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Duma berät über Homophobie-Gesetz

In St. Petersburg und einigen anderen russischen Städten gilt es bereits: Ein Gesetz, das "Propaganda" von Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen unter Strafe stellt. Die Duma wird über ein entsprechendes Gesetz auf Landesebene beraten. Internationale Schwulen- und Lesbenverbände und Menschenrechtsorganisationen laufen Sturm gegen das Vorhaben.

Von Gesine Dornblüth | 19.12.2012
    Federführend bei dem Gesetzesentwurf über die, wie es heißt, Bestrafung von Homosexuellen-Propaganda unter Minderjährigen, ist der Duma-Ausschuss für Familie, Frauen und Kinder. Dessen Vorsitzende ist Elena Mizulina von der Oppositionspartei Gerechtes Russland.

    "Homosexualität ist kein Thema für Kinder. Wenn sie groß sind, können sie selbst bestimmen, wie sie leben wollen. Aber als Kinder suchen sie noch, was die Norm ist und was nicht. Man darf ihnen Homosexualität nicht aufdrängen. Die Kinder verlieren dann die Orientierung."

    Dass Menschen durch schlechten Einfluss homosexuell werden, ist eine gewagte These – in Russland glauben viele daran. Wenn der Gesetzesentwurf in der vorliegenden Fassung in Kraft tritt, können allein schon das Reden über Homosexualität, öffentliche Küsse unter Gleichgeschlechtlichen oder ein Bekenntnis zu einer homosexuellen Beziehung in Gegenwart Minderjähriger strafbar sein. Organisationen drohen Geldstrafen in Höhe von bis zu umgerechnet 12.000 Euro.

    Viele russische Politiker sehen den Entwurf positiv. Allein Premierminister Dmitrij Medwedew sprach sich vor knapp zwei Wochen in einem landesweit ausgestrahlten Fernseh-Interview dagegen aus.

    Längst nicht alle sittlichen Fragen, längst nicht alle Gewohnheiten, längst nicht alle Fragen der Kommunikation zwischen den Menschen müssen gesetzlich geregelt werden. Denn nicht alle Beziehungen zwischen den Menschen können in Gesetze gefasst werden.
    Premierminister Medwedew ist auch Vorsitzender der Partei Einiges Russland. Sie stellt die Mehrheit in der Duma. Aus ihren Reihen hat sich allerdings noch kein Abgeordneter laut von dem geplanten Gesetz distanziert.

    Aktivisten der Schwulen- und Lesbenbewegung wollen heute in vielen russischen Städten gegen das Gesetzesvorhaben protestieren. Dmitrij Musolin setzt sich in St. Petersburg für die Rechte sexueller Minderheiten ein.

    "Dieses Gesetz fördert Homophobie. Ich bin sicher, dass es jugendliche Schwule und Lesben in die Krise treiben wird bis hin zu Selbstmord."

    Experten warnen: Wenn über das Thema Homosexualität nicht aufgeklärt wird, stürzt das tausende junge Homosexuelle in die Krise, einfach, weil es für sie noch schwerer wird, eine sexuelle Identität zu finden.

    In St. Petersburg gilt bereits seit dem vergangenen Frühjahr ein regionales Homophobie-Gesetz. Bisher wurde aber fast niemand auf Grundlage dieses Gesetzes angeklagt, berichtet Dmitrij Musolin:

    "Die Polizisten wollen das Gesetz nicht anwenden, weil sie nicht wie Idioten aussehen wollen. Das Gesetz wirkt auf einer anderen Ebene: Es signalisiert den Menschen, dass die Regierung Homophobie unterstützt. Wenn das Gesetz nun auch noch landesweit in Kraft tritt, werden wir es künftig noch schwerer haben, Räume für unsere Veranstaltungen zu finden."

    In St. Petersburg finden Proteste gegen die Diskriminierung Schwuler oder Lesben seit Inkrafttreten des dortigen Gesetzes nur noch in geschlossenen Räumen statt – also unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nach Meinung Valentin Gefters vom Institut für Menschenrechte in Moskau verstößt der Gesetzesentwurf zudem gegen die russische Verfassung.

    "Es ist empörend, Propaganda für etwas zu verbieten, das gar nicht strafbar ist. Unsere Verfassung schützt die Rechte sexueller Minderheiten. Das ist genau der Rechtsnihilismus, von dem unsere Staatsführung die ganze Zeit behauptet, dass sie ihn bekämpfen wolle."

    Bleibt die Frage: Warum dieses Gesetz? Dmitrij Musolin aus St. Petersburg kann nur mutmaßen:

    "Wir alle versuchen zu verstehen, warum die Politiker dieses Gesetz verabschieden wollen. Vielleicht geschieht das auf Druck der Kirche. Vielleicht will die Macht damit aber auch nur von wichtigeren Problemen ablenken wie Armut oder Wahlen."