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Ebbe in der Ägäis

Griechenland kann auf den freien Kapitalmärkten so gut wie kein Geld mehr aufnehmen. Die Länder der Eurozone müssen rasch über Milliardenhilfen entscheiden. Doch in Berlin tobt die Debatte um Hilfen für Griechenland. Darf, soll und muss Deutschland dem griechischen Staat finanziell helfen?

Von Christoph Birnbaum | 28.04.2010
    "Junk" - Ramsch. So lautete das Urteil, das die Ratingagentur Standard and Poors gestern über die Kreditwürdigkeit Griechenlands gefällt hat. Oder, in der Sprache der Ratingagenturen "BB +". Eine Herabsetzung um gleich drei Stufen. Und ein Urteil, das die Griechen, die ohnehin am Rande des finanziellen Abgrundes agieren, zusätzlich kosten wird. Denn je schlechter die Bewertung, umso teurer wird es auch, sich neues Geld zu leihen.

    Für Griechenland bedeutete das, dass es seit gestern auf den freien Kapitalmärkten so gut wie kein Geld mehr aufnehmen kann. Doch die Griechen brauchen dringend neues Geld, denn der 19. Mai rückt immer näher. Dann muss das Land wieder einmal eine Anleihe umschulden - dafür braucht es mehr als 8,5 Milliarden Euro.

    "Nur bei Ebbe sieht man, wer nackt badet", hat der amerikanische Finanzguru Warren Buffett einmal gesagt. Und zurzeit steht Griechenland nackt da - denn neben der Anleihe muss Athen auch das laufende Haushaltsdefizit finanzieren, Monat für Monat rund zwei Milliarden Euro.

    Erst in der vergangenen Woche mussten die Griechen außerdem zugeben, dass ihr Haushaltsdefizit dieses Jahr mit 13,6 Prozent noch höher ausfällt als erwartet. Der Schuldenberg Athens ist auf 273 Milliarden Euro angewachsen - das entspricht 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liegt damit weit über dem von der EU erlaubten Gesamtschuldenstand von 60 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt das Defizit laut Eurostat bei 3,3 Prozent. Deshalb wird es für Athen zwingend, die von der EU und dem Internationalen Währungsfonds angebotenen Hilfskredite in Anspruch zu nehmen.

    Damit wächst auch der Druck auf die Bundesregierung, möglichst rasch über mögliche Milliardenhilfen zu entscheiden. Doch in Berlin tobt die Debatte um Hilfen für Griechenland. Darf, soll und muss Deutschland dem griechischen Staat finanziell helfen? Gestern war es die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, die auf eine schnelle deutsche Hilfe drängte.

    Vorgestern, am Montag, waren es die europäischen Außenminister, heute waren es der IWF-Chef Strauss-Kahn und EZB-Chef Trichet, die beide für Gespräche mit Kanzlerin und Finanzminister in Berlin waren. Anschließend traf sich die Kanzlerin mit den Vorsitzenden der OECD, der Welthandelsorganisation, der Internationalen Organisation für Arbeit, des IWF und der Weltbank. Die Ergebnisse werden zur Stunde in Berlin verkündet.

    Dabei steht eigentlich schon seit Langem fest: Griechenland wird Hilfen der EU erhalten. Was immer die Politik für einen Eindruck zu vermitteln versucht, die EU hat bislang zugesagt, Griechenland mit bis zu 30 Milliarden Euro in diesem Jahr zu helfen. Rund acht Milliarden davon kommen aus Deutschland. Der internationale Währungsfonds hat 15 Milliarden Euro zugesagt. Und überlegt nach Medienberichten, noch einmal zehn Milliarden nachzuschießen. Frankreich, Luxemburg und Italien haben bereits ihre Kreditzusagen fest gegeben.

    Die ganze aufgeregte politische Diskussion in Berlin hat deshalb auch etwas von einer Scheindebatte: Die eigentlichen Entscheidungen und Absprachen sind seit Langem gefallen - und eigentlich auch in allen Fraktionen und Parteien bekannt. Die scheinbar harte Haltung der Kanzlerin dient deshalb wohl eher dazu, den Druck auf Griechenland zu erhöhen, um das Land zu weiteren Einsparungen zu drängen. Doch es wird damit gerechnet, dass die Europäische Zentralbank und der IWF bereits in den nächsten Tagen eine Gefährdung der Stabilität in der Eurozone, schriftlich feststellen werden - dann werden sich die Euro-Staats- und Regierungschefs über mögliche Kredite abstimmen. Der EU-Ratspräsident Herman van Rompuy hat bereits einen Krisengipfel angekündigt. Termin: um den 10. Mai herum.

