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Ebola-Epidemie in Liberia
"Dann werden wir alle sterben"

Die Zahl der Ebola-Toten in Westafrika liegt jetzt bei über 5.000. Und auch wenn die Weltgesundheitsorganisation eine Wende in der Epidemie voraussagt, ist die Gefahr etwa in Liberia alles andere als gebannt - das zeigt ein Blick ins schwer zugängliche Hinterland von Liberia. Dort sind ganze Dörfer infiziert, jeden Tag sterben Menschen.

Von Alexander Göbel | 13.11.2014
    Eine klagende Frau in einem Dorf in Liberia, hinter ihr sitzen ein Dutzend Menschen
    Eine Frau in Jenewonde beklagt sich darüber, dass sie in Quarantäne bleiben muss. (picture alliance / dpa / Ahmed Jallanzo)
    Mit Sirene auf dem Dach rollt ein rostiger, weißer Geländewagen über eine matschige Lehmpiste - und hält mitten auf dem Dorfplatz von Jenewonde. Die kleine Gemeinde liegt im Nordwesten von Liberia, versteckt im Regenwald, an der Grenze zu Sierra Leone.
    Sechs Männer springen aus dem Auto. Sie ziehen weiße Plastikkittel an, streifen Skibrillen und Gummihandschuhe über, sprühen überall Desinfektionsmittel. Es sind freiwillige Helfer aus der Hauptstadt Monrovia, seit zwei Wochen werden sie erwartet.
    "Ebola ist für uns so etwas wie die Strafe Gottes", sagt eine Schülerin, die die Szene beobachtet. "Wir wissen nur nicht, warum er uns so bestraft."
    Jenewonde liegt im Distrikt Cape Mount County. Der war bislang Ebola-frei. Doch dann brachte ein Lehrer seine Ebola-kranke Tochter aus Monrovia zum Sterben hierher - binnen kürzester Zeit verwandelte sich die Gegend in ein neues Epizentrum des Todes. Juma Mansaray hat ihre Mutter und ihre Großmutter verloren - an nur einem Tag:
    "Ich konnte nur zusehen, wie es ihnen von heute auf morgen immer schlechter ging. Sie mussten sich übergeben und verloren Blut. Die Nachbarn haben mir verboten, mich weiter um sie zu kümmern - jetzt sind sie tot, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht mehr zum Markt gehen, überall schicken mich die Leute weg - niemand will mehr etwas mit mir zu tun haben. Ich fühle mich, als wäre ich verflucht."
    "Die Menschen wollen die Wahrheit nicht hören"
    Nebenan schleppen die Helfer aus der Hauptstadt zwei Leichen in Plastiksäcken aus einer Lehmhütte. Legen sie auf die Pritsche des Geländewagens und fahren mit ihnen in den Wald. Dann müssen die Helfer wieder weiter.
    Die Dorfbewohner müssen ihre hoch ansteckenden Toten selbst begraben. Dafür haben sie Schutzanzüge bekommen. Abdulai Kamara hilft beim Verscharren der Ebola-Leichen.
    "Die Menschen wollen die Wahrheit nicht hören. Die Leute hier wollen es nicht wahrhaben. Aber Fakt ist, wir kommen jeden Tag hier in den Wald, um Dorfbewohner zu begraben. Nur ganz langsam begreifen die Leute, was Ebola eigentlich ist. Sie beginnen zu verstehen: Das hier ist eine echte Gefahr. Es kann unser Untergang sein."
    Der Fall Jenewonde zeigt: Ebola noch lange nicht besiegt - die Krankheit verteilt sich. Die ländlichen, kaum entwickelten Regionen sind für das Virus extrem anfällig. Ein einziger Kranker, nicht isoliert, meist falsch oder gar nicht behandelt, kann eine extrem schnelle und tödliche Kettenreaktion auslösen.
    Menschen gründen eigene Beerdigungsteams
    Genau davor hat die Organisation Ärzte ohne Grenzen immer gewarnt: In Liberia lag der Schwerpunkt der internationalen Hilfe bislang auf der Hauptstadt Monrovia - die Vorsorge im lange Zeit weniger betroffenen Landesinneren wurde vernachlässigt. Mit fatalen Folgen. In diesen schwer erreichbaren Gebieten, klagt Ärzte ohne Grenzen, könne man nicht einfach von heute auf morgen neue Behandlungszentren aufbauen Es fehle an flexiblen Teams, die schnell in Gebiete mit neuen Krankheitsherden entsandt werden können. Notfalls auch per Hubschrauber. Um Patienten zu isolieren, aufzuklären, sichere Begräbnisse zu organisieren.
    In Jenewonde blieb den Menschen nichts anderes übrig, als selbst ein Beerdigungsteam zu gründen.
    "Alle haben Angst vor Ebola", sagt James Jallah. "Aber wo sind die Ärzte? Die Pfleger? Es gibt hier keine Gesundheitsversorgung, wer krank ist, kann nirgendwo hin - bleibt zu Hause und steckt andere Menschen an. Wenn die Regierung uns nicht zur Hilfe kommt, werden wir alle sterben. Dann ist hier Schluss, dann wird es hier kein Leben mehr geben!"
    Mitten im Busch zeigt Momo Sherif auf Dutzende frischer, anonymer Grabstellen. In einem der Gräber liegt sein Sohn, er ist vor einem Monat an Ebola gestorben. Sherif, einer der Dorfältesten, hilft, so gut er kann. Und er weiß, dass das nicht reicht.
    "Wir wissen, dass Ebola eine reelle Gefahr ist. Aber wir haben nicht die Mittel, um diese Krankheit zu bekämpfen. Wenn die Regierung und die internationale Gemeinschaft nichts für uns tun, dann wird es diese Gemeinde namens Jenewonde und viele andere Dörfer bald nicht mehr geben. Wir begraben hier heute zwei Menschen. Vielleicht bin ich morgen dran. Wer weiß das schon."