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Ehemaliger ungarischer Botschafter verteidigt Verfassungsentwurf

Heute wird im ungarischen Parlament über eine neue Verfassung entschieden. Gergely Pröhle, heute stellvertretender Staatssekretär im Außenministerium in Budapest, verteidigt den Entwurf, der ohne eine Beteiligung der ungarischen Bürger von der Regierung auf den Weg gebracht wurde.

Gergely Pröhle im Gespräch mit Jürgen Liminski | 18.04.2011
    Jürgen Liminski: Heute steht im ungarischen Parlament eine wichtige Entscheidung an; es geht um eine neue Verfassung. Nachdem die Regierung Orban mit einem neuen Mediengesetz Anfang des Jahres für Empörung in den europäischen Medien und in Exilkreisen gesorgt hatte, steht die neue Verfassung unter besonderer Beobachtung. Ungarn hat im Moment außerdem die Präsidentschaft der EU inne, ein Grund mehr, sich die Verfassung genauer anzuschauen. Das hat offenbar ein Verfassungsblock getan und eine Petition veröffentlicht unter dem Titel "Ungarns neue Verfassung – Warum wir besorgt sind". Und darüber wollen wir jetzt sprechen mit Gergely Pröhle, ehemals Botschafter Ungarns in Deutschland und jetzt stellvertretender Staatssekretär im Außenministerium in Budapest. Guten Morgen, Herr Pröhle.

    Gergely Pröhle: Ja, guten Morgen!

    Liminski: Herr Pröhle, angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Ihrem Parlament dürfte die Abstimmung klar sein. Warum überhaupt diese neue Verfassung? Die andere war doch gerade mal 21 Jahre alt.

    Pröhle: Insofern haben Sie sich ein bisschen verrechnet. 21 Jahre alt, das heißt, das war die Änderung der Verfassung, aber die Jahreszahl, die auf der heutigen Verfassung steht, ist immer noch 1949. Also das war bloß eine Änderung, die damals vorgenommen worden ist, und zwar von dem Parlament noch, das nicht demokratisch gewählt worden ist. Diese Änderungen haben natürlich den Ausbau des Rechtsstaates gewährleistet, aber trotzdem, das war immer das Ziel der politischen Elite. Und deshalb haben das bisher alle Regierungen versucht, eine neue Verfassung zu schreiben. Die Mehrheitsverhältnisse haben das ja jetzt möglich gemacht. So ist diese Aufgabe wieder aufgenommen worden.

    Liminski: Im Ausland zeigt man sich besorgt. Die eingangs erwähnte Petition auf dem Verfassungsblock versammelt namhafte Gelehrte, Leute wie den ehemaligen Verfassungsrichter Mahrenholz und rund 100 andere Professoren und Staatsrechtler. Interessiert Sie die Meinung des Auslands nicht?

    Pröhle: Doch, natürlich. Und es ist kein Zufall, dass die ungarische Regierung sich an die Venedig-Kommission gewandt hat. Es ist kein Zufall, dass bisher zahlreiche Konferenzen stattgefunden haben, in Budapest, aber auch im Ausland. Wahrheit ist, dass viele falsche Nachrichten kursierten über diese neue Verfassung. Ich glaube, die Fassung, die dann heute höchst wahrscheinlich angenommen wird, beinhaltet keine Besorgnis erregenden Dinge.

    Liminski: Haben Sie den Verfassungstext mit dem Lissabon-Vertrag und anderen Grundsatzverträgen der EU abgeglichen oder abgestimmt?

    Pröhle: Ja natürlich. Es geht noch weiter. Zum Beispiel die Grundrechte-Charta der Europäischen Union wird teilweise übernommen. Es wurde damit abgeglichen, und natürlich glaube ich, dass die Experten, die dann befragt worden sind und die natürlich alle in Kenntnis der europäischen Regelungen sind, das auch nicht beanstandet haben.

    Liminski: Kritisiert wird, Herr Pröhle, dass es keinen Dialog mit der Opposition und mit dem Volk gegeben habe. Sind Sie gegen plebiszitäre Formen der Demokratie?

