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Dunkle Wolken über Amerikas Wirtschaft

Der amerikanische Autor Arthur Miller, der mit seinem Stück "Tod eines Handlungsreisenden" Weltruhm erlangte, zeichnet das Bild der amerikanischen Wirtschaft mit dunklen Farben. In einem Interview sagte Miller:

Hans-Jürgen Speitel |
    Der amerikanische Autor Arthur Miller, der mit seinem Stück "Tod eines Handlungsreisenden" Weltruhm erlangte, zeichnet das Bild der amerikanischen Wirtschaft mit dunklen Farben. In einem Interview sagte Miller:

    Im Moment warten die Amerikaner einfach nur, dass in der Wirtschaft der Hammer fällt. Das scheint die große Sorge zu sein, den Arbeitsplatz in einer richtigen Rezession zu verlieren.

    Amerika steckt in der Krise. Die Wirtschaft dümpelt dahin, die Börsenkurse sind weggebrochen. Das Vertrauen der Anleger, Konsumenten kurzum aller Akteure am ökonomischen Geschehen ist weggeschmolzen. Auch das Gespenst der Krise, der Rezession, einer Talfahrt ohne absehbares Ende, ist da und mit ihr die Drohung, Amerika aber auch Europa könne ein wirtschaftliches Desaster blühen.

    Der Ökonom Fredmund Malik von der Hochschule St. Gallen urteilt:

    Es bedurfte keiner Verschwörung, es genügte der Zeitgeist: Der Glaube an stetig steigende Gewinne, wachsende Produktivität und praktisch ewiges Wachstum. Es war ein sich selbst verstärkender Prozess, der erst zu enormen Höhenflügen führt und nun zum Absturz. In Amerika stehen die Ersparnisse von zwei Generationen im Risiko, in den vergangenen zwei Jahren ist mit fünf Billionen Dollar so viel wie das halbe US-Sozialprodukt vernichtet worden. Noch hoffen die Rentner darauf, dass sich ihre Portefeuilles wieder füllen. Was aber, wenn sie merken, dass die Reserven weg sind? Es wird überall Verzicht geben.

    Das amerikanische Modell, der Traum von stetigem Wachstum ohne große Risiken - geplatzt. So wie die gigantische Spekulationsblase auf den Finanzmärkten. Und alles wurde mit abwärts mitgerissen, Kurse, Hoffnungen, Vertrauen und Zuversicht. Und dennoch, John C. Kornblum, ehemals Botschafter der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik und jetzt Deutschland-Chef der Investmentbank Lazard, hält dagegen.

    Nein, es ist eine Eigenschaft des Amerikanischen Systems und es ist wahrscheinlich keine schöne Eigenschaft. Aber wenn Sie die Wirtschaftsgeschichte seit, sagen wir Mitte des 19. Jahrhunderts anschauen, dann sehen Sie immer so ein bisschen Takt in den Vereinigten Staaten. Das heißt, es gibt irgendeine Tiefe, man baut auf, man erneuert. Dann kommt eine Phase des großen, starken Wachstums und auch eine Phase des Übertreibens, eine Blase und dann "puff" die Blase ist nicht mehr da. Und dann sieht man ja ja, die waren nicht so ehrlich. Die waren nicht so gut. Aber das bedeutet nicht, dass das was darunter steckt falsch ist. Dasselbe ist in den 80er Jahren passiert. Und ich glaube, ausländische Beobachter machen immer einen Fehler, wenn sie die Vereinigten Staaten anschauen. Sie suchen in Europa, gerade in Deutschland immer Stabilität, und auch Kontinuität. Und wenn zwei Eigenschaften, die die amerikanische Wirtschaft gerade nicht charakterisieren, sind diese beiden. Das heißt, wir sind genau das Gegenteil. Wir ändern uns sehr schnell. Wir bauen auf, wir reißen ab. Da kommen neue Ideen, neue Menschen, und das baut eine Dynamik, die mehr oder weniger ständig da ist. Und es ist für viele Nicht-Amerikaner sehr unangenehm, weil sie sogar beunruhigt sind durch diese Dynamik, wenn Sie wollen. Aber natürlich ist es für viele, gerade Europäer ein Anreiz. Das sind zehntausende von jungen Europäern in America jetzt, die genau von dieser Situation profitieren.

