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E-Books zwischen Buchpreisbindung und freie Preisgestaltung

Sollte im Bereich der elektronischen Bücher, E-Books, eine freie Preisgestaltung eintreten, würden sich viele Käufer aus Kostengründen für E-Books entscheiden, sagt Helge Malchow. Dann wäre der klassischeBuchhandel kaum noch zu schützen, sagt der Verleger.

Helge Malchow im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 25.08.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: "Gigant ohne Geist", titelte "Die Zeit" gerade über eine Firma, bei der doch wohl die meisten Geistesmenschen inzwischen zur Stammkundschaft zählen, sei es, indem sie Bücher oder auch alles andere für Büro, Freizeit und Haushalt per Internet bestellen, sei es, indem sie E-Books auf den Kindle, dieses ästhetisch durchaus ansprechende Lesegerät, herunterladen, oder sei es - und jetzt wird es brisant -, dass sie selber als Autoren auftreten und ihre Textdateien für den Kindle-Vertrieb hochladen. Die Rede ist natürlich von der Firma Amazon, die den herkömmlichen Verlagen inzwischen tüchtig Angst macht. Willkommen, Helge Malchow, Sie sind der Chef des in Köln ansässigen Verlags Kiepenheuer und Witsch. Wollen Sie mein nächstes Buch verlegen, oder soll ich es gleich über Amazon verkaufen?

    Helge Malchow: Ich vermute, Sie ahnen, dass bei einem Verlag wie Kiepenheuer und Witsch oder Hanser oder Suhrkamp oder Fischer Kompetenz vorhanden ist, um mit Ihrem Manuskript das richtige zu tun, nämlich es unter Umständen noch zu veredeln und dann über die richtigen Kanäle in die Öffentlichkeit zu tragen, die richtige Werbung zu machen, die nicht peinlich ist, und die Buchhändler und die anderen Kanäle, über die Bücher verkauft werden, so zu informieren, dass sie sich engagieren. Und wenn Sie darüber hinaus noch eine Vorschusssumme brauchen, um das Buch fertigzustellen, dann bekommen Sie die auch von uns. Eine ganze Reihe von diesen Dingen sehe ich bei Amazon im Augenblick noch nicht. Wenn Amazon aber irgendwann alle diese Leistungen auf demselben Level auch erbringen kann, dann wird man wenigstens sagen müssen, das wird Amazon genauso viel kosten wie Kiepenheuer und Witsch und dann bekommen Sie nicht 70 Prozent Honorar, sondern 25 wie bei Kiepenheuer.

    Müller-Ullrich: Gehen wir mal eine Stufe zurück, denn wenn wir über Amazon reden, dann reden wir ja eigentlich über eine Hydra mit mindestens drei Köpfen. Das eine haben wir eben schon angedeutet: Das ist die Verlegerei, die sie jetzt angefangen haben. Aber eigentlich ist es ein Internetbuchhandel, und da tut sich ja auch was Seltsames, man könnte es fast für eine geschichtliche Ironie halten. Diejenigen, die vorher die Bösewichter der Buchhandels- und Verlagsszene waren, nämlich die Großbuchhändler, Thalia, Hugendubel und so weiter, die ja auch mit Preisdruck gearbeitet haben und sich einfach wie Monopolisten aufgeführt haben, die geraten jetzt durch einen neuen, der nichts anderes macht, nur noch ein bisschen erfolgreicher, nämlich Amazon, unter Druck.

    Malchow: Mit Preisdruck haben die Ketten nicht gearbeitet, mit Rabattdruck, denn wir haben ja in Deutschland Buchpreisbindung und die Bücher kosten, egal ob in einem Kettengeschäft oder in einem Einzelgeschäft, denselben Endpreis bei den physischen Büchern. Aber in der Tat ist es so, dass natürlich Amazon international gesehen ein riesiger Buchhändler ist, im Übrigen ja auch schon für physische Bücher. Es ist für bundesdeutsche Verlage wie Kiepenheuer und Witsch der größte Händler, was den Verkauf unserer Bücher betrifft, circa 20 Prozent bei uns. Und das Problem beginnt dann wirklich drastisch zu werden, wenn über die verschiedenen Mechanismen, über die man noch sprechen müsste, die Buchpreisbindung kippen würde - erst einmal für elektronische Bücher und dann im Anschluss daran für physische Bücher. Dann kann natürlich ein Gigant wie Amazon, der es aushält, über Monate und Jahre Dumpingpreise zu garantieren, die gesamte Konkurrenz zerstören.

