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Edith Stein
Jüdische Philosophin und Ordensfrau

Vor 125 Jahren - am 12. Oktober 1891 - wird Edith Stein in Breslau geboren - als elftes Kind einer jüdischen Holzhändler-Familie. Sie ist nicht religiös, studiert Philosophie, später wird sie katholisch und Ordensfrau. Ihre Solidarität mit dem jüdischen Volk bleibt ungebrochen. Am 9. Mai 1942 stirbt sie in einer Gaskammer in Auschwitz.

Von Burkhard Reinartz | 06.10.2016
    Die katholischen Philosophin Dr. Edith Stein in einer historischen Portraitaufnahme.
    Edith Stein auf einer undatierten Aufnahme (dpa)
    "Es gibt keinen Beruf, der nicht von einer Frau ausgeübt werden könnte. Keine Frau ist ja nur Frau, jede hat ihre individuelle Eigenart und Anlage so gut wie der Mann und in dieser Anlage die Befähigung zu dieser oder jener Berufstätigkeit künstlerischer, wissenschaftlicher oder technischer Art."
    Neben ihrem gesellschaftspolitischen Einsatz stürzt Edith Stein sich in das Studium der Philosophie. Sie glaubt nicht an die Existenz Gottes, erwartet von der Wissenschaft Antworten auf die Fragen ihres ethischen Idealismus.
    Stein meldet sich 1915 zu einem freiwilligen Lazaretteinsatz und lernt dort Tod und menschliches Leid kennen. Zurückgekehrt beendet sie ihre Doktorarbeit zum Thema "Einfühlung", die Husserl mit summa cum laude bewertet und strebt eine Habilitation an. Die Professur einer Frau ist in den 20er Jahren undenkbar. Husserl verweigert die Habilitation und beschäftigt Edith Stein als Privatassistentin.
    Die unerwiderten Liebschaften der Edith Stein
    Die Zeit von 1917 bis 1921 wird für Edith Stein zu vier Jahren einer lebenswendenden Krise. Viermal versucht sie, sich zu habilitieren. Vergeblich. Sie wird Opfer einer Gesellschaft, die den Frauen ihre Rechte verweigert und die philosophische Begabung der jungen Frau verkümmern lässt. Die Lebenskrise durch das berufliche Scheitern wirkt verstärkt durch zwei unglückliche Lieben zu ihren Philosophenfreunden Roman Ingarden und Hans Lipps.
    "Eine Erfahrung, die meine Kräfte überstieg, meine geistige Lebenskraft völlig aufgezehrt und mich aller Aktivität beraubt hat."
    Die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz erklärt das so: "Man hat lange Zeit gar nicht gewusst, dass Edith Stein in ihrer Jugend eine Beziehung zu zwei Männern gehabt hat, nacheinander. In beiden Fällen war es so, dass Edith Stein eigentlich gerne eine Ehe angestrebt hätte. In beiden ist sie sehr stark brüskiert worden. Man hat ihre Kameradschaft, ihre Klugheit, gesucht, aber dann sie als Frau zurückgewiesen. Sie war natürlich leer, enttäuscht, ausgebrannt. 'Totenstille' hat sie das genannt. Es ist eher so, dass sie dann über die Entdeckung Gottes eine Form von 'Heilung' erfahren hat, die ihr sehr geholfen hat."
    Der christliche Glaube hilft Edith Stein ihr berufliches Scheitern und ihre unerwiderten Lieben zu verarbeiten. In einem Brief an Roman Imgarden nennt sie ihren Weg ins Christentum eine "Wiedergeburt aus Zerstörung".
    "Ich habe mich mehr und mehr zu einem positiven Christentum durchgerungen. Das hat mich von dem Leiden befreit, das mich niedergeworfen hatte und hat mir zugleich die Kraft gegeben, das Leben aufs Neue und dankbar anzunehmen."
    Sie zieht sich ins Kloster zurück
    Im Zuge ihrer Begegnung mit den Werken Teresa von Avilas lernt sie, sich nicht andächtig aus der Welt zurück zu ziehen, sondern als Zeuge des Überweltlichen in der Welt zu wirken.
    "Allmählich habe ich einsehen gelernt, dass in dieser Welt anderes von uns verlangt wird, dass selbst im beschaulichsten Leben die Verbindung zur Welt nicht durchgeschnitten werden darf. Denn je tiefer jemand in Gott hineingezogen wird desto mehr muss er auch aus sich herausgehen, das heißt in die Welt hinein, um das göttliche Leben in sie hineinzutragen.
    Die Zweiflerin lässt sich taufen
    Die kritische Philosophin, die jahrzehntelang an der Existenz Gottes gezweifelt hatte, entscheidet sich für den katholischen Glauben. 1922 lässt Edith Stein sich taufen und wählt als neuen Namen Teresia. Bewusst entscheidet sie sich für einen jüdischen Feiertag als Tag der Taufe, das "Fest der Beschneidung des Herrn". Symbolisch will sie dadurch ihre jüdische Herkunft mit der neuen Religion verbinden. Aus Rücksicht auf ihre Mutter traut sie sich nicht, nach der Konversion rasch in ein Kloster in der Nachfolge Teresas einzutreten.
    Anders als andere Mystiker, die oft in einer kritischen Beziehung zur Institution Kirche standen, hat Edith Stein ein ungebrochenes Verhältnis zur katholischen Kirche. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz:
    "Edith Stein gehörte der Generation an nach dem Ersten Weltkrieg, für die die Kirche der Leuchtturm und das Leuchtfeuer in einer zerbrochenen Welt war. Es gibt in den 1920er Jahren Hunderte von Konversionen, auch gerade jüdische. Die große Kultur ist in den Schlachtfeldern verblutet. Die deutsche Kultur war am Ende. Es schien als einzige Grüße nur die katholische Kirche zu bleiben."
