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Edgar Allan Poe in Philadelphia
Die Locke des Meisters

Der Schriftsteller Edgar Allan Poe lebte unter ärmlichen Verhältnissen. Einige der Häuser, in denen er im 19. Jahrhundert in Baltimore, New York und Philadelphia wohnte, sind noch erhalten und dienen heute als Museum, um an den Meister der Kriminalerzählung zu erinnern. Manchmal schauen dort auch berühmte Verehrer vorbei.

Von Sven Ahnert | 01.11.2015
    Der amerikanische Schriftsteller und Meister der Kriminalerzählung (u.a. "Der Doppelmord in der Rue Morgue") in einer zeitgenössischen Darstellung. Edgar Allan Poe wurde am 19. Januar 1809 in Boston geboren und ist am 7. Oktober 1849 in Baltimore gestorben.
    Der amerikanische Schriftsteller und Meister der Kriminalerzählung Edgar Allan Poe. (picture alliance / dpa )
    In einem klimatisierten Raum der Free Library of Philadelphia sitzt eine Edgar Allan Poe-Puppe mit vampirhaft violetten Augen hinter einer Gittertür. Sie wacht mit trübe-schaurigem Blick über die Richard A. Gimbel-Collection. 1971 schenkte der ehemalige Colonel der U.S. Air Force seine Sammlung Poe´scher Handschriften, Erstausgaben und Briefe der Free Library. In einem unscheinbaren Pappkarton liegen hier die Originalabschriften von "The Murders of the Rue Morgue", sowie der weltberühmten Gedichte "Annabel Lee" und "The Raven". Janine Pollock zeigt voller Stolz eine Locke Edgar Allan Poes. Sie ist hinter einem Amulett befestigt. Eine Verehrerin hat sie dem dämonischen Dichter abgetrotzt. Berühmt ist das Foto, das ihn mit düsterem Blick und straff gebundenem Halstuch zeigt.
    "Hier sehen sie eine späte Daguerreotypie von Edgar Allan Poe. Von dieser Aufnahme her kennen wir das Bildnis von Poe: Die dunklen Augen. Der Schnauzbart. Jeder denkt sich Poe mit einem Schnauzbart. Dazu die eindringlich blickenden Augen mit den markanten Augenbrauen. Mit seinem eng geknüpften Halstuch sieht er würdevoll aus und auch ein bisschen unheimlich."
    In Baltimore, New York und Philadelphia stehen noch Häuser oder zumindest Reste von Häusern, in denen Poe unter ärmlichen Umständen gelebt hat. Zum Beispiel: 532 North 7th Street, dort steht ein schmales Gebäude, im Hintergrund die glitzernden Wolkenkratzer von Downtown Philadelphia, schräg gegenüber das etwas verwahrlost wirkende Grundstück der German Society. Vor dem schmalen Poe-Haus mit zwei Stockwerken liegt ein unberührt wirkender grüner Rasen. Kurz vor dem Hintereingang des Rotklinker-Reihenhauses sitzt ein metallener Rabe auf einer Stele. Das Haus steht leer. Fast leer. Es gibt ein kleines Wohnzimmer mit roten Gardinen, hier entstehen ein Ausstellungsraum und ein kleiner Saal, wo Filme gezeigt werden. Kleine enge Stiegen führen nach oben: leere Räume. Poe hatte keine nennenswerten Möbel. Was soll hier also auch stehen?
    "In diesem Haus in Philadelphia lebte Edgar Allan Poe von 1838 bis 1844. Er lebte in vielen Häusern, dieses ist das einzig erhaltende. Als Poe hier herzog, war das, als würde er in einem Vorort leben. Ging man nämlich zu jener Zeit ein paar Häuser Richtung Norden, war man auf dem Land. Heute sind wir hier mitten in Philadelphia. Hier ist viel los. Irgendwie auch recht poesque auf eine Art."
    Behütet wird das Gebäude von "Park Rangers", halb Sheriffs, halb Aufsichtspersonen, die die Besucher des Hauses mit Fakten, Anekdoten und lebhaft vorgetragenen Geschichten begleiten. Joanne Schillizzi ist eine von ihnen. Sie kommt aus Louisiana und arbeitet seit gut zehn Jahren im Poe-Haus in Philadelphia. Gelegentlich, versichert sie, schaut unerwartet auch Prominenz vorbei.
    "Man weiß nie, wer hier zur Tür reinkommt. 1982 besuchte uns Vincent Price. Er machte eine Tour durch das Haus und rezitierte für uns 'Der schwarze Kater' und 'Annabel Lee'. Zu unser aller Überraschung kam Bob Dylan hier am Gebäude zufällig vorbei, er hatte hier gerade ein Konzert in der Gegend, und klopfte an die Tür."
    Joanne Schilizzi steht vor einer grob gemauerten Wand und erzählt in lockerer Form die Story "The Black Cat", die Edgar Allan Poe 1843 in diesem kargen Rotklinkerreihenhaus zu Papier brachte.
    "And then he says, he heights his wifes corpse in the false chimney which is the structure, that holds up the fire places and then he says I took my wife´s corpse. And I place it in the chimney. I bricked it up, painted it and you could not even tell that there is a change the structure."
    "Ah, ich kann's genau bestimmen: im Dezember war's, dem grimmen,
    und der Kohlen matt Verglimmen schuf
    ein Geisterlicht so leer.
    Brünstig wünscht' ich mir den Morgen;
    - hatt' umsonst versucht zu borgen
    von den Büchern Trost dem Sorgen, ob
    Lenor' wohl selig wär' –"
    "Das hier ist das einzige erhaltene Manuskript des "Raben" in Poes Handschrift. Sehr ordentliches Schriftbild, man könnte annehmen, von Frauenhand geschrieben. Es besteht aus vier zusammengeklebten Folio-Blättern. Diese Abschrift ist vermutlich auf Anfrage angefertigt worden. Poe wird dafür Geld bekommen haben. Das war damals nicht unüblich. Es ist in Reinschrift verfasst, denn man sieht dort keine Schreibfehler, wie sie üblicherweise in einem Manuskript auftauchen können. Es ist für einen Dr. Whitacker aus Phoenixville."
    Auswendig kann Janine Pollock den Raben nicht mehr aufsagen, dafür aber das Gedicht "Annabel Lee":
    "It was many and many a year ago,
    In a kingdom by the sea,
    That a maiden there lived whom you may know
    By the name of Annabel Lee;
    And this maiden she lived with no other thought
    Than to love and be loved by me."
    (Filmszene "Sadistico"): "Bedenke, dies Mädchen lebt nur eine Hoffnung hier. Dich liebend wünscht sichs geliebt von Dir. Hast Du ein Radio bei Dir? Nein! Spiel es trotzdem für mich."