    Das Bundeskabinett wird sich aber noch früher mit den Hilfen beschäftigen müssen. Wahrscheinlich schon kommenden Montag. Im Laufe der kommenden Woche käme dann auch der Bundestag ins Spiel. Er muss seine Zustimmung für deutsche Hilfen geben. Durch ein sogenanntes Garantiegesetz. Die KFW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Bank des Bundes, würde dadurch ermächtigt, Geld für Griechenland am Kapitalmarkt aufzunehmen. Dafür müssen die Griechen fünf Prozent Zinsen zahlen, ungefähr die Hälfte dessen, was sie am freien Markt zahlen würden. Darauf haben sich die europäischen Politiker geeinigt. Der Internationale Währungsfonds verlangt für seine Hilfen sogar nur drei Prozent.

    Diskutiert die Politik also wieder einmal über etwas, was eigentlich nicht mehr zu beeinflussen ist? Der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Jürgen von Hagen, Direktor des Instituts für Internationale Wirtschaftsforschung, meint dazu:

    "Dass Griechenland finanzpolitische Probleme hat, das wissen wir schon lange. Wir wissen auch schon lange, dass Griechenland auf eine Situation hinläuft, aus der es kein einfaches Entkommen gibt, die also drastische Schritte nötig macht. Die Frage, die nach wie vor im Raum steht, ist, ob diese drastischen Schritte selbst getragen werden oder von der Gemeinschaft geschultert werden - auf Kosten der Gemeinschaft auch durchgeführt werden. Und was jetzt geschehen ist, ist, dass die Politik diese Sachverhalte, die seit Monaten bekannt sind, auch offen diskutiert. Mit anderen Worten: Die Politik hat sich selbst in diese Situation manövriert, um anschließend dem Publikum zu sagen: Es gab keine Alternativen mehr, wir mussten handeln und so tun, als hätte es keine anderen Möglichkeiten gegeben."

    Deshalb versuchen Parlamentarier jetzt, anders als bei der Bankenrettung, die quasi über Nacht alle parlamentarischen Hürden nehmen musste, noch so viel Einfluss wie möglich auf die Ereignisse zu nehmen. Denn die Opposition möchte das Gesetz keinesfalls einfach durchwinken. Und lehnt deshalb ein beschleunigtes Gesetzgebungsverfahren ab, wie es sich die Regierung wünscht.

    45 Milliarden Euro an Kreditzusagen braucht das hoch verschuldete Land dabei allein in diesem Jahr. Das ist der bisherige offizielle Stand, dass es mehr sein könnte, schließt man auch in Berlin nicht aus. Und danach? Auf drei Jahre hat die EU-Kommission die Aktion Griechenlandhilfe terminiert. Wie viel es 2011 und 2012 werden wird, ließ sie dabei bewusst offen.

    "Man weiß ja jetzt schon, dass der Finanzbedarf Griechenlands im nächsten und übernächsten Jahr steigen wird. Ehrlich gesprochen reden wir jetzt also nicht von einem Programm von 45 Milliarden Euro, sondern vielleicht 120 bis 150 Milliarden Euro. Denn wenn man jetzt diesen Weg anfängt, dann wird man in der Zukunft ja nicht aufhören können."

    ... meint denn auch der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Jürgen von Hagen. Griechenland - ein Fass ohne Boden?

    Leicht wird deshalb die Zustimmung der Parteien in Deutschland wohl nicht. Obwohl sich eine Mehrheit im Parlament für den Griechenkredit abzeichnet. Es wird aber vielleicht nicht so schnell und reibungslos gehen, wie es sich die Regierung im ersten Augenblick gedacht haben mag. Denn Deutschland befindet sich - zumindest in Nordrhein-Westfalen - im Wahlkampf. Einem wichtigen Wahlkampf mit bundespolitischer Bedeutung.