    Heiko Thieme, Fondsmanager und Finanzanalyst in New York:

    Was wir hier erleben, ist das Zerplatzen einer historisch, bis dahin selten da gewesene Investitionsspekulation. Das heißt die Spekulationsphase ist seit Anfang dieses Jahrtausends zerplatzt, da sie sich innerhalb eines 18jährigen Zeitraums, nämlich von 1982 als der Dow Jones Index knapp unter 800 stand, anfing bis hin zu einem Niveau von fast 12.000 am Anfang des Jahrtausends. Nämlich am 14. Januar hatten wir den Höchststand beim Down Jones Index von 11.723 erreicht, und das war eine Überbewertung. Das heißt also Exzesse, die selten in dieser Form auftreten. Man kann es eigentlich nur noch mit 1929 vergleichen, mit dem Beginn der damaligen Weltwirtschaftskrise, die den Markt dann fast 90 Prozent hinunterriss, gemessen am Dow Jones Index, innerhalb von knapp drei Jahren. Und wir sind jetzt ähnlich in einer Situation. Ein dreijähriger Börsenrückgang, den wir seit 1929 in der Form nicht mehr gesehen haben. Vielleicht noch mal mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs könnte man argumentieren. Aber da war der Rückgang nicht so stark und wir haben jetzt also, wenn Sie so wollen, das Scherbengericht vor uns liegen.

    Milliarden von Dollar lösten sich an den Börsen im Nichts auf. Die private Verschuldung in Amerika hat Rekordniveau erreicht. Die US-Bürger müssen mehr als 14 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Zinsen und Tilgung aufwenden. Der Hunger auf Auslandswaren in den USA ist unersättlich, was ein riesiges Loch in die Leistungsbilanz gerissen hat und das bedeutet, dass sich die USA im Ausland verschulden. Der Weltwirtschaft droht Ansteckungsgefahr.

    Wenn Amerika hustet, kriegt die restliche Welt eine Lungenentzündung. Und das nicht nur an der Börse, sondern auch in der Wirtschaft. Denn die amerikanische Wirtschaft ist immerhin ¼ dessen, was die gesamte Weltwirtschaft darstellt, obwohl von der Bevölkerung her gesehen Amerika nicht einmal 300 Millionen Einwohner hat und die Weltbevölkerung ist 6 Milliarden, also nicht einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung lebt in den USA und dennoch haben sie ¼ der Wirtschaftskraft der Welt. Also ist hier das Zeichen der Zeit gesetzt. Aber es ist nicht Amerika, was das Weltproblem hat, sondern es sind mehr die restliche Welt, und hier besonders z.B. Europa und da ganz besonders der bisherige Musterschüler Deutschland, der jetzt zum Schlusslicht in Europa geworden ist.

    Amerika ist und bleibt der Taktgeber für die Wirtschaft der Welt, ob sie will oder nicht. Produziert dieses gewaltige amerikanische Orchester Misstöne, erscheint prompt auf den Finanzmärkten, überhaupt beim Big Business das Gespenst der Rezession, vor sich hertreibend, Ängste der anderen, ob in Europa, Lateinamerika oder Asien, Ängste, dass solch ein Rezessions-Funke auf sie überspringen könnte. Vorne weg, der ständige Krisenherd Japan.

    Einmal ist es der asiatische Raum, hier ist Japan zu nennen, obwohl Japan sein Eigenproblem hat, weil es weitaus größer ist und selbst verschuldet ist, als das was Amerika jetzt noch Japan schaden könnte. Weil viele Nationen, gerade bei den Schwellenländern, ich denke auch an Lateinamerika, sind von der amerikanischen Wirtschaft abhängig. Das Problem in Argentinien ist dann übergeschwappt auf Brasilien. Es kann sogar auf den anderen Teil Lateinamerikas überschwappen auf Chile, nicht wahr?, auf Mexico, obwohl die eine vernünftigere Politik betreiben, das heißt wir erkennen im Endeffekt, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Die einen sitzen auf dem Oberdeck und trinken Champagner und die anderen sitzen im Maschinenraum, schwitzen und versuchen den Motor in Gang zu halten. Aber in die gleiche Richtung geht es für uns alle und wenn wir einen zurücklassen, dann haben wir Schaden im Maschinenraum, dann kann auch das Oberdeck den Champagner nicht mehr so sorglos genießen.

