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Dunkler Schmierstoff

Astronomie. - Nur ein geringer Teil des Weltalls ist aus gewöhnlicher Materie aufgebaut - die restlichen 96 Prozent sehen wir gar nicht. Kosmologen sprechen deshalb von Dunkler Materie und Dunkler Energie. Astronomen in Schottland schlagen nun ein neues Modell vor, das diese beiden Phänomene vereinen könnte.

Von Guido Meyer |
    Im Anfang war der Urknall. Mit ihm entstanden Zeit und Raum. Nach einer Phase der Abkühlung bildete sich aus der Energie dieser Explosion die Materie, getreu der Einsteinschen Gleichung E gleich m mal c Quadrat. Aus einem Teil der Urknall-Energie entstand die uns bekannte, so genannte baryonische Materie: Protonen, Neutronen, Elektronen. Der weitaus größte Teil der Ursprungsenergie jedoch hat überlebt, wird heute als Dunkle Energie bezeichnet und macht etwa 75 Prozent der Masse des Universums aus. Und aus einem Teil dieser Dunklen Energie soll die Dunkle Materie ausgekühlt sein, die etwa 25 Prozent Anteil am All hat. Drei Viertel Dunkle Energie, ein Viertel Dunkle Materie.

    "Wenn die Dinge eine andere Dichte bekommen, benehmen sie sich anders. Wir sprechen vom Phasenübergang. Ein solcher tritt beispielsweise auf, wenn Eis zu Wasser schmilzt oder es verdampft. Sein Aggregatzustand hängt von der Umgebungstemperatur ab."

    HongSheng Zhao von der Schule für Physik und Astronomie der Universität von St. Andrews in Schottland hat diese Parallele für die Dunkle Energie und die Dunkle Materie angewandt. Beide, so seine Theorie, seien verschiedene Ausprägungen ein und desselben Phänomens, das er Dark Fluid nennt, was in etwa so viel heißt wie "Dunkler Schmierstoff". Um im Bild zu bleiben, würde dieser "Schmierstoff" dem Wasser entsprechen, das im Weltall als Wasserdampf – Dunkle Energie – oder Eis – Dunkle Materie – anzutreffen sei.

    "Die Eigenschaften dieses 'Schmierstoffs' ändern sich, abhängig von seiner Dichte und seiner Wechselwirkung mit der Umgebung. Im kosmologischen Maßstab, wo die Dichte am geringsten ist, macht er sich als Energie bemerkbar und treibt das All beschleunigt auseinander. Auf kleinerer Ebene, im Umfeld von Galaxien, wo die Dichte hoch ist, tritt dieser 'Schmierstoff' als Materie in Erscheinung, die durch ihre Anziehung zur Galaxienbildung beiträgt. Gemäß Einstein sind Materie und Energie aber nicht grundverschieden, sondern lassen sich als ein Feld beschreiben, das unterschiedliche Eigenschaften annehmen kann."

    Das Modell des Astrophysikerteams um HongSheng Zhao läuft genau auf die drei zu eins Verteilung von Dunkler Energie und Dunkler Materie hinaus, die heute zu beobachten ist. Außerdem wirkt die Dunkle Materie mit derselben Kraft auf Galaxien wie die Dunkle Energie auf den sich aufblähenden Kosmos. Die Amplituden beider Kräfte sind gleich, das heißt Galaxien werden von der Anziehungskraft der Dunklen Materie in einem Tempo beschleunigt, das stets proportional ist zur Ausdehnung des Alls. Diese Korrelation könne kein Zufall sein, so die schottischen Wissenschaftler.

    "Der Anteil der 'Dunklen Materie' und der 'Dunklen Energie' an diesem ominösen 'Dunklen Schmierstoff' sind nicht statisch, sondern verändern sich. Wenn man nach dem Eis-Wasser-Verhältnis auf der Erde fragt, wäre die Antwort auch temperaturabhängig. Und je mehr das All abkühlt, je älter es also wird, desto weniger Materie gibt es in ihm und desto mehr Energie, denn das Universum dehnt sich immer weiter und immer schneller aus."

    HongSheng Zhao bietet einen Test seiner Theorie an: Sollte es sich bei der Dunklen Energie und der Dunklen Materie um ein und dasselbe Phänomen handeln, dürfte der neue Teilchenbeschleuniger LHC nicht fündig werden, sobald er wieder in Betrieb ist. Der 'Dunkle Schmierstoff' wäre demnach aus einem Material, das sich auf einem extrem niedrigen Energieniveau bewegt, und würde vom LHC – der nach hochenergetischen Partikeln sucht – schlicht übersehen werden.