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Durch umkreisen vertieft erschließen

Nach dem Fund der verschollen geglaubten Habilitation des Kunstwissenschaftlers Erwin Panofsky hat sich der Kunstgeschichtler Horst Bredekamp sicher am meisten gefreut: Er hat vor 20 Jahren den Versuch unternommen, den Inhalt der Schrift zu rekonstruieren. Auf das Original ist er, wie er betonte, nun sehr gespannt.

Katja Lückert im Gespräch mit Horst Bredekamp |
    Typoskripte der Habilitation Erwin Panofskys
    Typoskripte der Habilitation Erwin Panofskys (picture alliance / dpa / ZI)
    Katja Lückert: Gefunden im Keller des Münchener Zentralinstituts für Kunstgeschichte im Nachlass seines Schülers Ludwig Heinrich Heydenreich: Die Schrift über die Gestaltungsprinzipien Michelangelos galt jahrelang als verschollen, und gehörte damit zu den großen Mythen der Kunstgeschichte. Erwin Panofsky, 1892 in Hannover geboren, war einer der bedeutendsten Kunsthistoriker. Blieb schließlich nach seiner Flucht nach Amerika seine Habilitationsschrift einfach im Zimmer seines Schülers zurück? - Der Kunstgeschichtler Horst Bredekamp hatte bereits vor 20 Jahren zum 100. Geburtstag Panofskys den Versuch unternommen, den Inhalt der Schrift zu rekonstruieren. Er ist jetzt am Telefon. Herr Bredekamp, ist das wirklich so ein Sensationsfund? Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" füllt damit heute zu großen Teilen ihr Feuilleton.

    Horst Bredekamp: Ja man kann dieses, glaube ich, unterstreichen. Es ist in vielfältiger Hinsicht bewegend: einmal die Umstände, unter denen Panofsky mit dieser Arbeit habilitiert wurde in Hamburg, es war die Begründung der großen Hamburger Schule an der dortigen Reformuniversität. Der zweite Punkt: Der Schüler Heydenreich ist eine schwierige Figur, Gestalt. Und das Auftauchen in einem Panzerschrank der NSDAP. Ich hatte meinen Artikel mit "ex nihilo" begonnen, also aus dem Nichts versuche ich, die Habilitation zu rekonstruieren. Dass dieses aus dem Nichts jetzt ein Panzerschrank der NSDAP ist, ist von einem historischen Teufelskreis-Charakter.

    Lückert: Sprechen wir doch mal von diesen NSDAP-Panzerschränken. Was hat es damit auf sich? Stehen die einfach noch so im Keller des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München und warum hat da vorher niemand reingeschaut?

    Bredekamp: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist im Prinzip ja verdienstvoll, dass das Zentralinstitut, das in diesem Gebäude ist, das ein unter den Nazis gebautes Amtsgebäude war, dass diese sämtlichen Bestände dort aufgearbeitet werden. Und es ist offenbar eine Ironie, dass im letzten Schrank dieses Material aufgetaucht ist, im letzten Schrank, der überhaupt erschlossen worden ist.

    Lückert: Panofsky lehrte bis 1933 in Hamburg und emigrierte nach Amerika. Auf der Flucht ging also diese Schrift verloren. Was bedeutet er heute für Kunstgeschichtler? Studieren Studenten noch seine Theorie der Ikonologie?

    Bredekamp: Man kann sagen, dass sich diese Methode in einer solchen Weise verbreitet und verwirklicht hat, dass oftmals überhaupt nicht deutlich wird, aus welchen Wurzeln sie stammt. Sie ist Kanon dieses Faches geworden. Sie war zwar immer umstritten, hat sich aber, man kann sagen, weltweit durchgesetzt. Es ist die Warburg-Schule Hamburgs, zu der Panofsky gehörte. Sie versucht, das Kunstwerk im Kontext zu erschließen. Es ist immer wieder durch Kritiker gesagt worden, dass durch diese Kontextualisierung das Eigentliche, also die Form, dabei ins zweite Glied kommt. Ich habe das von Anfang an - und andere natürlich auch - vollkommen bestritten. Gerade Panofsky ist ein exquisiter Formanalytiker. Und der Fund der Habilitation bezeugt eben - ich hatte dies damals auch zu rekonstruieren versucht aus den Splittern, die ich sozusagen gefunden hatte -, dass eben die Form im Mittelpunkt steht und sie durch Umkreisung gleichsam vertieft erschlossen werden soll und auch geschützt werden soll.

    Lückert: Erklären Sie das doch noch mal ein bisschen. Gab es da eigentlich nur ein Exemplar der Arbeit? Sie sprechen von Splittern. Auf welcher Grundlage haben Sie über Panofskys Arbeit damals vor 20 Jahren geschrieben?

    Bredekamp: Karin Michels hatte das Gutachten eines der Kommissionsmitglieder, Gustav Pauli, gefunden. Gustav Pauli war ein befreundeter, väterlich befreundeter, so kann man vielleicht sagen, Direktor der Hamburger Kunsthalle. Er hat dem kunsthistorischen Institut damals auch Logie gegeben, als es dann eingerichtet wurde als Teil der Hamburger Universität. Aufgrund dieses Gutachtens und der Zusammensetzung der Kommission habe ich den Inhalt der Habilitation zu rekonstruieren versucht, vor allem aber in den späteren Schriften Panofskys, in denen er sich mit Michelangelo auseinandersetzt, versucht, diese Habilitation zusammenzustellen. Und meine Schlussthese war: Es gab keine Xerokopie, sondern Panofsky hat sie einfach zerschnitten und in verschiedenen Aufsätzen und Ansätzen gleichsam verdeckt veröffentlicht. Das erweist sich nun insofern als ein Irrtum, als das gesamte Manuskript zum Vorschein gekommen ist. Aber es wäre zu überprüfen, ob er nicht doch eine Kopie hatte oder Teile davon kopiert hatte und daraus dann seine späteren Arbeiten zu Michelangelo gezogen hat.

    Lückert: Jetzt wird es aber dann doch noch mal spannend für Sie, sozusagen das zu vergleichen, was Sie damals geschrieben haben, mit dem, was jetzt gefunden wurde, oder?

    Bredekamp: Ja! Da bin ich jetzt sehr, sehr darauf gespannt.

    Lückert: Das heißt, Sie bekommen die Schrift in den nächsten Tagen?

    Bredekamp: Das weiß ich nicht. Ich bin selbst überrascht worden durch die Veröffentlichung heute Morgen.

    Lückert: Horst Bredekamp über die einst verschollen geglaubte Habilitation des jüdischen Kunsthistorikers Erwin Panofsky, die nun im Keller des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte wieder aufgetaucht ist.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr Informationen auf dradio.de:

    - Panofsky im Panzerschrank - Spektakulärer Wissenschaftsfundam Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München
    - Ein Glückstag für die Kunstgeschichte - Forscher entdecken legendäre Schrift des Kunsthistorikers Erwin Panofksy