    Die Abhängigkeit der Europäer von der Wirtschaftsmacht USA, insbesondere im Export, ist enorm. Nirgendwo wird das deutlicher als an der Börse – dem Ort, der im Kern das Spiegelbild der Konjunkturlage eines Landes darstellt. Wall Street und Nasdaq geben in der Regel den Trend für den deutschen Aktienmarkt an. Doch trotz des Konjunkturabschwungs und der Terroranschläge des 11. September. Viele Experten hierzulande sehen die langfristigen Auswirkungen des Terroranschlages auf die US-Wirtschaft als wenig gravierend an – so etwa der Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe und Dresdner Bank, Michael Heise:

    Ich glaube nicht, dass es dem Selbstbewusstsein der USA Abbruch getan hat. Die Erwartung war ja, dass nach dem 11. September möglicherweise eine längere Stagnation beim Konsum oder ein scharfer Rückgang bei den Investitionen eintreten könnte. Das ist eigentlich nicht passiert. Man ist im vierten und dann im ersten Quartal eigentlich wieder recht kräftig nach oben marschiert wirtschaftlich ... also die Einschüchterung war nicht sehr groß.

    Nicht alle Experten beurteilen die Lage so. Der 11. September hat ohne Zweifel Ängste geschürt, die neue Verunsicherungen schaffen und damit die Wirtschaftsentwicklung unkalkulierbar machen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter:

    Der 11. September ist für mich ein Ereignis, bei dem ich in Sorge bin, dass das, was ich Friedensdividende in den 90er Jahren nannte, nämlich die Vorstellung, dass die Welt grobe Gefährdungen durch militant aggressive Attacken nicht mehr erwarten braucht – diese Vorstellung, die ist erschüttert. Wir müssen nach dem 11. September alle - und die Amerikaner in ganz besonderer Weise - den Preis dafür zahlen, dass es den automatischen Frieden nicht mehr gibt, dass man den Frieden wieder durch Ausgaben und Anstrengungen, Sicherheit sicher zu stellen, gewinnen muss. Und das bedeutet wahrscheinlich, dass wir den Wohlstand, den wir ansonsten hätten leichter erhöhen können, in der neuen Welt nicht mehr erreichen können. Weil wir wieder Geld für militärische, polizeiliche Sicherheit ausgeben müssen.

    Nicht nur der Ökonom Fredmund Malic von der Hochschule St. Gallen ist skeptisch, was die Fundamentsstärke der amerikanischen Wirtschaft angeht. Auch andere können ihre starke Unsicherheit über das tatsächliche Bild der US-Wirtschaft nicht verbergen. Die Bilanztricks von Weltfirmen wie Enron oder Worldcom gelten inzwischen nur als die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Dann die hohen Fehlerquoten in den statistischen Erhebungen. Folker Hellmeyer, viele Jahre Finanz-experte in der Frankfurter Banken-Metropole und jetzt Chefstratege bei der Bremer Landesbank:

    Wir müssen die Qualität dieses Wachstums hinterfragen. Denn die Qualität dieses Wachstums ist meines Erachtens nicht gegeben. Es geht einher mit sinkenden Unternehmensgewinnen ... Und darüber hinaus auch mit sinkenden Steuereinnahmen. Wenn also Wachstum von drei, eins, oder fünf Prozent keine positiven Impulse für Steuereinnahmen und Unternehmensgewinne setzen, dann ist dieses Wachstum nicht nachhaltig und insofern ... meine Erwartungshaltung auch im nächsten Jahr: erneute Revision ... man zieht hier einen rezessive Entwicklung durch, die salami-taktisch verläuft. Mit Salami-Taktik meine ich, dass eben nicht eine nachhaltige Rezession entsteht, sondern wir eine Situation haben, wo sich ein rezessives Umfeld entwickelt, kurzfristig dann wieder positive Wirtschaftsdaten dominieren, um dann wieder in eine rezessive Phase einzutauchen.

    Eine Situation, die in den USA mit dem Begriff "Double-Dip" umschrieben wird. Das heißt: Aufschwung nach einem Abschwung, der nicht zustande kam, weil ein neuer Abschwung einsetzt. Fest steht: Amerikas Wirtschaft hat an Kraft verloren, der Konjunkturmotor stottert, ob er zum Stehen kommt und die US-Wirtschaft in der Rezession landet, ist noch nicht ausgemacht. Für Europa sind das Alarmzeichen, aber auch wichtige Impulse, mehr Eigendynamik, Selbständigkeit, vor allem mehr Wachstum anzustreben. Mit anderen Worten: ökonomische Augenhöhe mit den USA. Folker Hellmeyer:

    Im Grunde genommen müssen wir die Eigendynamik in der Wirtschaft stärken. Wir dürfen uns nicht immer nur auf andere verlassen, frei nach dem Motto: Hannemann, geh Du voran, das ist verkehrt. Und in dieser Hinsicht ist es wichtig, das Deutschland sich zumindest partiell neu ausrichtet. Positiv ... sind unsere Kontakte nach Ost-Europa. Dort haben wir immer noch sehr gesunde Wachstumsszenarien. Das ist stabilisierend für Deutschland.