    Auch deshalb wirft die Opposition der Kanzlerin vor, die Deutschen über die Ursachen der Krise und die Folgen der Hilfe im Unklaren gelassen zu haben. Doch nicht nur bei der Opposition rumort es kräftig. Wie griechenlandkritisch die Stimmung ist, hat erst gerade der FDP-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende gezeigt. Den liberalen Koalitionspartner ärgert, dass er wegen der leeren Staatskassen seine Steuerpläne beschneiden musste, Athen aber Milliarden erhalten soll. "Wer Griechenland Milliarden in Aussicht stellt und sich vor die deutschen Arbeitnehmer stellt und sagt, für euch ist kein Geld da, der schlägt dem Bürger ins Gesicht", erregte sich etwa FDP-Vize Andreas Pinkwart.

    Geht eine solche Rechnung auf? Müssen wir sparen, weil die Griechen jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt haben? Für einen so nüchtern denkenden Wirtschafts- und Finanzexperten wie Jürgen von Hagen ist das längst nicht bloße Wahlkampfrhetorik. Leider!

    "Also wir diskutieren seit einigen Monaten darüber, dass zum Beispiel für Griechenland Hilfen bereitgestellt werden sollen, gleichzeitig die Universität Bonn aber einen Baubedarf von über einer Milliarde vor sich herschiebt. Wir haben Gebäude, die in sich zusammenfallen, und wir fragen uns da natürlich genauso wie die FDP, ob das angemessen ist."

    Und wenn die Menschen erst einmal merkten - so Jürgen von Hagen weiter -, dass die Bundesregierung das geplante Sozialhilfeanpassungsgesetz vor wenigen Tagen mit Verweis auf die Krise in Griechenland verschoben hat, könnte spätestens dann vielen Bundesbürgern dämmern, dass der griechische Finanzschlamassel durchaus auch für jeden Bundesbürger Auswirkungen haben kann.

    Im schlimmsten Fall drohen Deutschland Milliardenverluste. Dann nämlich, wenn Griechenland die Kredite nicht zurückzahlt. Denn der Internationale Währungsfonds hat für seine Hilfskredite den Status des bevorzugten Gläubigers einfordert. Und so würden die Europäer im Fall einer kompletten Pleite Griechenlands nur mehr nachrangig bedient.

    Eine andere Frage ist die Beteiligung der Banken. Ist es eigentlich einfach so hinnehmbar, dass die Gläubiger Griechenlands zwar hohe Renditen einstecken, sich aber an den Risiken nicht weiter beteiligen wollen? Immer lauter werden deshalb auch die Rufe, einen Verzicht privater Gläubiger - in erster Linie von Banken - bei griechischen Schuldtiteln zu verlangen. SPD und Grüne fordern dies. Und auch in der Union gibt es große Sympathien dafür. Für diese Forderung gibt es Beispiele: Bei den Staatspleiten von Russland und Argentinien vor rund zehn Jahren und 2003 in Uruguay mussten Inhaber von Anleihen der beiden Länder auf etwa 70 bis 80 Prozent ihres investierten Geldes verzichten.

    Pech nur, dass gerade wieder einige hinlänglich bekannte Namen aus der krisengeschüttelten Bankenwelt eine wichtige Rolle spielen: Das mit Abstand höchste Griechenlandportfolio hat nach Erkenntnissen der Bafin mit 9,1 Milliarden Euro ausgerechnet die Hypo Real Estate (HRE) in den Büchern. Das mittlerweile zwangsverstaatlichte Institut stockte sein Engagement in diesem Land vom März bis September vergangenen Jahres um fast 50 Prozent auf, genau zu jener Zeit, als es mit erheblichen staatlichen Mitteln gestützt wurde.

    Und auch die Commerzbank, an der der Bund ebenfalls beteiligt ist, hält Griechenlandpapiere im Volumen von 4,6 Milliarden Euro. Ebenso haben angeschlagene Landesbanken im großen Stil griechische Anlagepapiere gekauft, die baden-württembergische LBBW für 2,7 Milliarden Euro und die BayernLB für 1,5 Milliarden Euro. Für den Finanzexperten des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, Manfred Jäger, ist deshalb auch klar.