    Pröhle: Das ist natürlich eine schwierige Geschichte, weil das haben wir schon beim Mediengesetz gemerkt. Die europäische Öffentlichkeit und natürlich auch die Opposition hier in Ungarn nimmt das mit sehr großen Schwierigkeiten zur Kenntnis, dass hier so eine große demokratische Mehrheit nach einer demokratischen Wahl entstanden ist, und man weiß eigentlich nicht, wann es eigentlich eine sachliche Kritik ist, die ausgesprochen wird, und wann einfach die parteipolitische Zugehörigkeit in Form von fachlicher Kritik versucht wird, zum Ausdruck zu bringen.

    Insofern: Da ist es schwierig zu unterscheiden. Wichtig ist, dass in vielen Ländern in Europa eine neue Verfassung nicht mit einer Volksabstimmung abgesegnet worden ist und werden soll. Ich glaube, dass das demokratische Verfahren auch hier gewährleistet war. Und ich glaube, dass diese Volksbefragung – es gab nämlich so eine – schon gezeigt hat, was so im großen und ganzen die Menschen darüber denken.

    Liminski: Aber es gab keine Volksabstimmung. Sie sagen zurecht natürlich, auch in anderen Ländern gibt es das nicht. Fürchten Sie aber nicht den Vorwurf, dieser Verfassung mangele es an Legitimierung?

    Pröhle: Dieser Vorwurf ist jetzt schon da - natürlich von den Oppositionsparteien. Die waren auch eingeladen, an diesem Prozess teilzunehmen. Aus innen- und parteipolitischen Gründen haben sie darauf verzichtet, zwei von denen zumindest. Also ich hoffe, dass diese Verfassung doch das Ziel erreicht und irgendwie auch diesen Glauben in den Systemwechsel, diesen Glauben daran, dass in Ungarn die Demokratie gut funktioniert, eigentlich stärken wird.

    Liminski: Die Staatsrechtler auf dem Verfassungsblock befürchten, diese Verfassung untergrabe die Unabhängigkeit des obersten Gerichts und damit den Primat des Rechts. Wie steht es mit der künftigen Unabhängigkeit des Gerichts? Warum kann sich der einzelne Bürger nicht mehr an das oberste Gericht wenden so wie vorher?

    Pröhle: Das ist nicht das oberste Gericht, das ist das Verfassungsgericht, was da gemeint ist. Diese Petitionen, die von einzelnen Bürgern kamen, die haben die Arbeit des Verfassungsgerichts regelrecht blockiert manchmal, weil es gab auch Petitionen, die darum gingen, zum Beispiel wo ich meinen Hund Gassi führen darf oder eben nicht. Also das war wirklich manchmal lachhaft, was da gelaufen ist. Und wir haben, weil wir das befürchtet haben, dass dieser Vorwurf kommt, gerade die Venedig-Kommission darüber befragt, und die haben das nicht beanstandet. Das Verfassungsgericht wird also keine Befugnisse verlieren. Die, was Sie gerade erwähnt haben, das haben sogar die Verfassungsrichter befürwortet, dass es so kommt.

    Liminski: Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass künftige Änderungen nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zu machen wären, Ihre Regierung also ihre jetzige Stärke ausnutze.

    Pröhle: Genau. Also das war die vorherige sozialliberale Regierung, die es abgeschafft hat, dass Verfassungsänderungen mit einer Vier-Fünftel-Mehrheit vorgenommen werden dürfen. In den meisten europäischen Staaten wird eine Zwei-Drittel-Mehrheit für Verfassungsänderungen gebraucht. Ich glaube, wir können das auch in der Zukunft nicht ausschließen, dass solche Mehrheiten zu Stande kommen. Wenn das irgendwie notwendig sein könnte, können sich mehrere Parteien auch in der Zukunft miteinander verbünden.

    Liminski: Ungarn bekommt eine EU-konforme Verfassung, sagt hier im Deutschlandfunk Gergely Pröhle, der Vize-Staatssekretär im ungarischen Außenministerium und früherer Botschafter in Berlin. Besten Dank für das Gespräch, Herr Pröhle.

    Pröhle: Ja, vielen Dank auch.