Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Durch den Wolf der Polemik gedreht

"Österreich ist schön" - der langen Tradition österreichischer Selbstbeschimpfung entsprechend, ist der Titel naturgemäß ironisch zu verstehen. Ganz ernst ist es dem Wiener Dichter und Bachmannpreisträger dagegen mit seinem Gegenstand, der österreichischen Asylpolitik.

Eine Besprechung von Tobias Lehmkuhl | 30.09.2009
    Franzobel: "Die Thematik, die mich dazu inspiriert hat, ist eigentlich eine traurige, nämlich die Abschiebung der Familie Zogaj, die im Jahr 2007 stattgefunden hat, die ich selbst hautnah miterlebt habe. Ich habe daraufhin beschlossen, einerseits zuerst einmal Theaterstück zu schreiben, habe dann aber gemerkt, dass diese Geschichte um diese Familie noch nicht abgeschlossen ist, weil es doch eine recht komplexe Geschichte ist letzten Endes, und habe das Ganze bei dem Theaterstück etwas verschoben, es ist mittlerweile eher ein Text über Migration, über Wirtschaftskrise, über Heimat, über eine global gefasstere Thematik geworden, während der Essay, der dem Ganzen vorangestellt ist, zuerst nur als Vorwort geplant war, dann aber, weil ich soviel Material hatte zur Geschichte der Arigona Zogaj, zu einem fast 100-seitigen Essay geworden ist."

    Von einem Essay spricht der Dichter Franzobel, und doch meint man es bei "Österreich ist schön" bisweilen mit einer Kampfschrift zu tun zu haben. Denn beide Teile des Buches, sowohl Essay als auch Theaterstück, sind vom selben Furor getrieben: der Empörung über die Ausweisung einer kosovarischen Familie aus Österreich. Dass diese Ausweisung zweifellos nach Recht und Gesetz vorging, muss gesagt werden, und sie hätte auch kaum für Aufsehen gesorgt, wenn es dabei nicht zu einer Panne gekommen wäre. Die Panne heißt Arigona, war zum Zeitpunkt der Abschiebung 15 Jahre alt und fern der Familie auf einem Mopedführerscheinkurs. Sie zog es vor, sich vor der Polizei zu verstecken. Das Mitleid mit dem Mädchen war groß und führte zu einer erneuten Diskussion über das österreichische Asylrecht, und so polemisch die rechtspopulistische FPÖ auf der einen Seite wurde, so wehrhaft und durchaus plakativ zeigt sich auch Franzobel, sowohl im Essay als auch in "A Hetz oder Die letzten Tage der Menschlichkeit", jenem "präapokalyptischen Kaleidoskop in fünf Bildern", wie er das auf den Essay folgende Theaterstück nennt.

    "Ich denke, es gibt wenig Berufsgruppen, bei denen man die Möglichkeit hat, sich derart offen und unverblümt einzumischen, weil bei allen anderen, zumindest in Österreich ist es so, Journalisten oder normal angestellten Menschen ist immer die Gefahr da, dass ein Chef zurückbremst. Autoren haben diese Freiheit, ich seh mich auch ein bissel als ein enfant terrible, ich hab diese Freiheit, in der Freiheit des Dichters sozusagen."

    Frei, ja geradezu anarchisch geht es entsprechend in Franzobels Texten zu. Von einem "Splatter-Porno" ist einmal die Rede, und tatsächlich geht es schwer zur Sache, mit derben Witzen, brutalen Typen und wüsten Beschimpfungen. Grundiert ist diese Aggressivität gleichwohl von einem Gefühl des Mitleids, einem durch und durch naiven Wunsch, es mögen doch allen so gut gehen wie einem selbst. Diese Naivität aber darf nicht verwechselt werden mit Dummheit. Für Franzobel gehört sie vielmehr zum Programm. Ohne Naivität, so sagt er, gäbe es schließlich keine Veränderung.

    "Wenn man die Verantwortung spürt, dann soll man das machen, es ist derzeit sehr aus der Mode geraten, gerade auch in der Literatur, sich zu engagieren, und wenn man sich eine gewisse Naivität bewahrt hat, die natürlich notwendig ist, kann man vielleicht doch etwas bewegen. Ich glaube jetzt nicht, dass in dem konkreten Fall jetzt dieses Buch irgendwas bewegen wird. Aber wenn man sich die Geschichte der Menschheit ansieht, dann hat Literatur mit der Aufklärung doch sehr viel dazu beigetragen, dass wir jetzt unter ein bisschen menschlicheren Bedingungen leben als etwa im Mittelalter, wo die Menschen noch geköpft, gevierteilt oder gerädert worden sind."

    Ein bisschen wie gerädert fühlt man sich auch nach der Lektüre von "Österreich ist schön" vor, ein bisschen aufgepeitscht und durch den Wolf der Polemik gedreht. Aber eines ist man ganz gewiss nicht: eingeschlafen. Und zu lachen gibt es am Ende auch noch gehörig. Da hat Franzobel nämlich, in Anlehnung an Peter Hammerschlags "Ungarische Schöpfungsgeschichte", selbst eine österreichische, eine serbische und eine italienische, eine Tiroler, eine Berliner und eine russische Version der Schöpfungsgeschichte gedichtet. Wider den Nationalismus, sozusagen, aber doch die Eigenheiten eines jeden Volkes achtend:

    Am Anfang mio dio hielte Gott erst eine Siesta,/ dann schufe er die Nudel und das Pesto.

    Franzobel: Österreich ist schön. Ein Märchen.
    Zsolnay Verlag, Wien 2009. 188 Seiten, 17,90 Euro.

    Franzobel