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Ehemaliger Kultur-Ministerialdirektor: Vertriebenen-Rede vor KZ-Opfern ist "keine Katastrophe"

Der ehemalige Ministerialdirektor für Kultur und Medien im Bundesinnenministerium und gegenwärtige Präsident der Universität Erfurt, Wolfgang Bergsdorf, hat die Empörung über die Rede des stellvertretenden Kulturstaatsministers Hermann Schäfer beim Weimarer Kunstfest zurückgewiesen.

Moderation: Michael Köhler | 28.08.2006
    Die Rede sei kein Eklat und keine Katastrophe, sondern "ein Missverständnis, wie es im öffentlichen Raum immer wieder vorkommt", sagte Bergsdorf.

    Michael Köhler: In Weimar spricht der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald Volkhard Knigge von geschichtspolitischem "Roll-Back". Grund dafür: Die Rede des Ministerialdirektors im Kanzleramt, Hermann Schäfer, bei der Eröffnung des Kunstfestes Weimar. Eine Gedenkveranstaltung unter dem Titel "Gedächtnis Buchenwald". Sie hatte am Freitag zu einem Eklat geführt, weil Schäfer die Einladung zu sprechen so auslegte, er solle über Flucht und Vertreibung reden. Das tat er, fast ausschließlich. Zwischenrufe erzwangen aber am Ende den Abbruch seiner Rede:

    "… Es ist keine Erinnerungstäuschung und keine Umdeutung von Geschichte, wenn wir feststellen, dass die deutschen Vertriebenen Opfer waren. Sie waren es und 60 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges können wir es offen und ohne Scheu sagen. … "

    Soweit Hermann Schäfer am Freitag.

    Die Aufregung ist nicht gering. Kunstfestleiterin Nike Wagner erklärte heute, die Einladung sei indes unmissverständlich gewesen. Die Opfer, die KZ-Überlebenden die noch anwesend waren, fühlten sich beleidigt, gekränkt. Ein Feuilletonist der Süddeutschen forderte heute den Rücktritt des Historikers. Gestern kam in dieser Sendung der beschuldigte Redner, Herrmann Schäfer und Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte ausführlich zu Wort. Frage deshalb einmal an den ehemaligen Ministerialdirektor für Kultur im Bundesinnenministerium und Publizistikprofessor, Zeitschriftenherausgeber, Präsident der Uni Erfurt, Wolfgang Bergsdorf. Wie konnte es zu einer solchen Asymmetrie, einem solchen Missverständnis kommen? Oder haben wir es, wie vermutet mit absichtsvoller Geschichtsumdeutung zu tun?

    Wolfgang Bergsdorf: Also das letzte vermag ich natürlich nicht zu bestätigen. Aber ich habe die Rede mittlerweile auch gelesen. Es ist eine sehr kluge Rede mit außerordentlichen interessanten Bemerkungen über die Notwendigkeit der Erinnerung. Es ist die Rede eines erfahrenen Historikers und Zeitgeschichtlers der auch über eine reichhaltige Erfahrung in der Kultur verfügt. Dass es zum Abbruch der Rede kam ist meines Erachtens einem doppelten Missverständnis geschuldet. Herrmann Schäfer wurde von der Festspielleitung eingeladen über Flucht und Vertreibung zu sprechen. Für dieses Thema hat er sich hoch qualifiziert durch seine Bonner Ausstellung im Haus der Geschichte und die Erwartungen des Buchenwaldpublikums war es, etwas über die KZ-Opfer zu hören. Und diese traditionellen Erwartungen des Publikums wurden offensichtlich unterschätzt, weil Herrmann Schäfer sich zu genau an die Vorgaben der Festspielleitung gehalten hat. Ansonsten ist das natürlich kein Eklat und keine Katastrophe. Ein solches Missverständnis kommt im öffentlichen Diskurs immer wieder vor.