    Wenn Europa sich größer macht, größere Wirtschaftseinheiten bildet und sich längerfristig auch die muss kräftig gesteigert werden. Wenn sie die Binnenkonjunktur steigern, können sie eben diese Exportabhängigkeit oder diese Abhängigkeit von der Weltkonjunktur zumindest mildern. Das ist dringend erforderlich.

    Doch Europas gegenwärtige ökonomische Zukunft sehen viele Wirtschaftsexperten eher im Nebel. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank:

    Ich habe uns Europäer verglichen mit diesem kleinen Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Wir sind die sieben Zwerge. Und um die Rollen zu ändern, fordern wir von Schneewittchen eigentlich nur, dass Schneewittchen den achten Zwerg noch akzeptiert. Dass wir einmal sagen können: wir haben genug Zwergchen gespielt, wir möchten jetzt auch mal Schneewittchen sein, diese Idee kommt uns schon gar nicht – und wir handeln auch nicht entsprechend. Und wenn man sich umschaut, wer könnte denn ein größerer europäischer Führer sein? Da gab es früher mal Mitterand und Kohl. Wenn die sich die Hand gereicht haben wurde daraus Geschichte. Aber so etwas haben wir nicht. Europa ist kopflos, aber Europas Bürger sind auch alles andere als engagiert, dieses Europa voranzubringen. Stattdessen führen sie sich auf wie Stämme, nicht einmal wie Völker. Daraus entsteht, nach meinem Urteil, jedenfalls in nächster Zeit eher kein weltpolitisches Gewicht.

    Doch auch wenn Amerikas Wirtschaft an Kraft, Schwung und Zukunftsfähigkeit verloren hat, seine Dominanz bleibt. Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz Gruppe und Dresdner Bank:

    Die Vereinigten Staaten von Amerika werden weiterhin die politische und wirtschaftliche Führungsmacht in der Welt sein. Es wird einen ... wirtschaftlichen Anpassungsprozess in den Vereinigten Staaten gegeben haben, der wahrscheinlich graduell verlaufen wird und nicht schockartig verlaufen. Europa wird ein wenig aufgeholt haben in diesen fünf oder zehn Jahren, aber nicht in dem Sinne, dass es die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten in irgendeiner Weise streitig machen könnte.

    Und Norbert Walter, Deutsche Bank:

    Wir Europäer haben ein Zeitfenster, dass bestenfalls noch zehn Jahre offen steht. Wenn wir nicht alle unsere Kräfte, die wir noch haben, jetzt aufs Äußerste mobilisieren werden wir nicht stattfinden. Es wird uns gehen wie Rom: die Barbaren werden übernehmen.

    Wer dann die Barbaren sein werden, ob sie aus Asien oder Amerika kommen, ist noch nicht ausgemacht, ebenso wenig ob sie überhaupt kommen werden, weil Europa bis dahin vielleicht eine starke uneinnehmbare Festung geworden ist. Amerika, die politische und ökonomische Supermacht, ist trotz all ihrer Stärken, ihrer Dominanz, ihres weltweiten Einflusses und ihrer Taktgeberfunktion wegen, nicht unverwundbar. Der 11. September 2001, die Terroranschläge, trafen mitten in das Herz Amerikas. Und sie trafen auch eine noch schwache aber sich langsam wieder erholende Wirtschaft, allerdings nicht tödlich. John C. Kornblum, amerikanischer Ex-Botschafter in Deutschland:

    Es war nicht der letzte Schlag, aber es hat natürlich Bedeutung gehabt. Und es hat gewisse Branchen...die Luftverkehrindustrie, bei uns zumindest, sehr getroffen. Es hat anderen Branchen sogar etwas geholfen. Aber ich glaube, die gute Nachricht ist, dass, nennen wir es so, dass weltwirtschaftliche System ganz in Ordnung ist. Wenn das ein Ziel der Terroristen gewesen war Panik und Auseinanderfallen des Systems zu stiften, ist nicht passiert und es gibt viele Gründe, warum es eine wirtschaftliche Stagnation auf der Welt gibt. Verschiedene Länder mit verschiedenen Gründen. Aber ich glaube nicht, dass der 11. September ein Hauptgrund dafür ist.