    Sie arbeitet von 1923 bis 1931 als Lehrerin für Deutsch und Geschichte am Lyzeum St. Magdalena bei den Dominikanerinnen in Speyer. Dann geht sie Jahr geht sie als Dozentin an das Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster. Dort wird sie wenig später wird sie als "Nicht-Arierin" entlassen. Im Herbst 1933 tritt sie in den Karmel Teresa von Avilas ein. Jetzt lebt sie im Kloster St. Josef in Köln. Ein neuer Abschnitt im bewegten Leben Edith Steins beginnt.
    "Gott verbunden bist du allgegenwärtig wie er. Nicht hier und dort kannst du helfen wie der Arzt, die Krankenschwester, der Priester. An allen Fronten kannst du sein in der Kraft des Kreuzes."
    Als Ordensnamen wählt sie "Teresia Benedicta a Cruce". Im Karmel fügt sie sich in den Tagesablauf zwischen Gebet und Hausarbeit und bleibt doch ihrer intellektuellen Neugier treu. Im Kloster arbeitet die Ordensfrau weiter an ihrem philosophischen Werk. 1936 wechselt Edith Stein in den Karmel des holländischen Echt in der Hoffnung, dort der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen. Bis zu ihrem Tod schreibt sie 1941 und 1942 an der "Kreuzeswissenschaft". Darin verarbeitet sie die Erfahrungen des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz zu einer christlichen Philosophie der Hingabe und des Leidens. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz:
    "Johannes vom Kreuz ist ein Mystiker des 16. Jahrhunderts und von einer Radikalität, die bestürzt: 'Verachte alles, besitze nichts!' Edith Stein hat es geschafft, diese radikale Aussage ins psychologische zu übersetzen. Dieses 'Abgeschnelltsein' wie ein Pfeil, also sich auf Gott zu bewegen, braucht rechts und links keine großen Dinge mehr. Das heißt, es wird plötzlich leicht."
    Edith Stein will nicht gerettet werden
    Ende Juli 1942 verlesen die holländischen Bischöfe ein Hirtenwort gegen die Verfolgung der Juden. Die Nazis verhaften daraufhin in einer Racheaktion katholische Juden, vor allem Ordensangehörige. Darunter sind auch Edith Stein und ihre Schwester Rosa, die im Karmel in Echt als Bedienstete untergekommen ist. Die beiden Frauen werden am 2. August aus dem Kloster abgeholt und in das Übergangslager Westerbork gebracht. Ein Mitarbeiter des Lagers fragt die Ordensfrau am 7. August 1942, ob er noch etwas für sie tun könne und er etwas für ihre Rettung unternehmen solle. Edith Stein antwortet:
    "Tun Sie das nicht. Warum soll ich eine Ausnahme sein? Ist dies nicht gerade Gerechtigkeit, dass ich keinen Vorteil aus meiner Taufe ziehen kann? Wenn ich nicht das Los meiner Brüder und Schwestern teilen darf, ist mein Leben wie zerstört."
    Die Antwort zeigt ihre Solidarität mit dem jüdischen Volk und die Annahme des bevorstehenden Todes.
    Edith Stein wird zuletzt auf am Schifferstadter Bahnhof gesehen, auf dem Weg in die Konzentrationslager Richtung Osten.
    Sühneopfer für den "Unglauben" der Juden?
    Über ihre Beziehung zum Judentum gibt es zwei Auffassungen, die nicht leicht nach zu vollziehen sind: Einmal ihre Deutung der Judenverfolgung im Dritten Reich als "Teilhabe am Kreuz Christi", dann die Deutung des eigenen Todes als Sühneopfer für den "Unglauben" der Juden.
    "In ihrem Testament vom Juni 1939 spricht Edith Stein von fünf Positionen, für die sie ihr Leben geben will. Und die, die Ärgernis erregt hat, ist die mittlere Stelle, wo sie davon spricht, dass sie sich für den 'Unglauben des jüdischen Volkes'" dem Herrn anbietet."
    Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz verteidigt Edith Stein gegen die Kritik, die Ordensfrau hätte den Holocaust als Sühneopfer für den "Unglauben des jüdischen Volkes" interpretiert.
    "Es ist nicht der Unglaube eines Judentums gemeint, das selber von Edith Stein als ganz deutliche Glaubenshaltung aufgenommen ist. Sie hat auch ihrer eigenen Mutter nie einen Unglauben unterstellt, im Gegenteil: Mit Unglauben meint sie einzig den Unglauben an die Gestalt Jesu. Es wäre Edith Stein im Leben und im Traum nicht eingefallen, das Judentum als Unglauben zu bezeichnen."
    Edith Steins Leben war durch Gegensätze geprägt. Und den Versuch, diese Gegensätze zu versöhnen: Judentum und Katholizismus, Philosophie und Religion, innere Einkehr und tätige Nächstenliebe. Am 11.10.1998 wurde Edith Stein von Papst Johannes Paul II. als "Märtyrerin" heiliggesprochen. Von jüdischer Seite gab es Kritik an der Heiligsprechung. Man fürchtete, das jüdische Schicksal der Shoa würde christlich vereinnahmt.
    "Wer bist du, Licht
    das mich erfüllt
    und meines Herzens Dunkelheit
    erleuchtet?
    Du leitest mich
    gleich einer Mutter Hand
    und ließest du mich los,
    so wüsste keinen Schritt
    ich mehr zu gehen"