Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Effizienter Einstieg

Physik.- Vor allem Vielflieger kennen es: Man will rasch in die Maschine einsteigen, doch haben meist diejenigen Passagiere Vorrang, die in anderen Reihen sitzen als der eigenen. Zwei Forscher aus Norwegen haben sich näher mit der Physik des Einsteigens befasst - und Interessantes herausgefunden.

Von Ralf Krauter | 30.01.2012
    Die meisten Fluggesellschaften lassen ihre Passagiere blockweise einsteigen. Erst die Business-Class, dann die Economy-Fluggäste in Grüppchen sortiert. Etwa erst die Sitzreihen 30 bis 45, danach die Reihen 15 bis 30 und schließlich der ganze Rest.

    Die Folgen sind bekannt. Wer endlich an Bord darf, steht oft minutenlang im Gang Schlange, weil der auf Platz 17 gebuchte Herr den Weg solange blockiert, bis er Mantel und Rollkoffer umständlich im Gepäckfach verstaut hat. Effizient ist das nicht, findet Vidar Frette

    Der promovierte Physiker vom Stord/Haugesund-College in Westnorwegen beschäftigt sich gemeinsam mit seinem Kollegen Per Hemmer aus Trondheim schon länger mit Flaschenhälsen auf Norwegens Landstraßen. Was also lag näher, als die mathematischen Modelle auf den nervigen Passagierstau beim Boarding zu übertragen?

    "Es gibt schon eine Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu diesem Thema. Typischerweise wird da mit Computersimulationen nach der optimalen Einstiegsfolge für einen bestimmten Flugzeugtyp gesucht. Unser Ansatz war ein anderer. Wir wollten verstehen, wie dieser Stau im Gang überhaupt zustande kommt und welche Effekte dazu beitragen. Wie in der Physik üblich, haben wir dazu ein stark vereinfachtes Szenario betrachtet. In unserem Modell gibt es nur einen Sitz pro Reihe. Ein Flugzeug mit dieser Konfiguration gibt es in der Realität nicht."

    Nichtsdestotrotz sind die Berechnungen der norwegischen Physiker aufschlussreich. Sie verraten nämlich, dass die Zeit, die vergeht, bis alle Sitze in dem fiktiven Flieger belegt sind, einem Potenzgesetz folgt. Wenn man doppelt so viele Passagiere an Bord schickt, verdoppelt sich die Zeit deshalb nicht, sondern sie wächst weniger stark. Der Grund: Ein paar Wartende in der Schlange kommen im Gang zufällig an der Stelle zum Stehen, wo sich ihr Platz befindet. Je mehr Fluggäste im Stau stehen, umso häufiger passiert das – und umso flotter geht das Ganze. Im Umkehrschluss heißt das: Wer die Passagiere gruppenweise aufruft, verzögert die Einstiegsprozedur unnötig.

    "Mehrere Untersuchungen belegen: Die gängige Strategie, beispielsweise erst die Fluggäste der Reihen 16-32 einsteigen zu lassen, und die anderen später, ist nicht effizient. Deshalb gab es auch schon Vorschläge, wie man den Prozess mit komplizierteren Verfahren optimieren könnte. Etwa indem man erst alle geraden Sitzreihen belegt und dann alle ungeraden. Oder noch besser: Erst alle Fensterplätze, dann die Mittelsitze und dann die Plätze am Gang. Doch all diese Vorschläge erwiesen sich als nicht praktikabel. Denn welche Airline will ihren Passagieren schon derart genau vorschreiben, wann sie an Bord dürfen? Unsere Analyse zeigt nun: Alle Passagiere völlig zufällig an Bord gehen zu lassen, ist effizienter als sie nach Sitzreihen gruppiert einsteigen zu lassen. Und je mehr Passagiere es sind, umso größer der Zeitgewinn."

    Genau beziffern kann Vidar Frette die mögliche Zeitersparnis zwar noch nicht. Schätzungsweise 10 bis 20 Prozent könnten es aber schon sein, meint er. Für präzisere Aussagen will er sein Rechenmodell jetzt verfeinern und auf mehrere Sitze pro Reihe erweitern. An der Schlussfolgerung, dass planloses Einsteigen besser ist als die heute übliche Grüppchenbildung, dürfte das aber kaum etwas ändern, sagt der Physiker. Denn die zugrunde liegenden Mechanismen bleiben dieselben. Wenn der Mann recht hat und bei den Fluglinien Gehör findet, könnte das Warten auf die erlösende Botschaft der Flugbegleiter künftig rascher vorbei sein.