Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Dufays Requiem

Wie Heinrich von Kleist in seiner Novelle Die heilige Cäcilie oder die Macht der Musik oder später Thomas Mann im Faustus Roman, wie Roberto Cotroneo, Gert Jonke oder Helmuth Krausser, so unterstellt auch Wolfgang Schlüter der Musik eine unheimliche Kraft. In seinem ersten Roman John Field und die Himmels-Electricität montierte er das kurze exzentrische Leben des irischen Komponisten John Field aus Zeitzeugnissen und fiktiven Dokumenten zusammen, wobei er die Laufbahn dieses bizarren Musikers mit den Gesetzen der Himmelsmechanik metaphorisch verschränkte. Die unsichtbaren Bewegungen des Universums entladen sich in Form von Donner und Blitz, sausen wie altgermanische Götterflüche auf unschuldige Menschenkinder nieder und blitzen sublimiert noch als krönende Reflexe in den Kompositionen des armen Iren wieder auf. Heilfroh, wer mit der Himmels-Electrizität nicht in Berührung kommt, sondern mit dem Schrecken davon.

Richard Schrötter | 23.01.2002
    "Der Todesschreck", meint Wolfgang Schlüter programmatisch, ist der "stärkste denkbare Affekt". Schlüters neuer Roman Dufays Requiem ist die story zur These:

    Es geht um die Wirkung der Musik auf den Menschen, in sofern, ja, die Musik hat die Hauptrolle in diesem Buch, aber die Musik, aber die Musik in ihrer Wirkung auf den Menschen. Es gibt ausführliche Passagen über den Effekt der Musik, zum Affektgehalt des Menschen, und insofern ging es in diesem Buch ganz grob gesagt darum, jetzt Musik nicht aus der orphischen Sicht als einer heilenden Musik leidensstillenden zu zeigen, sondern als etwas Zerstörendes. Das ist ein zerstörendes Prinzip.

    Der kauzige, ein wenig spießige Studienrat Wernfried Hübschmann, ein altmodisch gebildeter Herr, macht eines Tages in einem englischen wafflehouse die Zufallsbekanntschaft zweier befreundeter Musikwissenschaftler: der temperamentvollen, kompromisslosen Antonietta und Malcolms, einem englischen Schriftsteller auch. Die beiden Enthusiasten bringen den frustrierten Lehrer erst auf Trab, auf den Komponisten Guillaume Dufay vor allem, und auf dessen im ersten Moment so befremdlich klingende Musik. Für Hübschmann gibt es wieder etwas zu träumen. Nun ist Dufay keine fiktive Person, sondern einer der bedeutendsten Musiker des ausgehenden Mittelalters, dessen Rang man erst heute richtig versteht.

    Diese Kultfigur ergreift den profanen gegenwartsmüden Studienrat so sehr, dass er im Übermut eine Wette abschließt, auf Teufel komm heraus wie es sich herausstellt, er werde Dufays seit Jahrhunderten verschollene Requiem-Partitur, sein "Opus Perfectum" wiederfinden. Damit kann die postmoderne Suche nach dem verlorenen Manuskript beginnen.

    Hübschmann lernt Altfranzösisch, Mensuralnotation, Kontrapunkt, ackert "Tinctoris, Glarean und Besselers Dufay-Ausgabe durch", reist durch ganz Europa, stößt auf rätselharte Spuren und bedeutsame Zeichen, und kommt doch immer zu demselben Resultat: "So wissen wir etliches, und wissen doch gar nichts".

    "Sie werden verzweifeln und der pazzia noch ein Stückerl näherkommen", warnt ihn Malcolm. Und soll damit rechtbehalten.

