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Eclat-Festival in Stuttgart
Musikalische Auseinandersetzung mit sozialen Fragen

Vokalmusik, Musiktheater und neue Konzertformate prägen seit 20 Jahren das Programm beim Eclat-Festival für Neue Musik in Stuttgart. Auch in diesem Jahr ging es um gesamtgesellschaftliche Themen: Diesmal setzten sich teilnehmende Künstler vor allem mit dem wirtschaftlichen und sozialen Miteinander auseinander.

Von Ines Stricker | 11.02.2019
    Filmausschnitt aus "Happiness Machine. 3 Stunden Glück mit dem Klangforum Wien"
    Beim Projekt "Happiness Machine" läuft hinter dem Orchester ein Animationsfilm (Klangforum Wien/Ana Nedeljkovic/Hanna Hartman)
    Auf der Leinwand hinter dem Orchester meint man einen Animationsfilm aus den 1970er-Jahren zu sehen: Graue Wesen mit riesigen Augen und Ohren sitzen in einem Raum und betätigen eifrig rote Knöpfe auf ihren Apparaten. Noch geht es ihnen gut. Doch allmählich wird das emsige Treiben immer hektischer, aus den Apparaten rinnen schwarze Ströme, die die Umgebung verschmutzen, gleichzeitig werden die Wesen immer unglücklicher und kränker. Nur eins blüht und gedeiht: Das ist der Profit, den sie mit ihrer Arbeit erwirtschaften.
    Musik: "Happiness Machine"
    "The Happiness Machine" der serbischen Künstlerin Ana Nedeljković und der schwedischen Komponistin Hanna Hartman gehört zum gleichnamigen Auftragswerk des Klangforums Wien. Insgesamt arbeiten für die zehn Stücke von "Happiness Machine" zehn Videofilmerinnen mit zehn Komponistinnen zusammen, unter ihnen so renommierte wie Carola Bauckholt oder Misato Mochizuki.
    Auseinandersetzung mit Finanzkapitalismus
    Inhaltlicher Ausgangspunkt ist die sogenannte Gemeinwohl-Ökonomie des Österreichers Christian Felber. Sie stellt ein Alternativkonzept dar zum derzeitigen Finanzkapitalismus, zu dessen Begleiterscheinungen scheinbar unabänderlich soziale und humanitäre Not und Umweltzerstörung gehören.
    "Dieses Wirtschaftsmodell besagt, dass der Sinn des Wirtschaftens nicht darin liegen kann, ungemessene Reichtümer aufzuhäufen, Reichtümer, die es einzelnen oder Institutionen ermöglichen, sich dem Zugriff der Gesetze völlig zu entziehen in Wirklichkeit, sondern dass der Zweck allen Wirtschaftens sein muss, dass es allen Menschen gutgeht, das ist das oberste Ziel nicht so, wie es jetzt ist, dass diejenigen, die fair produzieren, die höchsten Kosten haben und daher teuer anbieten müssen; das ist verkehrt", erklärt Sven Hartberger, Intendant des Klangforums Wien.
    Die vergleichsweise kurzen Stücke von "Happiness Machine" verhandeln die Themen Gemeinwohl und Gemeinschaft einmal konkret, wenn etwa in der Anonymität öder Großstädte die Menschen verschwinden; dann wieder abstrakt, wenn aus menschlichen Gesten ein organisches Netzwerk entsteht.
    Um das Thema Gemeinschaft ging es bei Eclat auch in der Konzert-Installation "Circles": Sieben Künstlerinnen und Künstler haben Musik für den Bassklarinettisten Gareth Davis und die Neuen Vokalsolisten Stuttgart geschrieben, das Ensemble unter dem Dach von Musik der Jahrhunderte.
    Hier gibt es zwar kein übergeordnetes Konzept; doch in jedem der sehr unterschiedlichen Stücke geht es um das Miteinander, die gegenseitige Wahrnehmung. "Circles" beginnt konzertant im Spiel der Stimmen und Instrumente untereinander. Alessandro Bosetti etwa bringt in "These Foolish Things" Sprachaufnahmen und Bassklarinette in einen intensiven Dialog.
