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Dunkle Materie in Sicht

Physik. - Die Teilchenphysiker erhoffen sich schon seit Jahren Erkenntnisse jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik, also jenseits des Modells, das die Quarks, die Elektronen und den restlichen bekannten Partikelzoo erklärt. Nun haben Experimente an Bord von Satelliten und Ballons möglicherweise Hinweise auf die bislang noch unbekannten Teilchen gefunden.

Von Jan Lublinski | 02.04.2009
    Astronomen und Physiker sind sich längst einig: Im Weltall existiert eine geheimnisvolle Dunkle Materie. Sie besteht aus Elementarteilchen – unsichtbar, flüchtig und unvorstellbar zahlreich. Ohne diese Dunkle Materie ließe sich nicht erklären, wie die großräumigen Strukturen im All entstanden sind und warum die Galaxien zusammenhalten. Allerdings ist es nicht gelungen, diesen geheimnisvollen Kitt des Weltalls direkt zu messen. Die flüchtigen Teilchen haben sich den Experimenten der Physiker bislang entzogen. Nun aber gibt es neue, vielversprechende Daten von einem Ballonexperiment namens "Atic" und einem Forschungs-Satelliten namens "Pamela". Die beiden Missionen haben in der kosmischen Strahlung deutlich mehr hochenergetische Teilchen, sogenannte Positronen und Elektronen, ausgemacht, als zu erwarten war.

    "Many theoreticians think that this is a signal of Dark Matter."

    Piergiorgio Picozza von der Universität Rom und dem italienischen Kernforschungszentrum INFN. Er leitet die Forschungsarbeiten mit dem Satelliten "Pamela".

    "Viele Theoretiker denken, dass wir ein Signal für Dunkle Materie sehen. Denn unsere Daten passen in der Tat sehr gut zu den Dunkle-Materie-Theorien. Aber mein Team und ich, wir sehen das anders. Wir sind der Meinung, dass diese Messungen für einen Nachweis der Dunklen Materie noch nicht ausreichen."

    Die gängigste Dunkle-Materie-Theorie beschreibt neuartige Teilchen, so genannte Neutralinos. Diese könnten im Zentrum der Milchstraße in großen Mengen zusammen kommen, sich gegenseitig vernichten und dabei Elektronen und Positronen ausstrahlen. Doch das ist nur eine von vielen Theorien. Vielleicht zerfallen Dunkle-Materie-Teilchen auch einfach so ohne ersichtlichen Grund und geben dabei Strahlung ab. Oder sie geistern durch höhere, uns bislang unbekannten Dimensionen. Und, wer weiß, vielleicht haben wir es mit einem ganzen Zoo aus verschiedenen Teilchen zu tun, die unsichtbar im Weltall herumirren. Die so genannten Preprintserver, also jene Computer, auf denen Physiker ihre neue Fachpublikationen zur Diskussion stellen, sind neuerdings voller kreativer Ideen und Spekulationen zum Thema Dunkle Materie, beobachtet der Astroteilchenphysiker Kai Zuber von der TU Dresden.

    "Das macht sich bemerkbar. Seitdem ,Pamela‘ und ,Atic‘ - die beiden Experimente - ihren Positronenüberschuss öffentlich gemacht haben, ist die Anzahl der Publikationen, die sich mit diesem Thema auch in Verbindung mit Theorien außerhalb des Standardmodells und Dunkler-Materie-Suche beschäftigen, deutlich angestiegen."

    Das Standard-Modell der Teilchenphysik beschreibt die Quarks, die Elektronen und was die Teilchenphysiker sonst noch so an Partikeln kennen. Ein sehr erfolgreiches Modell, das allerdings für die Dunkle Materie Teilchen keinerlei Erklärung bietet. Picozza:

    "Wenn die Daten des Ballonexperimentes ,Atic‘ korrekt sind, dann würde die Masse der Dunklen Materie Teilchen bei 1 bis 2 Tera-Elektronenvolt liegen. Das wäre auch mit unseren Messungen am ,Pamela‘-Satelliten vereinbar. Wir lägen dann in dem Energiebereich, den der Teilchenbeschleuniger LHC in Genf erreichen kann. Die Kollegen dort sollten dann in der Lage sein, das Neutralino künstlich herzustellen. - Das wäre das Maximale, was wir uns erhoffen können."

    Doch es könnte auch ganz anders kommen. Es könnte sich herausstellen, dass der Überschuss an Elektronen und Positronen in der kosmischen Strahlung auch von Pulsaren herrührt, also von rotierenden Neutronensternen, die geladene Teilchen ausspucken. Diese Variante lässt sich mit den gegenwärtigen Messungen nicht ausschließen. Aber der Satellit Fermi, der derzeit die hochenergetische Gammastrahlung im All vermisst, könnte hier bald Gewissheit bringen. Mit seiner Hilfe soll es möglich werden, zu bestimmen, woher die bislang unerklärlichen Signale stammen. Zuber:

    "Man möchte es schon verstehen. Und wenn es dann doch wider Erwarten nicht die Dunkle Materie ist, wird man etwas über die galaktische Produktion der kosmischen Strahlung und über Hochenergiequellen in unserer Milchstraße lernen."

    Für Diskussionsstoff unter den Teilchenphysikern ist also gesorgt.