    "Man muss sich schon fragen, warum Griechenland sich so günstig refinanzieren konnte, also zu 20 oder 25 Basispunkten mehr - nur mehr - als Deutschland. Da sind die Gläubiger auch gefordert. Wir müssen besonders als Wirtschaftspolitiker lernen, dass unser Finanzsystem offenbar manchmal nicht über den Preis diszipliniert. Und wir haben ja eigentlich die Vorstellung, dass das so wäre. Das Finanzsystem soll eigentlich ein Land, das sich übermäßig verschuldet, sanktionieren, indem es einen höheren Zins nimmt. Das tut es aber oft genug nicht. Und kann uns dann am Ende dazu bringen, dass wir Ländern helfen müssen, aber andererseits auch unseren Banken keinen weiteren Schaden zufügen können."

    Weil Banken in der Vergangenheit immer davon ausgegangen sind, dass am Ende der Steuerzahler für ihre Abenteuer einspringen wird. Noch einmal Manfred Jäger:

    "Jedenfalls scheint es so zu sein, dass die Banken lange davon ausgehen, dass Griechenland im Zweifelsfall geholfen werden würde. Wir brauchen deshalb ein System, wo Banken wissen, kleine oder mittelgroße Staaten können durchaus in eine Restrukturierungssituation geraten und dann müssen wir Wertberichtigungen machen, damit die Banken eben früher anfangen, keine Kredite zu geben und nicht, wenn es soweit gekommen ist, dass man wirklich nichts mehr unternehmen kann."

    Die Frage nicht nur in Deutschland ist also zurzeit: Sollen wir die Banken zwingen, auf Forderungen zu verzichten. Nur um danach die Banken, die dadurch in finanzielle Probleme geraten sind, zu stützen? Für den IWF und die EU ist die Sache klar: Sie haben sich bereits vorab darauf verständigt, auf eine Umstrukturierung der Altschulden zu verzichten. Das heißt, es wird nicht den von vielen Ökonomen geforderten "haircut" geben, bei dem die Gläubiger pauschal auf einen bestimmten Prozentsatz ihrer Forderungen verzichten müssen. Gestern hat dies noch einmal der EU-Ratspräsident Van Rompuy in Japan ausdrücklich ausgeschlossen. Und auch aus Koalitionskreisen in Berlin verlautet, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe sich im Haushaltsausschuss des Bundestages gegen eine Umstrukturierung ausgesprochen.

    Deutsche Parlamentarier werden deshalb wohl auch in diesem Punkt nur sehr bedingt Einfluss nehmen können. Wieder einmal werden sie ihre Hilf- und Machtlosigkeit gegenüber der Exekutive beklagen. Selbst verschuldet, wie der Politikwissenschaftler Volker Kronenberg, akademischer Direktor am Bonner Institut für Politische Wissenschaft, meint.

    "Die Entscheidungen sind gefallen. Weder Frau Merkel noch die gesamte Bundesregierung können hinter den Vereinbarungen, die Sie angesprochen haben, zurückfallen. Wir müssen aber die innenpolitische Komponente dieser Frage sehen. Und diese ganze Frage von Finanzhilfen und Kreditgewährung steht im Lichte des 9. Mai. Der innenpolitische Druck auf die Regierung ist enorm. Die Herausforderung, diese Finanzhilfen, diese Kreditzusagen, die ja erfolgt ist, im europäischen Rahmen - dahinter kann ja auch die Regierung nicht mehr zurückfallen, das weiß ja im Grunde auch jeder - ist zu sehen vor der Notwendigkeit, dies vor einem bundespolitischen Wahlgang plausibilisieren zu müssen."

    Und dazugehört, den Anschein zu erwecken, als habe man noch genügend Zeit und Gelegenheit, um ausführlich und kontrovers diskutieren zu können. Selbst dann noch, wenn die Debatte um Griechenland zuweilen über das hinausschießt, was nüchterne Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler wie Manfred Jäger und Jürgen von Hagen kaum noch für nachvollziehbar halten. Beispiel: die Diskussion um einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Ein Horrorszenario, meint Manfred Jäger:

    "Man muss sich mal vorstellen, in welche Situation Griechenland dann stürzen würde. Das hieße im Prinzip, dass Griechenland seine eigene Währung wieder einführen sollte. Wer kauft dann griechische Wertpapiere? Also das führt unmittelbar dann zu einer Währungskrise, die ganzen alten Wertpapiere lauten auf Dollar oder Euro. Die müsste Griechenland dann mit einer abgewerteten Währung bezahlen. Das wäre unschulterbar. Wenn wir Griechenland aus dem Eurogebiet rauswerfen, dann würde Griechenland sofort insolvent. Davon gehe ich aus. Dann hätten wir das Problem nur eskaliert und nicht gelöst."