    Er war sicherlich ein Datum, an dem man gemerkt hat, dass bestimmte Erwartungen und auch Techniken nicht so funktionieren, wie sie sich entwickelt hatten. Das betrifft aber mehr die Technik, die Sicherheitsvorkehrungen, Back Up Systeme und ähnliches. Auch Abwicklung von Zahlungsverkehrsströmen und dergleichen. Ansonsten hat es sicherlich Einfluss gehabt auf die generelle Stimmung an den Märkten.

    Sicher hat der 11. September dazu beigetragen, die ohnehin schon schlechte Stimmung weiter zu verschlechtern.

    Die Folgen des 11. September sind für die amerikanische und die Weltwirtschaft vor allem psychologischer Natur. Mit den Türmen des World Trade Centers brach auch eine der Säulen weg, auf denen das Vertrauen von Finanzmarktakteuren aber auch Konsumenten ruhte: Die Sicherheit vor Terroranschlägen.

    Ich glaube die wirtschaftlichen Auswirkungen des 11. September sind so groß nicht. Aber das, was das an Vertrauen zerstört hat in der Welt und was das an Einstellungsveränderungen bewirkt hat, dass können wir hier in Washington tagtäglich beobachten und können wir sehen. Von daher war das schon ein Ereignis, dass, glaube ich, die Welt verändert hat.

    Dieses Vertrauen zurückzubringen, neue Sicherheit zu geben, ist eine Herkules-Arbeit. Denn Sicherheit vor Terrorattacken kann keiner garantieren, auch nicht eine sich noch so entschlossen gebende US-Regierung. Im Gegenteil, das ständige Kriegsgerede, in dessen Zentrum der IRAK steht, die Frage, ob Amerika einen Alleingang gegen Bagdad unternehmen wird oder doch die internationale Gemeinschaft mitziehen wird. Dies alles verunsichert Finanzmärkte, Unternehmen und Konsumenten. Die Terrorangst ist nicht ganz weg und die Kriegsangst wird ständig geschürt.

    In so einer Situation wie jetzt, wo man Risiken nicht richtig kalkulieren kann, seien sie groß oder seien sie niedrig, ist die Bereitschaft zu investieren besonders gering. Das will sagen, wenn es einen IRAK Krieg geben würde der ganz schnell vorbei ist, dann wird es wahrscheinlich anschließend wieder einen Wachstumsschub geben. Wenn es aber einen IRAK Krieg geben sollte, der lang andauert, dann wird es eine sehr schwierige Situation, weil dann die Kalkulation von Risiken nicht so einfach möglich ist.

    Und als ob das nicht genug wäre, Terror und Kriegsangst, da ist noch der Zweifel, der nagt. Zweifel, ob das, was die Unternehmen an Zahlen, Bilanzen und Fakten vorlegen, denn auch stimmt. Zwei Namen stehen für eine Betrugsserie, deren Umfang noch nicht abzuschätzen ist: Enron und WorldCom. Beide amerikanische Unternehmen, die sich mit dem Glanz der Erfolgreichen umgaben, nun im Pleitestrudel und keiner weiß, wer noch so alles im Skandalsumpf versinken wird. Jakob Heilbrunn, Korrespondent der Los Angeles Times in Washington:

    Das Vertrauen der Anleger ist geringer als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Depression vor 70 Jahren. Die Krise trifft die Amerikaner tief in ihrem Selbstverständnis. Die Chefs der großen Unternehmen, in den 90er Jahren als Vorbilder und Volkshelden bejubelt, stellen sich nun als Betrüger und Scharlatane heraus.

    Und Arthur Miller, der große amerikanische Dramatiker, in einem Interview:

    Wir werden zu einem Amerika, in dem das Unternehmen alles und der Einzelne nichts ist. Die Reaktion darauf wird kommen. Das verwandelt sich jetzt in eine ideologische Schlacht, wie wir sie lange, lange nicht gesehen haben. Das haben die Leute nicht gewählt.

    Heiko Thieme, Fondsmanager in New York

    Was total weggebrochen ist, sind die Industrie Investitionen, die einen sehr großen Anteil gerade in den End neunziger Jahren hatten, und zwar bedingt durch die Technologie Investitionen in die Telekommunikation, durch das Internet ebenfalls. Und hier wurden horrende Summen investiert. Wir haben überinvestiert in den Markt. Davon profitierte natürlich die Wirtschaft und darunter leidet sie jetzt genauso, weil jetzt diese Überinvestitionen total weggebrochen sind und wir auf diesen überflüssigen Produkten sitzen, die erst einmal absorbiert werden müssten von dem Markt. Also, die Investitionsquote von der Industrie fehlt uns. Der Betrug, den wir erlebt haben in einzelnen Unternehmen, bzw. die Fälschung von einigen Jahresdaten, bzw. Jahresberichten sind natürlich psychologisch sehr nachteilig gewesen. Allerdings sollte man hier gleich betonen, nur ein ganz kleiner Teil der über zwanzigtausend Unternehmen in Amerika ist von diesem Betrug direkt betroffen. Das heißt der Betrug ist nach wie vor eine Seltenheit, nur es waren spektakuläre Namen, wie die Enron, eins der größten Unternehmen gemessen an den Umsätzen, die dort involviert waren.

