Donnerstag, 18. April 2024

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"Ehe für alle" im Bundestag
"Das Grundgesetz sagt nicht, wie Familie konkret definiert wird"

Über die vorgeschlagene Gesetzesänderung des Ehegrundrechts wird in der Großen Koalition weiter gestritten. "Dafür muss das Grundgesetz nicht extra geändert werden", sagte Stefan Mielchen vom Verein "Hamburg Pride" im DLF. Das Verständnis von Familie habe sich grundlegend gewandelt - dem müsse Politik Rechnung tragen.

Stefan Mielchen im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.06.2017
    Ein miteinander verpartnertes lesbisches Paar sitzt am 24.06.2016 in Bremen mit seinem Sohn auf dem Sofa und liest in einem Buch.
    Gleichheitszeichen als Symbol für die Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften. (dpa / picture alliance / Carmen Jaspersen)
    Martin Zagatta: Die Ehe für alle also in greifbarer Nähe, und eine gute Nachricht ist das für Stefan Mielchen. Er ist der Vorsitzende des Vereins "Hamburg Pride", der den Christopher Street Day in der Hansestadt organisiert und dessen Ziel es unter anderem ist, Diskriminierungen gegenüber Lesben und Schwulen abzubauen. Ihn habe ich gefragt, ob es ihm jetzt vor allem um das Recht geht, Kinder zu adoptieren, oder warum ihm dieser Ehestatus so wichtig ist.
    "Es geht darum, einfach Gleiches gleichzustellen"
    Stefan Mielchen: Mit der Ehe für alle wird einfach ein Stück gesellschaftliche Normalität geschaffen und eine Diskriminierung, die ganz wesentlich ist in unserem Land, abgeschafft. Das ist mit dem Adoptionsrecht alleine nicht zu machen. Es geht darum, einfach Gleiches gleichzustellen. Unser Grundgesetz sagt, alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, und wenn alle Menschen gleich sind, dann soll man sie auch gleich behandeln. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund, in der Ehe irgendeinen Unterschied zu machen.
    Zagatta: Das Grundgesetz sagt nach Meinung einiger Juristen aber auch, dass für eine solche Änderung jetzt eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig wäre. Sehen Sie das auch so?
    Mielchen: Das sehe ich eigentlich nicht so. Das Grundgesetz sagt, Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Das Grundgesetz sagt nicht, wie eine Familie konkret definiert wird. Vor 70 Jahren oder vor genau 68 Jahren, als das Grundgesetz verabschiedet wurde, da sah Familie sicherlich noch anders aus, als man das heute versteht. Aber Gesellschaft entwickelt sich weiter und das Verständnis von Familie hat sich grundlegend gewandelt, und dem muss Politik heute Rechnung tragen. Ich bin zwar kein Verfassungsjurist, aber mein politisches Empfinden sagt mir, dafür muss das Grundgesetz nicht extra geändert werden.
    "Es geht auch ein bisschen um die Symbolhaftigkeit"
    Zagatta: Muss es denn aus Ihrer Sicht eine Ehe sein, der Begriff Ehe sein? Wäre ein Gesetz, das zum Beispiel sagt, die eingetragene Lebenspartnerschaft wird der Ehe rechtlich gleichgestellt, nicht genauso gut oder vielleicht noch sinnvoller?
    Mielchen: Ich finde, dass die Ehe ein ganz starkes Symbol ist, und da geht es sicherlich auch ein bisschen um die Symbolhaftigkeit und weniger um juristische Spitzfindigkeiten. Und wie gesagt: Wenn es eine Gleichbehandlung geben soll, dann gibt es für mich keinen Grund zu sagen, das eine ist eine eingetragene Lebenspartnerschaft und das andere ist die Ehe. Da soll man dann schon bitte alle gleich über einen Kamm scheren.
    "Entscheidender Impuls von Volker Beck"
    Zagatta: Wie glücklich sind Sie denn über die Entwicklung der letzten Stunden? Wird dieses politische Gezerre jetzt im Wahlkampf Ihrem Anliegen gerecht?
    Mielchen: Jein. Das ist ja ein langer Kampf, der 1992 mit der Aktion Standesamt begonnen hat. 2001 kam dann die eingetragene Lebenspartnerschaft. Dagegen hat die Union seinerzeit geklagt und seitdem wird dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung gebracht. Ich selber habe nicht damit gerechnet, dass das so schnell jetzt gehen kann, und bin einerseits glücklich, dass diese Diskussion sich am Ende der Woche hoffentlich erledigt haben wird, und auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen, da hat die Kanzlerin mit ihrer gestrigen Intervention sicherlich nur aus Taktik und nicht aus Überzeugung gehandelt, weil sie jetzt isoliert dasteht mit ihrer Partei. Es gibt also keinen Grund, der Kanzlerin in irgendeiner Form dankbar zu sein, weil ich glaube nicht, dass sie das aus innerer Überzeugung macht. Das ist so ein bisschen der Wermutstropfen und deshalb ist es sehr hoch anzusehen und sehr hoch der SPD anzurechnen, dass sie am Ende einer langen Entwicklung doch noch sich aus der Umklammerung in der Koalition gelöst hat. Das wäre ohne das Zutun von Volker Beck, der den entscheidenden Impuls vor wenigen Tagen auf dem Parteitag der Grünen gemacht hat, sicherlich nicht passiert. Denn weil die Grünen es jetzt zur Koalitionsbedingung gemacht haben, ist die FDP auf diesen Zug aufgesprungen, ist die SPD am Ende auf diesen Zug aufgesprungen, und das hat die Möglichkeit überhaupt erst geschaffen. Da ist dann am Ende das politische Gezerre irgendwann auch schnell vergessen, wenn das Ergebnis stimmt. Ich als Hamburger sage mal, wir haben jahrelang über eine Elbphilharmonie bei uns gestritten und heute will da jeder rein, und ich glaube, eine ähnliche Entwicklung wird es bei der Ehe für alle dann auch geben.
    Zagatta: Stefan Mielchen, der Vorsitzende des Vereins "Hamburg Pride", und mit ihm konnte ich vor der Sendung sprechen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.