasser genug gäbe. Gibt es nicht, der Grundwasserspiegel sinkt immer weiter, die geplanten Kanäle, fürchten Umweltschützer, werden tief in den Lebensraum der Tiere in und an den Flüssen eingreifen. Ihre Hoffnung: die Pläne bleiben auf dem Papier und werden nie umgesetzt.
    Kein Geld für Saatgut und Hochzeiten
    Für die Bauern um Latur ist die Lage katastrophal. Sie verdienen kein Geld und müssen häufig Schulden zurückzahlen, die sie aufgenommen haben, um Saatgut zu kaufen. Und dann, sagt Upmanyu Patil, gäbe es auch noch die teuren Statussymbole wie das Ausrichten einer prachtvollen Hochzeit:
    "Die Menschen hier geben viel Geld für Hochzeiten aus, die als Statussymbol gelten. Das verschärft die sowieso schwierige Lage noch. Sie betreiben falsche Landwirtschaft, sind von den Saatgut-Lieferanten abhängig und wollen dann auch noch Feste wie die Reichen ausrichten. Das schafft große Probleme."
    Die Folge: Die Zahl der Selbstmorde auf dem Land nimmt dramatisch zu.
    Mitten im Dorf Pakharsangui steht ein Trecker, drum herum eine Gruppe Bauern, die in diesen Tagen auf den staubtrockenen Feldern nichts zu tun haben. Rund um die Felder sind Bewässerungsgräben gegraben, die Arbeit der letzten Wochen, in der Hoffnung, dass irgendwann auch einmal wieder Wasser ins Dorf fließt.
    "Die Landwirtschaft ist bereits seit Jahren ein Problem, Es fehlt immer wieder an Wasser, wir haben keine Brunnen mehr, mein Mais und meine Sojabohnen wachsen nicht mehr. Die Ernte wird immer schlechter."
    Erzählt der 55-jährige Ramling. Auch er hat seine vier Töchter inzwischen erfolgreich verheiratet und die Schuldenlast damit deutlich erhöht.
    Die Töchter sind aus dem Haus, mein Sohn lebt mit seiner Frau in unserem Haus, wir sind Bauern, bereits seit Generationen.
    Die Äcker sind vertrocknet, und der Monsunregen ist noch lange nicht in Sicht. Das Vertrauen in die Regierung, in deren Fähigkeit, das Problem zu lösen, ist nicht groß. Am Ende, sagt Ramling, bleibe nur noch der Blick gen Himmel zum Allmächtigen.