    Sein Spukwesen treibt in dieser Geschichte vor allem ein Musikakkord, der Diabolus in musica, der Tritonusakkord, nach mittelalterlicher Vorstellung Teufelswerk. Wer diesem Klang begegnet, ist verloren. Natürlich sind das Spekulationen einer abergläubischen Zeit, deren Fantasien Schlüter mit durchtriebener Lust wiederbelebt. Ganz ohne Bildung ist das jedoch nicht zu machen. Schlüter:

    Ich denke mal, das was an sogenannter Bildung da ist, ist ein Material, das ich wenigstens versucht habe in seiner Sinnlichkeit darzustellen. Das war im Grunde das Hauptproblem bei der Niederschrift des Buches, wie vermeide ich Sprödigkeit oder Abstraktion, das Trockene an dem Material jetzt nicht durch eine Art von Überimaginierung zu verraten. Das ist ja das ganz große Risiko aller Leute, die sagen wir mal historische Romane schreiben, und die in der Übersetzung, dessen, was ihnen an sehr brüchigem Material vorliegt dann des Guten zu viel tun, und mit einer Art von Imagination dann eine Art von Historienkitsch produzieren, dem ich mich eigentlich verweigern wollte.

    Imaginiert hat Schlüter krude action, hitchcockreife Horrormomente. Schon auf den ersten Seiten wird der Leser mit dem unerklärlichen Todesfall eines jungen wacheschiebenden Soldaten konfrontiert. Kapitel später schubst ein Unbekannter die gute Antonietta vor die U-Bahn. Der Spinnenphobiker Malcolm bekommt eine Art Briefbombe, ein Päckchen mit einer giftigen Tarantel ins Haus geschickt; und dann ist da noch ein altes Cembalo, das bei einer gewissen mittelalterlichen Tonfolge - einer extravaganten Dissonanz zur tödlichen Schusswaffe wird. Vorsicht Tritonus sagen wir nur.

    Mit einem erstaunlichen Fatalismus legt sich Schlüter, dessen Romanfiguren über Massen- und Freizeitkultur adornitisch wettern, selbst masochistisch aufs Prokrustesbett der Unterhaltung. Wer will, kann diesen Roman auch als die Geschichte eines alternden Studionrdtes"Tesen, der von einem Killervirus, dem Morbus Dufay angesteckt wird und mit Tarantel und Cembalo seine Freunde hinterrücks umbringt. Salopp gesagt erleben wir den Fall vom Requiem zur Killermesse.

    Wie die Matadoren der Postmoderne, wie Calvino und Eco oder Ornan Pamuk jüngst wieder, die ihre sogenannten Ideenromane kulissenhaft mit Krimieffekten anreichern, ist der geschätzte Übersetzer Wolfgang Schlüter als Romancier ein melancholisches Opfer der modernen Wissensgesellschaft, die uns mit unglaublichen Datenmassen in immer neuen Formatierungen förmlich erschlägt. Der promovierte, immens belesene Musikwissenschaftler kennt die entlegendsten Texte, beherrscht Dialekte und wer weiß wie viele Sprachen. Anspielungsreich und oft höchst sophisticated montiert er seine Datenschätze zusammen und verliert sich darin.

    Angesichts der angeschlagenen Themen ist dieser Roman zu kurz geraten, und für einen Krimi wiederum zu lang, zu verplaudert, verliert sich die Handlung in Nebensträngen über Bruckners Wassersucht, Niklas Harnoncourt und Rock-Musik. So verpufft die Spannung dieses modernen mystery thrillers zwischen Musikhistorie, essayistisch getönter Konversation, zwischen flottem Schlagabtausch, Tagebuchaufzeichnungen und bisweilen etwas holpriger Kolportage. Die schöne Idee, mittelalterliche Musik und Esoterik quasi durchs Nadelöhr des Krimis zu fädeln, um sie so allgemeinverständlich zu machen, ist nicht aufgegangen. Schlüter verteidigt sein "altertümlich-neurotisch unterteufeltes" Unternehmen wie Thomas Mann sein Doktor Faustus-Buch einmal nannte, sagt, es sei keine leichtfertige postmoderne Literatur. Darum gehe es ihm nicht. Was Dufays Requiem zugrunde liegt. Schlüter:

    Was dem Buch zugrunde liegt, ist zum einen, ein ganz traditionelles autobiographisches Material. Es ist darin, wenn ich das so exhibitionistisch sagen darf, eine starke Leidenschaftlichkeit, das jeweils personifiziert ist in den einzelnen Figuren, und das kann ich ganz naiv sagen, das ist eins zu eins übergegangen aus der Person des Autors in die Figuren, und ist durchaus nicht alles so ironisch gebrochen wie es scheint.

    Und wir hören noch eine andere Botschaft: hört euch Dufays wunderbare Musik an, sonst holt euch der Teufel.