    Und auch sein Kollege Jürgen von Hagen pflichtet ihm bei:

    "Ich halte das für völligen Unsinn. Aus zwei Gründen: Erstens haben wir kein ordentliches Verfahren dafür, dass ein Land die Währungsunion verlässt. Und das ist auch gut so, bei solchen kritischen Fragen ist es häufig ganz gut, wenn man Verfahren etwas im Dunklen hält. Auf der anderen Seite wäre es für die griechische Volkswirtschaft eine Katastrophe, von jetzt aus der Währungsunion herauszugehen, denn das geht ja nicht über Nacht. Und in dem Moment, wo man so etwas ankündigen würde, würde alles Kapital, einschließlich Humankapital - sprich die gut ausgebildeten Menschen in Griechenland - fluchtartig das Land verlassen. Und zurück bliebe ein großer volkswirtschaftlicher Scherbenhaufen."

    Insgesamt aber rät ein Finanzwissenschaftler wie Manfred Jäger vom Institut der deutschen Wirtschaft zu mehr Besonnenheit und weniger Aufgeregtheit. Denn was bedeuten die Finanzzusagen für Deutschland letzten Endes wirklich: Zunächst einmal geht es um eine Kreditbürgschaft der Bundesrepublik für Kredite, die Griechenland am freien Markt nur sehr teuer, oder mittlerweile fast gar nicht mehr bekommen würde. Weil es nur eine Bürgschaft ist, wird die deutsche Tranche von rund acht Milliarden Euro auch erst noch nicht einmal haushaltswirksam. Das wäre nur der Fall, wenn Griechenland seine Schulden nicht mehr zahlen würde.

    Darüber hinaus macht Deutschland noch ein gutes Geschäft: Denn die KfW leiht sich das Geld für Griechenland zu rund drei Prozent Kreditzinsen am Markt und reicht es an Athen mit einer fünfprozentigen Verzinsung weiter - darauf haben sich die EU-Finanzminister geeinigt. Ein lukratives Geschäft - wenn Griechenland denn zurückzahlt. Obwohl Griechenland bis heute alle seine Kredite beglichen hat, bezweifeln dies Kritiker, wie der Chef des Ifo-Institutes Hans-Werner Sinn. Er geht fest davon aus, dass die Gläubigerländer am Ende wenig oder nichts von ihrem Geld wiedersehen werden. Dazu Finanzfachmann Manfred Jäger:

    "Aber dieses Horrorszenario halte ich für ausgesprochen unwahrscheinlich. Denn die Sanktionen, die Griechenland dann erfahren würde - der Ausschluss vom internationalen Finanzsystem, möglicherweise auch der Ausschluss von verschiedenen Handelsaktivitäten - der wäre so schwer, dass gerade Griechenland, die noch auf Importe von Investitionsgütern angewiesen sind ... Dass ich nicht glaube, dass Griechenland nicht zahlen wird."

    Und auch die Gefahren für den Euro insgesamt hält Manfred Jäger für vernachlässigenswert. Selbst wenn der Euro zurzeit unter Druck gerate - von Dauer werde dies nicht sein. Griechenlands Wirtschaft trägt gerade einmal 2,5 Prozent zur europäischen Wertschöpfung bei.