    Musik: "These Foolish Things"
    Publikum wird Teil einer Performance
    Danach wird das Publikum immer stärker mit einbezogen: An Huihui Chengs vergleichsweise kurzweiliger Kartenspiel-Performance "Your Turn" nehmen neben den Sängern auch die Zuschauer teil, durch akustische Aktionen wie Klatschen oder Trampeln. Im "Workshop der Liebe" von Martin Schüttler und Mara Genschel sollen die Besucherinnen und Besucher dann ihre jeweiligen Sitznachbarn beschreiben. Und in Alexander Schuberts "A Perfect Circle" schließlich kommen sie in unterschiedlichen Räumen zu geführten Interaktionen zusammen. Die einen haben Kamerabrillen vor die Gesichter geschnallt, die anderen mit Bildschirmbrillen können die Umgebung nur aus Sicht dieser Kameras wahrnehmen; eine dritte Zuschauergruppe verfolgt das Geschehen auf einer Leinwand.
    Trotz des räumlichen und technischen Aufwands gerieten gerade diese gruppendynamischen Szenarien im Konzert teils unfreiwillig komisch, teils beklemmend; die durchweg brillant agierenden Musiker durften dazu nur Begleitklänge liefern.
    Christine Fischer, Intendantin von Musik der Jahrhunderte und künstlerische Leiterin des Eclat-Festivals, deutet solche partizipativen Ansätze als Ausbruchsversuch aus herkömmlichen Konzerttraditionen.
    "Schon auch das Misstrauen gegenüber diesen eingefahrenen Wegen, das Misstrauen gegenüber den Blasen letzten Endes, in denen wir uns da ja auch bewegen, also auch die Neue-Musik-Welt ist natürliche eine Blase, das Misstrauen auch gegenüber diesen eingefahrenen Wahrnehmungshaltungen: hier das Publikum, dort die Bühne, so war das immer, soll das wirklich auch in Zukunft immer so sein, was bewegen wir damit in der Gesellschaft? Und das steht, glaube ich, im Vordergrund."
    Schubert durch die Brille der 1970er
    Dass musikalisches und menschliches Miteinander auch viel weniger plakativ und dennoch wirkungsvoll gestaltet werden kann, zeigt der Norweger Eivind Buene in seiner mit "Schubert Lounge": Er kombiniert Schubert-Lieder in traditioneller Besetzung mit einer eigenen, von einem Ensemble begleiteten Interpretation als Sänger und Pianist auf dem Fender Rhodes-Elektroklavier, inspiriert von den Singer-Songwritern der 1970er-Jahre Musiktradition – ein vielschichtiges, anrührendes Werk.
    Musik: "Schubert Lounge"
    "Die romantische Vorstellung von echten Gefühlen – oder was wir dafür halten wollen – hat in dieser Poptradition überlebt. Aber die beiden Stile passen nicht so ganz zusammen; das gefällt mir daran, und ich hoffe, es klingt dadurch ein bisschen verfremdet."
    Dass Eclat mit seiner Mischung aus herkömmlichen und neuen Konzertformaten und Stilen beim Publikum gut ankommt, zeigte sich auch dieses Jahr wieder. Neben den erfahrenen Konzertbesuchern, die dem Festival seit Jahrzehnten treu sind, zieht das Programm auch viele Jüngere an. Intendantin Christine Fischer vermutet dahinter auch die Anziehungskraft von Musikprogrammen, die sich immer mehr mit gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Themen auseinandersetzen. Eine Entwicklung, der sie sich als Festivalmacherin anschließt.
    "Wie erreichen wir die Menschen in einer immer hermetischer sich einkapselnden Gesellschaft und auseinander driftenden Gesellschaft? Gleichzeitig sehe ich natürlich eine Aufgabe, diesen wahnsinnigen Reichtum an Phantasie abzubilden, den die Künstler und Künstlerinnen mitbringen, und das alles wiederzugeben."