    Müller-Ullrich: Ist nicht der Bereich des gedruckten Buchs nach wie vor und weiterhin und vielleicht sogar immer mehr etwas vollkommen anderes als E-Books? Das heißt, auch wenn wir über Preisbindung reden, sollte man das vielleicht gar nicht in einen Topf werfen, denn wir sehen ja eins: Diejenigen, die sich noch am besten halten, sind die klassischen kleinen Buchhändler, die ihre Nachbarschaft kennen und von ihr gekannt werden, die möglicherweise auch mit dem und jenem Autor vernetzt sind, der da dann persönlich auftritt. Das heißt, das ist ein Spezialgeschäft, das ist fast unangreifbar.

    Malchow: In den letzten Jahren ist gerade dieses Segment des Marktes sehr stark geschrumpft aufgrund der Dominanz und des immer größer werdenden Gewichts der Buchhandelsketten. Wir in den klassischen Publikumsverlagen verkaufen ja nur noch über diese unabhängigen Buchhandlungen circa 25 Prozent unserer Bücher. Das ist nicht mehr viel! Und es gibt eben doch zumindest dann in der Zukunft einen Zusammenhang zwischen den elektronischen Büchern und den physischen Büchern in der Gestalt, dass wenn bei den elektronischen Büchern wir in eine Situation der freien Preisgestaltung kommen, dann kann natürlich ein Gigant wie Amazon durch extrem niedrige E-Book-Preise eine Situation herbeiführen, in der dann doch sehr viele Käufer sich für das E-Book entscheiden, weil es nur noch die Hälfte des physischen Buchs kostet, denn die Menschen müssen ja auch rechnen. Und wenn wir an dem Punkt sind, dann können wir auch damit die klassischen unabhängigen literarischen Buchhandlungen kaum noch schützen.

    Müller-Ullrich: Aber wie soll denn eine Preisbindung für E-Books rein technisch funktionieren? Wo das klassische Buch gehandelt wird, lässt sich feststellen, in welchem Land, an welchem Ladentisch. Die Server, die sind ja weltweit verteilt.

    Malchow: Na ja, es gibt ja eine vergleichbare Lösung, wie sie in den USA in den letzten Monaten und Jahren ja praktiziert worden ist, die Ähnlichkeit hat mit der Buchpreisbindung: Das sogenannte Agenturmodell, bei dem beispielsweise die großen Buchverlage sich geeinigt haben mit Apple, einem anderen großen Buchvertreiber über das iPad, und man hat dort sich darauf geeinigt, dass die Preise, für die über die Apple-Devices die Bücher vertrieben werden, von den Buchverlagen festgelegt werden. Dann kann man immer noch über die Rabatte diskutieren, aber wenn man zu einer solchen Lösung kommt, dann kann man vonseiten der Verlage eine Art Gleichgewicht herstellen oder garantieren für eine gewisse Zeit zwischen den E-Book-Preisen und den physischen Buchpreisen, sodass die Differenz nicht zu groß wird und den gesamten physischen Buchmarkt zerstört.

    Müller-Ullrich: Wegen genau dieser Einigung haben Apple und die fünf beteiligten Großverlage in Amerika ein Kartellverfahren am Hals. Einer dieser Verlage gehört zu Holtzbrinck so wie Sie beziehungsweise Kiepenheuer und Witsch auch. Welche Chancen sehen Sie denn, dass Sie da noch davon kommen?

    Malchow: Na ja, es ist ein Verfahren eingeleitet worden vom Departement of Justice in den USA gegen sechs große Buchkonzerne oder Buchverlagsgruppen. Eine davon ist die Holtzbrinck-Gruppe, eine zweite Penguin. Vier dieser Verlage haben sich mit dem Departement of Justice auf einen Kompromiss eingelassen und ein Settlement akzeptiert, das große Nachteile erbringt. Aber immerhin Holtzbrinck und Penguin versuchen, die Argumentation des Justizministeriums vor Gericht infrage zu stellen. Und da ich der festen Meinung bin, dass hier einfach aufseiten der Politik ein Denkfehler besteht beziehungsweise ein Informationsdefizit besteht und man einfach nicht erkannt hat, dass die wahre Marktbeherrschung hinter dem lauert, was dort im Prinzip vom Justizministerium moniert wird, nämlich die Gefahr einer Kontrolle des Marktes durch ein einziges Riesenunternehmen, sehe ich eine gewisse Chance, dass sich da das Wissen und die Erkenntnis doch noch einmal durchsetzt und man noch einmal nachdenkt.

    Müller-Ullrich: Vielen Dank, Helge Malchow. - Das war der Chef des Verlags Kiepenheuer und Witsch über seine und Amazons Geschäftspolitik.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.