    Ask not what your country can do for you, ask what you can do for your country.

    Der Appell John F. Kennedys, vor über vierzig Jahren an die Amerikaner, etwas für ihr Land zu tun, ist verweht. Unternehmenspleiten, Entlassungen, Bilanz-Skandale, Zukunftsängste, sie liegen wie ein Dunstschleier über der amerikanischen Gesellschaft. Noch einmal Arthur Miller:

    Wir leben in einer Zeit, in der Großunternehmen 6000 Leute an einem Tag entlassen. Viele von denen haben dort dreißig Jahre gearbeitet und sind plötzlich überflüssig. Es ist eine Tatsache, dass wir weniger auf die hohe Kante legen als Menschen in jedem anderen Land. Die Grundangst der Amerikaner ist die Angst vor dem freien Fall. Das ist keine neurotische Angst, sondern die reale Furcht vor dem realen Absturz. Viele leben mit diesem Horror im Hinterkopf.

    Den realen Absturz, von dem Miller spricht, mussten das Internet, die neue Technologie, die Helden der New Economy und des Neuen Marktes erleben. Der Party folgte Katerstimmung. Das Gewinnerlächeln der smarten Internet-Pioniere ist der grimmigen Gewissheit gewichen, wieder auf der Erde gelandet zu sein. Besonders dort, wo der High Tech und Internet-Boom raketengleich in den Himmel schoss, im kalifornischen Silicon Valley, aber auch im New Yorker Gegenstück Silicon Alley. Gut zweieinhalb Jahre ist es her, dass Internet- und Hightech-Boom im Silicon Valley ein jähes Ende nahmen. Im 'Schicksalsmonat’ März 2000 wurde das Märchen vom Cyber-Mekka plötzlich zum Alptraum: Die Aktienkurse verloren ihre Schwerkraft, die Spekulationsblase platzte, die Risikokapitalgeber zogen sich zurück, die schier unbrechbare Gründerromantik schlug in Desillusion um. 788 Internetfirmen sind seither pleite gegangen. 144 000 Computerexperten haben ihre Stelle verloren. Die Folgen des Internet-Kehraus sind nicht nur unvermindert spürbar, sondern auch nachhaltiger als erwartet. Allein in den letzten zwölf Monaten hat sich die Arbeitslosenrate im Silicon Valley schon wieder verdoppelt. Mit 7.6 Prozent liegt sie jetzt sogar 1/3 über dem nationalen Durchschnitt.

    Dass es irgendwann wieder bergauf gehen wird, daran scheint man im Silicon Valley nicht zu zweifeln. Wohl aber daran, ob die Gegend je wieder das globale Ballungszentrum für technologische Errungenschaften aller Art werden wird. Obwohl es einen immerwährenden großen Verbündeten gibt. Tom Friedman schreibt in seinem Buch "The Lexus and the Olive Tree":

    Die verborgene Hand des Marktes wird ohne verborgene Faust nicht funktionieren. Ohne McDonell Douglas kann McDonalds nicht erfolgreich sein. Die verborgene Faust, die dafür sorgt, dass die High Tech-Unternehmen von Silicon Valley überall auf der Welt ungehindert florieren können, heißt US Army, Airforce und Marine Corps.

    Auch Florian Peter, Internet-Trendscout in New York, der mit seiner Firma neueste Strömungen im Cyperspace aufspürt und europäische Unternehmen beim Einstieg in den Internetmarkt berät, hat den Absturz des Internetbooms in der sogenannten Silicon Alley in Manhattan miterlebt. Dennoch sein Grundoptimismus, auch diese Krise überleben zu können ist ungebrochen.

