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Dunkler Doppelgänger

Es ist 1933: Draußen dröhnen Sieg-Heil-Rufe, und drinnen wird Kabarett gespielt. Während Göring an einer Hitler-Büste modelliert, tippt der schwäbelnde Darsteller des Führers mit zwei Fingern auf einer Schreibmaschine herum, während Hess und Goebbels daneben stehen. Doch dann bricht die reale SA in den Raum.

Von Hartmut Krug |
    Die schauspielerischen Doppelgänger der Nazi-Größen werden verhaftet und in ein Speziallager Himmlers eingeliefert. Hier füttert man sie, für welche Verwendung auch immer, zehn Jahre lang durch. Wir bekommen sie erst wieder Ostern 1944 zu Gesicht. Sie Ostereier und scheinen überhaupt ein lockeres Verhältnis zum Lagerarzt und zur Ehefrau des Lagerkommandanten zu haben. Doch dann kommt der Lagerkommandant aus Buchenwald zurück, wo ihm ein umfangreiches Arbeits- und Kulturprogramm präsentiert wurde. Sogar die Operette "Die Blume von Hawai" hat man ihm gezeigt. Jetzt soll in seinem Lager auch Theater gespielt werden, und Harry Geduldig, jüdischer Doppelgänger von Goebbels, wird mit der Einstudierung eines Stückes zu Hitlers Geburtstag beauftragt. Man probiert ohne Erfolg Szenen aus "Mein Kampf" oder von einem gescheiterten Attentat auf Hitler.

    Bei der Suche nach der richtigen Theaterszene geht es stets um das, was auch Thema des gesamten Stückes ist: um den Widerspruch zwischen Sein und Schein. Wenn allerdings der joviale Lagerarzt urplötzlich einen störenden Häftling aufhängen läßt und dessen Darsteller sich mit zappelnden Beinen in den Tod hinein schauspielert, oder wenn die Darstellerin der jüdischen Diätköchin sich pathetisch weigert, in der Lageraufführung die Rolle der Eva Braun zu übernehmen, dann kommen Szenen zustande, in denen der lebendige Realismus des Theaters, weil distanzlos und ohne Verfremdung eingesetzt, zur schieren Peinlichkeit wird. Auch daß die Faschisten rechte stiefelstampfende Hampelmänner sind, wirkt in der direkten Spielweise des Potsdamer Theaters weder überzeugend noch entlarvend. Allein der Versuch, mit Mückenbefall oder Begrüßungszeremonien den Hitlergruß zu veralbern, gelingt wunderbar.

    Autor Peter Steinbach, dessen Stück in kürzerer Version vor zwei Jahren als Fernsehspiel herausgekommen ist, will den Faschismus auf komödiantische Weise entlarven. Doch ist es kein Zufall, daß solcherart Umgang mit dem Faschismus bisher nur im Kino gelang, bei Chaplin, Lubitsch und Begnini. Weil es eines imaginären Vorhangs zwischen Dargestelltem und Darstellern bedarf. Außerdem packt der Autor, der auch für die Fernsehversion von Uwe Johnsons "Jahreszeiten" und Victor Klemperers "Tagebücher" verantwortlich ist, einfach viel zu viel in sein Stück hinein. Es gibt Hitlers Endzeitstimmung und einen Zickenkrieg zwischen Eva Braun und Magda Goebbels, Himmler wird zum drohenden Geheimnis aufgebaut, mit dem Hitlers Photograph Hofmann in heftigen Clinch gerät.

    Das ganze will mit seiner Zithermusik und mit komödiantischen Figurenkopien ein Volksstück sein. Seinen historischen Figuren wie Hitler und Eva Braun rückt es allerdings nicht mit grotesker Schärfe, sondern mit pinseliger Bravheit zu Leibe.

    Auf diese Weise wird das Stück auf eine Spieldauer von fast drei Stunden aufgeblasen. Und weil sich Regisseur Herbert Olschok zwar mit wunderbarer handwerklicher Genauigkeit, aber mit allzu großer Bedächtigkeit durch die Szenen buchstabiert, wirkt die Aufführung ungemein langatmig und zäh.

    Wenn Goebbels 1944 seinen Doppelgänger besucht, gerät dieser frei und der wahre Goebbels in die Zwangsjacke. Der Doppelgänger muß den Führer auf dessen Berghof über den verpaßten Endsieg hinwegtrösten und sich im Bett von Magda Goebbels als "Tiger" erweisen. Wesentliches über das verzwickte Verhältnis zwischen äußerem Schein und innerem Sein erfährt man so allerdings nicht.

    Wirklich großartig allerdings ist Philipp Mauritz in der Doppelrolle des Geduldig und Goebbels: wie er gestisch, mimisch und stimmlich Goebbels kopiert und den Vorgang der Darstellung zugleich ausstellt, das ist hinreißend. Aber wo George Tabori mit grotesker Lakonie und grimmigem Witz vorgeht, da menschelt dieses Stück allzu bieder. Trotz eines in vielen Positionen hervorragenden Potsdamer Ensembles scheitert diese ambitionierte Uraufführung eines kritischen Volksstückes leider letztlich sowohl formal wie inszenatorisch.