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E fährt mit

Automobiltechnik.- Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität werden. Das verkündete die Bundeskanzlerin vor rund einem Jahr. Angesichts des Vorsprungs, den die Industrie im Ausland hat, ein ambitioniertes Ziel.

Von Sönke Gäthke |
    Das Elektroauto ist eine Revolution. Wenn es wirklich gelingt, das Auto langfristig auf Stromantrieb umzustellen, dann werden Autohersteller, Elektroindustrie aber auch die Energieversorger und die Stromnetze ganz anders aussehen als heute. Davon ist Thomas Becks vom VDE, dem Verband Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik überzeugt.

    "Man kann das daran festmachen, dass bei Elektrofahrzeugen, sagen die Experten, etwa 70 Prozent der Wertschöpfung im Bereich der Elektroindustrie eigentlich stattfinden, der elektrische Antrieb, der Motor, das ist ja offensichtlich, die Batterie, die dazu gehört, Leistungselektronik und andere Dinge."

    Zu denen etwa die Informationstechnik gehört, mit der die Ladung der Batterien gesteuert und abgerechnet wird. Dazu kommt der notwendige Aufbau einer Infrastruktur. Technisch bringt Deutschland gar nicht so schlechte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Revolution mit:

    "Deutschland steht gut da bei den Elektroantrieben, also bei den Motoren, es steht auch sehr gut da bei der Leistungselektronik."

    Nur bei den Batterien hapert es. Doch dafür, ist der VDE überzeugt, sind die Forscher hierzulande besser.

    "Man sagt immer noch, dass Deutschland, was das Systemdenken und die Systementwicklung angeht, weltweit führend ist, Kreativität ist sicherlich auch immer noch ein Thema, das uns von den Asiaten unterscheidet, wir sind immer noch kreativer."

    Doch ausgerechnet organisatorisch stehen sich die Branchen in Deutschland derzeit im Weg. Eigentlich müssten sie jetzt gemeinsam ihre Vorteile ausspielen und den Rückstand aufholen. Stattdessen liefern sie sich einen Kampf um die Macht.

    "Jetzt ist ja schon erkennbar, dass es einen Wettbewerb gibt zwischen den einzelnen Branchen, die damit verkettet sind. Diesen Wettbewerb kann man erkennen zum Beispiel auf der Nationalen Plattform Elektromobilität, wo es um solche Themen geht, und da muss man mal kucken, wer sich da am Ende durchsetzen wird."

    So setzte der Verband der Automobilindustrie, VDA, bereits vor der Gründung der Plattform alles daran, so viele Leitungsfunktionen wie möglich mit Vorständen aus seinen Reihen zu besetzen – oder mit solchen, die ihm gewogen sind. Das berichtete im April die FAZ. Die übrigen Verbände – BDI oder ZVEI zum Beispiel – kamen kaum zum Zug.

    In den letzten Monaten, berichten Beobachter, soll der VDA dann versucht haben, eigene Forschungsschwerpunkte bei den zuständigen Ministerien durchzusetzen – an der Plattform vorbei.

    Das ist zum Teil sogar verständlich. Zum einen geht es um die Verteilung der Forschungsgelder. Aber es geht auch um die Deutungshoheit, um die Frage, wie das Auto der Zukunft aussehen soll. Deutsche Hersteller verkaufen vor allem individuelle Rennreiselimousinen, schnelle, schwere Autos mit großer Reichweite. Das Elektroauto wird aber eher klein sein und eine begrenzte Reichweite haben – ideal für den Stadtverkehr, für Carsharing-Flotten und neue Mobilitätskonzepte. Die Bemühungen des VDA kann man daher als Versuch interpretieren, diese Elektroauto-Revolution einzudämmen. Und damit die überkommenen Geschäftsmodelle in die neue Zeit zu retten.

    Doch dieser Kleinkrieg kostet Kraft – und wertvolle Zeit. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass sich andere Nationen solches Gerangel nicht leisten.

    "Die US-Amerikaner beispielsweise machen uns bei neuen Themen vor, dass es da ganz anders funktioniert. Wenn alle der Meinung sind, das neue Thema hebt ab, dann formiert man sich als neue Branche, als neue Idee, und es ist ganz egal, aus welcher alten Branche an kommt, man arbeitet sehr eng zusammen. Und das ist natürlich eine Herausforderung, die wir bestehen müssen, und die wir auch schnell bestehen müssen."

    Ähnlich dürften auch die Politik und die Industrie Chinas zum Beispiel verfahren. Es könnte daher durchaus passieren, dass über den innerdeutschen Zwist um die Frage, wer das Elektroauto definieren darf, Forschung und Unternehmen im Ausland Fakten schaffen. Um in dieser Situation die Chancen Deutschlands auf den Leitmarkt für Elektromobilität zu erhalten, schlägt der VDE ein Mittel aus seiner eigenen Kernkompetenz vor: Die Normung von Schnittstellen.

    "Das ist sicherlich ein Thema, wir haben verschiedene Komponenten, wir haben die Leistungselektronik, wir haben die Batterie, wir haben den eigentlichen Antrieb, also den Motor, und gut wäre es am Ende, wenn die entlang genormter Schnittstellen miteinander funktionieren würden."

    Der Vorteil: Die Zuliefererindustrie könnte schon mal unabhängig vom Ausgang des Machtkampfs mit der Entwicklung von Leistungselektronik, Elektromotoren oder Getrieben anfangen. Praktisch käme das einer weiteren Revolution gleich: Bis jetzt sind die Pkw-Hersteller peinlich darauf bedacht, die Schnittstellen ihrer Antriebe nicht aufeinander abzustimmen. Ein VW Getriebe passt nicht an einen BMW-Motor, die Motorelektronik von Porsche nicht zu Ford. Beim Elektroauto soll das aber der Fall sein – es bleibt ab zu warten, ob der VDA da mitspielt.