    Köhler: Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald immerhin, Volkhard Knigge sieht sich heute dazu ermuntert, ermutigt die Bundesregierung zu einer Klarstellung des Geschichtsbildes aufzufordern. Es braucht ein klärendes Wort, so der Leiter der Gedenkstätte im Mitteldeutschen Rundfunk. Ist das überzogen, Ergebnis erhitzter Gemüter oder hat man auf einen Fehler eines bislang untadeligen Geschichtsprofessors gewartet?

    Bergsdorf: Also wer die Rede, auch die nur halb gehaltene Rede in ihrer Gänze gelesen hat, kann nicht den Eindruck gewinnen, hier würde eine Abkehr vom Konsens über die Verurteilung der NS-Diktatur und ihres Verbrechens im KZ-Regime verlangt. Herr Schäfer hat diesen Konsens an einigen Stellen seiner Rede bekräftigt und keineswegs versäumt darauf hinzuweisen, dass die Deutschen Opfer von Flucht, Vertreibung, als direkte Folge der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch die Deutschen zu sehen sind.

    Köhler: Er hat aber gesagt, die deutschen Vertriebenen waren Opfer. Sie waren es und 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges können wir es ohne Scheu sagen, so wörtlich. Er hat darüber gesprochen. Er hat aber offenbar zu wenig den Ort und die Zeit berücksichtigt, wo er spricht. Hat er die private Rolle des Historikers mit der öffentlichen Rolle des Regierungsvertreters verwechselt?

    Bergsdorf: Auch das kann man glaube ich auch nicht sagen, denn er ist ja sozusagen zu diesem Thema verpflichtet worden. Das Problem liegt wirklich daran, dass er eine Rede über ein Thema gehalten hat, an einem Ort, wo eine andere Rede eben angemessener gewesen wäre.

    Köhler: War er sozusagen kommunikationstechnisch schlecht beraten? Und ich frage Sie das, weil Sie viel über die vierte Gewalt veröffentlicht haben. Einführung in politische Massenkommunikation, Sie haben Lehrbücher geschrieben, Sprachlenkung, öffentlichen Sprachgebrauch und so weiter.

    Bergsdorf: Also eine etwas mehr kommunikative Beratung hätte ihm in diesem Fall auf jeden Falle sicherlich weitergeholfen.

    Köhler: Könnte es sein, dass das die Falle war, in die jemand getapst ist, wo eine linksliberale Öffentlichkeit ich sage mal, nur drauf gewartet hat? Denn man hat auch nicht den Eindruck, dass Staatsminister Neumann im Moment sein Amt sehr offensiv vertritt oder sich auch heute beispielsweise vor seinen Ministerialdirektor stellt.

    Bergsdorf: Naja, ich meine, das muss ja nicht alles von heute auf morgen, von einer Sekunde zur anderen geschehen. Ich meine, Herr Neumann wird es sich sicherlich nicht nehmen lassen, sich vor Herrn Schäfer zu stellen, zumal sich Herr Schäfer nun wirklich sich keines Vergehens hat schuldig gemacht. Das war eine Panne und Pannen passieren im öffentlichen Leben immer wieder.

    Köhler: Macht das vielleicht offensichtlich, dass so etwas wie Beratung für öffentliche Repräsentanten hin und wieder auch ganz förderlich ist? Es gibt so kleine polemische Ausrutscher der Tagespolitik, wo man sagt, naja, wenn Herr Steinbrück sagt, die Deutschen sollen nicht so viel in Urlaub fahren oder Herr Tiefensee empfiehlt Harzt IV-Empfänger für polizeiliche Sicherheitsaufgagben einzusetzen, dann ist das am nächsten Tag mehr oder weniger vergessen. Bedarf es der kommunikativen Beratung öffentlicher Repräsentanten?

    Bergsdorf: Das bedarf es in jedem Falle und da gibt es ja auch ausreichende Persönlichkeiten, die dazu in der Lage sind, das zu machen und das geschieht ja eben häufig auch glücklicherweise, sonst hätten wir noch viel mehr dieser Pannen.

    Köhler: Beratung tut Not. Wolfgang Bergsdorf über Erwartungshaltungen und Missverständnisse politischer Kommunikation im öffentlichen Raum.