In Warum Brasilien beschreibt Christine Angot einen Schwebezustand: Sie erzählt von Kur-Aufenthalten, erfolglosen Versuchen, ein neues Buch zu beginnen und von ihrem Umzug von Montpellier nach Paris. Während Christine Angot eine neue Bleibe in der Hauptstadt sucht, verbringt Angots Tochter Léonore die Ferien bei ihrem Ex-Mann Claude. Auf sich alleine gestellt, versucht Christine Angot ihre Einsamkeit zu bekämpfen. Sie bewegt sich in höheren Pariser Kreisen, diniert mit Schriftsteller-Kollegen wie Frédéric Beigbeder und hangelt sich von einer Lesung zur anderen. Während eines Abendessens lernt sie den Journalisten Pierre Louis Rozynès kennen und verliebt sich in ihn. Beide, Angot und Rozynès sind jüdischer Herkunft. Pierre, so heißt auch der Vater der Autorin, mit dem sie als 14jährige ein inzestuöses Verhältnis hatte. Christine Angots Prosa ist eine `écriture circulaire`, eine ewige Wiederkehr und Variation von Motiven, Personen und Ereignissen. Gleichwohl ändert sich in jedem Buch die Perspektive: Erfährt man in `Inzest` lediglich über die Existenz einer schriftlichen Korrespondenz zwischen Christine Angot und ihrem Vater, so tauchen in `Warum Brasilien´ die Briefe von ihrem Vater auf. Darin entpuppt sich der Vater als Machtmensch, der seiner Tochter Liebesbriefe schreibt. In einem der Briefe erschließt sich auch die Bedeutung des Romantitels.
Liebe kleine Christine, es ist sicher, dass uns inzwischen ein unsichtbares Band verbindet, dass nicht reißen kann. Ich habe viel Zeit, um an Dich zu denken. Warum Brasilien? Vielleicht, weil dies ein Land ist, dessen ganzer Reichtum in der Zukunft liegt, wie bei Dir, der die Welt gewidmet ist.
Doch empfindet Christine Angot dies keineswegs so. Die Beziehung zu Pierre bietet kaum Trost. Sie ist geprägt von Enttäuschungen, Terroranrufen, Machtkämpfen und auch durch körperliche Gewalt. Bei ihrem Versuch, Worte für ihr Leid zu finden, greif die Autorin zu kühnen Vergleichen.
Emmenez-la! -Macht, das sie verschwindet! Eines Tages würde man mich abschleppen. Aber nicht ins Land der Liebe. Man würde mich in die Gaskammer schleppen, Ja. Das war es, was mich erwartete, wenn es so weiterging. Gaskammer. Die Erotik war genau das. In meinem Fall war die Erotik die Gaskammer.
Warum Brasilien ist als Konversation mit dem Leser gedacht. Doch entpuppt sich der Roman als innerer Monolog, angelehnt an die `écriture automatique´ der Surrealisten. Sie spielt mit dem Klang der Worte bis sie einen eigenen Rhythmus ergeben.
In dieser Woche waren wir bei einem Diner eingeladen...Die Dialoge verliefen folgendermaßen: ´Wie mein Glas nehmen, piquer mon verre?
-Picasso, pic ton verre, nimm dein Glas. pic assiette, nimm`s von allen Tellern. -Pic ta mère, nimm deine Mutter.
-Was machen wir nach dem Essen?
-Schwing deinen Body auf den dancefloor, baby.
-Nie wurde jemand heftiger angegriffen als Cocteau.`
-So eine schöne Investmentbank, eine wirklich schöne Bank. Eine schöne Bank. Une belle banque, une
banque tellement belle...
Warum Brasilien fordert den Leser heraus. 'Warum Brasilien´ ist nach `Inzest´ und `Die Stadt verlassen´ das dritte Glied innerhalb der Angot´schen Kausalkette: Die Vergangenheit prägt die Gegenwart und macht es unmöglich, an die Zukunft zu denken.
Stellenweise scheint es allerdings, dass Christine Angot doch zu sehr vom eigenen Schicksal fasziniert ist. Verbissen sucht sie nach einem originellen sprachlichen Ausdruck. Diese Verbissenheit ist es, die den Leser gefangen nehmen sollen. Am Ende bietet der Roman aber keine fesselnde Lektüre.
Christine Angot: Warum Brasilien?
Tropen Verlag, 201 S., EUR 17,80