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Edelstahlsessel und Bücherwurm

Der in Israel geborene britische Designer Ron Arad ist 59 Jahre alt und das ist für ihn Erntezeit. Was erntet er? Er erntet Ruhm. Es gibt eine große Ausstellung in der Londoner Barbican Art Gallery, und in Holon bei Tel Aviv wurde gerade ein neu gebautes Design Museum eröffnet, das ganz wesentlich seine Handschrift trägt.

Von Hans Pietsch |
    Wenn die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte, ändert Ron Arad einfach die Regeln, bis sie zu dem passen, was er vorhat. Wie bei seiner Tischtennis-Platte aus hochpoliertem Edelstahl: Sie senkt sich zum Netz hin ab und verlangsamt so das Spiel, kommt also seiner Art, Tischtennis zu spielen, entgegen.

    So geht er bei allen seinen Entwürfen vor, egal ob Stuhl, Sofa, Lampe, Vase, Skulptur, Gebäude. Er zerschlägt die Konvention und setzt aus den Trümmern etwas Neues zusammen: Aus vier grob zusammengeschweissten Metallplatten entsteht ein Sessel, aus 100 aufeinandergestapelten Stühlen wird eine Plastik im Freien, spiralenförmig gedrehter Metalldraht wird zur Vase.

    Der aus Tel Aviv stammende Designer kam 1973 nach London, wo er an der Talentschmiede für Architekten, der Architectural Association, studierte. Nach einem kurzen Zwischenspiel im Büro eines Architekten - es machte ihm einfach keinen Spaß, für jemand anders zu arbeiten - gründete er sein eigenes Büro - One Off nannte er es - Einzelstück oder Einmalig.

    Doch die Kunden blieben aus. Bis er eines Tages, 1981, auf einem Autofriedhof einen Rover 200 entdeckte. Er baute dessen Ledersitze aus und schraubte sie an Metallstäbe an, wie sie für den Gerüstbau verwendet werden. Der "Rover Chair” war geboren, der mit seiner witzigen Mischung aus etwas zerschlissenem Luxus und Post-Punk sofort Aufmerksamkeit erregte. Der erste Käufer: der Pariser Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier, wie Arad selbst ein Außenseiter.

    In acht Räumen zeigt die Ausstellung Arads Entwicklung als Designer, von diesem ersten Ledersessel bis zu jüngsten Entwürfen wie dem "Ziemlich durchsichtigen Stuhl” aus dem für die Herstellung von Polizeischilden verwendeten Plastik. Auf riesigen Bildschirmen vor jedem Raum werden Entstehungs- und Herstellungsprozesse verdeutlicht, und es wird klar, wie wenige von Arads Entwürfen industriell gefertigt werden. Die meisten entstehen in Werkstätten, vor allem in einer Metall-Werkstatt im norditalienischen Como, und per Hand. Daher wohl die immensen Preise, die Sammler für seine Stücke zu zahlen bereit sind.

    Neben seinen Sitzgelegenheiten entwirft Arad auch Bücherregale. Der "Buchwurm” von 1993 hat ihn international bekannt gemacht, und ist noch immer einer seiner Bestseller: ein sich an der Wand entlang schlängelndes Metallband, auf dem die Bücher in sämtliche Himmelsrichtungen deuten. Auch hier wieder ein paradoxer Ansatz, unkonventionelle Form zieht er der Effizienz vor. Sein bisher spektakulärstes Regal, wandfüllend, trägt den schönen Titel "Oh, der Bauer und der Kuhhirt sollten Freunde sein” und stellt eine Landkarte der USA dar. Das Einzelstück ist übrigens für 650.000 Euro zu kaufen.

    Metall ist das Material, mit dem Ron Arads Design hauptsächlich in Verbindung gebracht wird, von Edelstahl bis Aluminium, von Eisenblech bis Cor-Ten-Stahl. Auch für sein erstes öffentliches Bauwerk verwendet es der Architekt Arad: das gerade eröffnete Design Museum im israelischen Holon, einer Vorstadt Tel Avivs, halb Arche, halb Skulptur: Fünf Bänder aus gewalztem Cor-Ten-Stahl umschlingen zwei weiße Ausstellungsboxen. Ein wie eine Monumentalplastik von Richard Serra anmutender Bau von großer Eleganz.

    Sein Atelier bezeichnet Arad als "Kindergarten”, in dem er und seine Mitarbeiter tagaus-tagein spielen. Spielerisch sind seine Entwürfe, ebenso wie die Namen, die er seinen Objekten gibt - eine Weiterentwicklung des Rover-Sessels nannte er "Moreover”, der Stuhl "London Papardelle” ist flach wie eine Nudel, ein besonders prekär aussehender Schaukelstuhl heißt "Auf eigene Gefahr”. Und er ist ehrlich genug zuzugestehen, dass er viele seiner Entwürfe, wenn sie das Produktionsstadium erreicht haben, zu glatt findet, und dass er sich sehr schnell langweilt. Nicht umsonst heißt einer seiner Stühle "Ruhelos” - das ist auch der Titel seiner Schau.