    Andere Kollegen von Manfred Jäger schätzen die Situation allerdings weniger optimistisch ein. Die Volkswirtschaftler Wilhelm Hankel und Joachim Starbatty, der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider und der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Nölling, der früher Mitglied im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank war, wollen vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof Klage einreichen. Sie glauben nicht, dass Griechenland seine Schulden begleichen wird. Außerdem, so argumentieren sie, sähe das EU-Recht ausdrücklich vor, dass die Union eben keine Haftungsgemeinschaft für in Not geratene Volkswirtschaften sei. Ein "Bail out", eine finanzielle Hilfe, schließe das EU-Recht sogar ausdrücklich aus. Sie sehen deshalb die EU in den nächsten Jahren in größter Gefahr. Der Euro werde zu einer Weichwährung und die EU zu einer reinen Subventionsgemeinschaft. Das alles, so die Kritiker, verändere aber die bisherigen Grundlagen, für die die Bundesregierung jahrzehntelang auf stillschweigende Zustimmung der Deutschen setzen konnte und wofür in anderen Ländern sogar Referenden abgehalten wurden. Wilhelm Nölling, einer der möglichen Kläger, sagte dabei vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk:

    "Ich bin der Meinung, wenn die deutsche Regierung sich dazu bereit erklärt, hier mit massiven Hilfen, mit wem auch immer kombiniert, einzugreifen, werden wir zum Bundesverfassungsgericht gehen. Dies ist nicht vereinbar mit dem, was dem deutschen Volk gesagt worden ist, als die Zustimmung erreicht wurde. Dann wird man sehen, ob nicht der Vorschlag, den wir machen, freiwillig auszutreten, mit großen Hilfen, die ja damit einhergehen können - man muss Griechenland ja deshalb nicht verstoßen, man kann mit dem Wechselkurssystem zwei große schützende Funktionen für Griechenland ausüben -, darüber wird man dann sprechen müssen."

    Man muss dabei wissen: Starbatty, Hankel, Schachtschneider und Nölling haben schon einmal vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die "Europäische Währungsunion" (EWU) und den Euro geklagt, ohne großen praktischen Erfolg allerdings. Sehr viel anders wird es diesmal wohl auch nicht kommen.

    Selbst Kritiker der Euro-Gegner räumen inzwischen aber ein, dass die damaligen Argumente der Kläger heute neue Bedeutung gewonnen haben. Die vier hatten damals argumentiert, dass eine einheitliche Zinspolitik der EZB für völlig unterschiedliche Volkswirtschaften schwierig sei und eine Währungsunion mit stärkeren und schwächeren ohne Finanzausgleich nicht funktionieren könne. Das aber sah und sieht der EU-Vertrag nicht vor. Und Deutschlands höchste Richter betonten in dem sogenannten Maastricht-Urteil ausdrücklich, dass es sich bei der EU um einen Staatenbund handele. Und in dem macht jedes Land seine eigene Wirtschafts- und Haushaltspolitik.

    Doch feststeht: Die Causa Griechenland wird die EU verändern. Die Union muss sich Gedanken über ihre Zukunft machen. Zum Beispiel über die Frage: Ist jedes Mitgliedsland für seine Defizite - seien sie im Staatshaushalt, bei den Konsumenten oder in der Leistungsbilanz - auch künftig selbst verantwortlich, wie es gegenwärtig Geschäftsgrundlage in der Euro-Zone ist? Oder wird es doch eine gemeinsame Wirtschafts- und Haushaltspolitik geben? Die EU-Kommission will dies mit einer europäischen Wirtschaftsregierung erreichen, die auch ein Mitspracherecht etwa bei nationalen Haushaltsberatungen und in der Steuergesetzgebung hätte. Das gibt aber der EU-Vertrag nicht her. Ohnehin ist es eine Idee, die in der Praxis nicht umgesetzt werden wird, sagt Wirtschaftsexperte Manfred Jäger.

    "Im Prinzip: Ja, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir eine europäische Wirtschaftsregierung bekommen, denn wir wählen nun mal unsere Länderparlamente. Wir haben halt autonome Staaten. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir Deutschen uns von einer europäischen Regierung so weitreichend in die Autonomie rein regieren lassen werden. Also, ich kann mir unter einer europäischen Wirtschaftsregierung nicht viel vorstellen. Und das, was man aus Brüssel als Elemente einer solchen Wirtschaftspolitik sieht, bestärkt mich auch nicht in dem Glauben, dass wir so etwas haben sollten. Ich glaube, wir brauchen mehr Governance."

    Es wird also spannend zu beobachten sein, wie die Regeln künftig aussehen werden und vor allem, welche Instrumente ihre Einhaltung sicherstellen sollen. Denn der Fall Griechenland zeigt: Der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU samt den Maastrichtkriterien reicht heute bei Weitem nicht mehr aus.