    Mit einem gehörigen amerikanischen oder New Yorker Optimismus, wage ich zu behaupten, dass wir am Tal dieser Krise angekommen sind und sich eine zweite Generation, wenn man so will, von dot-com oder Internetunternehmen positioniert hat und teilweise Unternehmen, die es einfach geschafft haben, sich bei dieser Trennung von Spreu und Weizen zu behaupten. Die es geschafft haben mit einem weitaus kleineren Management Team, Mitarbeiterstamm durchzustehen und teilweise natürlich auch Unternehmen, die neu gegründet wurden auf Basis von Erkenntnissen, wenn man so will, aus dieser dot-com Entwicklung der Mitte der 90er Ender der 90er. Sprich diese zweite Generation setzt sich jetzt ab. Diese zweite Generation wird auch von Großunternehmen - dieser Schritt ist auch ganz wichtig- das Großunternehmen das jetzt nicht mehr als Gefahr sehen, wie am Anfang, bzw. dann mit viel Geld versucht haben diese Firmen aufzukaufen oder ähnliches, sondern Großunternehmen ganz klar mit diesen neu gegründeten Internetunternehmen zusammenarbeiten.

    Erfahrungen der letzten Jahrzehnte belegen, dass Amerika immer der Taktgeber für die Weltwirtschaft gewesen ist oder wie Leo Trotzki es formulierte:

    Amerika ist der Ofen, in dem die Zukunft gebacken wird.

    John C. Kornblum, Ex-Botschafter in Berlin

    Die Frage ist, wird hier die Vereinigten Staaten sozusagen taktgebend bleiben und die Antwort ist eindeutig ja. Es gibt keine Volkswirtschaft jetzt auf der Welt, die annähernd so dynamisch und zukunftsorientiert ist, wie die amerikanische. Und es wird in nächster Zeit auch nicht sein.

    Ob es so bleiben wird, hängt nicht zuletzt von den Entscheidungen eines Mannes ab, der wie kein anderer die Finanzmärkte in Atem halten und lenken kann. Alan Greenspan, der amerikanische Notenbank-Chef ist der Superstar der Wirtschaftsszene, Maestro oder Guru genannt, inzwischen auch von der britischen Königin zum Ritter geschlagen. Sein Einfluss ist legendär, seine

    ität unbestritten.

    Wenn Greenspan spricht, zittert die Welt.

    schrieb das Wallstreet Journal. Greenspan hat die Zins-schraube in der Hand. Er macht das Geld billiger oder teurer und bedient damit Gaspedal oder Bremse des Konjunkturmotors. Der im August verstorbene Wirtschaftswissenschaftler Rudi Dornbusch vom Massachusetts Institut of Technology in Boston, lobte ihn, wann immer man ihn darauf ansprach.

    Wir haben in Amerika doch immer die Vorstellung gehabt, dass der wichtigste Mann der Welt, der Präsident der Federal Reserve ist und nicht der Präsident der Vereinigten Staaten. Und Greenspan hat das doch effektiv bestätigt, denn er erkannte als erster die New Economy und hat deswegen das Wachstum nicht gestoppt. Das ist ein Meister, hat gerne die Präsidenten auf seinem Schoß...und das darf man ja.

    Und Heiko Thieme, New Yorker Fondsmanager

    Um es im Englischen auszudrücken: Is he larger than life?

    Ist er größer als das Leben selbst? Und ich würde nein sagen. Ich kenne Greenspan persönlich. Wir haben einmal zu Abend gegessen. Ich saß neben ihm, bin dabei fast eingeschlafen. Denn Greenspan ist ein Mann, der nicht unbedingt aufregend ist. Er ist nicht jemand, der inspiriert durch seine Rhetorik, auch ist seine Stimme sehr monoton, so dass wenn das am Abend stattfindet, man tatsächlich Schwierigkeiten hat wach zu bleiben.

    Allerdings Alan Greenspans Mythos scheint gelitten zu haben, ein Denkmal ins Wanken geraten. Denn trotz zwölf Zinssenkungen der amerikanischen Notenbank seit dem 11. September, fand Amerikas Wirtschaft nicht den Weg zurück zum Boom. Oder um es anders zu sagen, die Pferde wurden zum Brunnen geführt, aber sie wollten nicht saufen und Greenspan, diesmal der Pferdeflüsterer, steht machtlos daneben. Ist er also entzaubert, die Allmacht gebrochen?

    Nein, nein Greenspan hat sich verdient gemacht, um das Land und auch um die Börse. Greenspan hat in den 90er Jahren hier an der Börse sehr schlechte Karten gehabt. Ich denke daran...der Vater von Präsident Bush, damals Präsident Bush Senior, hat ja seine Wiederwahl - so jedenfalls die Meinung der Konservativen - verloren, weil Greenspan eine zu restriktive Kreditpolitik geführt hat. Er wurde also sehr erheblich kritisiert und sein Mythos als der Macher ist erst in dem zweiten Teil der 90er Jahre entstanden, obwohl er ja 1996 im Dezember schon einmal gewarnt hatte vor der emotionalen Übertreibung. Und er eigentlich als Pessimist eine zeitlang herumlief. Erst dann sagte er im nachhinein es sind die Produktivitätszahlen, die den Wirtschaftsaufschwung und eventuell sogar den Börsenaufschwung rechtfertigen. Nur das Greenspan diese Wirtschaft meines Erachtens auf einen Wachstumspfad bringe, nach dem wir elfmal Leitzinssenkungen von über 6 Prozent bis jetzt auf 1 ¾ Prozent erlebt haben. Ich halte es für möglich, dass wir in den kommenden drei bis vier Monaten, also noch vor Jahresende oder Anfang nächsten Jahres nochmals eine Zinnssenkung von fünfzig Basispunkten, das heißt von einem halben Prozentpunkt bekommen, auf die 1 ¼ Prozent, um der Wirtschaft den notwendigen Schwung zu geben. Man hatte es jetzt vermieden, im September, anlässlich der jüngsten Ratssitzung die Zinsen zu senken, weil man meinte das könnte sogar als Panik verstanden werden. Ich glaube Greenspan ist nach wie vor als einer der erfolgreichsten Notenbankchefs der Geschichte Amerikas überhaupt anzusehen.

    Doch auch ein Greenspan mit seinen Zinssenkungen, die Bush-Regierung mit ihrem Steuer-Geschenk-Programm, der gewaltige Auftragsschub für Amerikas Rüstungsindustrie, dies alles hat das größte Hemmnis für einen Weg zurück zu alten Wachstumsschüben, zu neuen Kurssteigerungen und wieder sprudelnden Gewinnen bei den Unternehmen, das Misstrauen, die Zukunftsangst der Konsumenten und Investoren nicht aus dem Weg räumen können. Im Gegenteil. Die Skepsis ist größer geworden, die Schatten eines drohenden Irak-Krieges länger. Was freilich nicht bedeutet, dass Amerika seine Rolle als Lokomotive und Taktgeber der Weltwirtschaft verloren hätte oder gar verlieren wird. Karl Knappe vom Bundesverband Deutscher Banken:

    Wenn Sie sich die Welt anschauen. Sie hat drei große Blöcke, in den Industrieländern wie USA, Japan, Europa - die USA waren im letzten Jahrzehnt der einzige Wirtschaftsblock, der die Weltwirtschaft wirklich nach vorne gebracht hat, mit hohen Wachstumsraten. Die Japaner sind seit zehn Jahren in einer Krise und die Europäer schaffen seit zehn Jahren keine richtigen Wachstumsraten mehr, und sie sind im Augenblick offensichtlich nicht in der Lage aus eigener Kraft heraus diese zu entwickeln.

    Gegen diesen Trend stemmt sich, fast einsam, der deutsche Bundesbankpräsident Ernst Welteke, der eine besondere Krisenfestigkeit für Europa reklamiert:

    Weil wir in Europa keine gravierenden Ungleichgewichte haben. Wir haben keine excessives Außenhandelsdefizit, wie die Amerikaner. Wir haben eine ausgeglichene, sogar hohe Sparneigung der Bevölkerung und wir haben kein großes Verschuldungsproblem der Unternehmen und der Bevölkerung. Das glaube ich sind Risiken, die es in Amerika gibt, die wir in Europa nicht haben. So gesehen würde ich Europa sogar für Krisenfester halten, allerdings auf einem niedrigerem Niveau.

    Der amerikanische Schriftsteller Gore Vidal:

    Wir haben kein öffentliches Bildungssystem, der Durchschnittsamerikaner hat fast überhaupt keine Bildung, nur 1 Prozent liest Bücher.

    Norman Birnbaum, Georgetown University:

    Der Teil der amerikanischen Elite, die Bush unterstützt, sitzt einer grandiosen Illusion auf. Ein Europa, das auch nur im Mindesten auf die eigenen Interessen achtete, würde sich Chirac und Schröder darin anschließen, dies auch offen auszusprechen.

    Der Chefredakteur des britischen Economist Bill Emmott:

    Obwohl Amerika heute sicher mehr militärische Macht hat, als jedes andere Land, und obwohl es zweifellos die einflussreichste Nation der Erde ist, ist es letztlich nicht stark genug, um die Erde zu kontrollieren.

    George W. Bush, US-Präsident

    Heute genießen die Vereinigten Staaten eine Position von unvergleichlicher militärischer Stärke und großem wirtschaftlichen und politischen Einfluss.