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Eher bizarr als phantastisch

Musik barocker Orgelmeister, hat Christian Brembeck auf einem 16-Fuß-Cembalo beim Label Musicaphon, Kassel, unter dem Titel: "Der fantastische Styl" eingespielt.

    * Musikbeispiel: Georg Böhm - Praeludium in g

    Ist das phantastisch? Vor dreihundert Jahren hat man es sicher so empfunden, und auch heute noch irritiert diese Musik in ihrer stockenden, ziellosen Bewegung und fast amorphen Satzstruktur. Der Unterschied ist nur, dass wir den Stil eher bizarr als phantastisch nennen würden. Der Komponist heißt Georg Böhm und war Organist in Lüneburg - der Bach-Stadt Lüneburg, muss man in diesem Zusammenhang betonen, denn im Jahr 1700 beherbergte sie für einige Zeit den nachmaligen Thomaskantor als Schüler im Michaelis-Internat, von wo aus er, beinahe ein Kind noch, weite Fußmärsche nach Hamburg unternahm, um Johann Adam Reincken an der großen Orgel der Katharinenkirche zu erleben. Bach war unter die Nordlichter geraten, er hat sogar damit geliebäugelt, selbst eines zu werden und in Lübeck die Nachfolge von Dietrich Buxtehude anzutreten. Doch an die Übernahme der Organistenstelle knüpfte sich bekanntlich die Bedingung, dessen ältliche Tochter zum Altar zu führen. Bach nahm Reißaus. Aber der Orgelstil Buxtehudes und seines Lüneburger Amtskollegen Böhm (auch er übrigens ein Einwanderer aus dem Thüringischen) hatte es Bach angetan und hallte noch lange in ihm nach - gerade auch das "Fantastische" an diesem Stil. Die Toccaten und die a-Moll-Fantasie sind dafür das beste Beispiel. Hier jedoch, nach dem eingangs gehörten Präludium, zunächst ein weiteres Stück von Böhm: eine Chaconne, phantastisch in ihrer Art auch sie, unfranzösisch, norddeutsch eben - und ein bisschen schräg.

    * Musikbeispiel: Georg Böhm - Chaconne in G

    Der fast exotische, etwas ruppige Charme dieser Chaconne wird noch gesteigert durch das Instrument. Es ist ein 16-Fuß-Cembalo, erbaut nach einem spätbarocken Vorbild aus der Werkstatt des hamburgischen Klavier- und Orgelbauers Hieronymus Albrecht Hass. Unter den vielen verschiedenen Kieflügeln italienischer, französischer und deutscher Provenienz sind die 16-Füßer etwas ganz Besonderes. Richtige Musikdampfer, teilweise dreimanualig, klangstark, mit rollenden Bässen und vielfältigen Registrierungsmöglichkeiten. Nur eine Handvoll solcher Instrumente hat die Zeiten überdauert, und lange fehlte der Beweis, dass das tiefe 16-Fuß-Register - eine Oktave unter der Normallage - wirklich original ist und nicht das Produkt späterer, mithin stilwidriger Umbauten. Auch Kenner der Materie haben sich gesträubt, die Möglichkeit, dass es sich tatsächlich um zur Gänze authentische Instrumente handeln könnte, überhaupt in Betracht zu ziehen. Der Sechzehnfuß galt als törichte Anleihe bei der Orgel, als Experiment und Irrweg des modernen Cembalobaus. Inzwischen weiß man es besser. Aber das Schwere, die Kraft, das vielleicht sogar etwas Behäbige dieser Instrumente - früher nannte man es Gravität - kollidiert mit heutigen Vorstellungen von Transparenz und Sportlichkeit, die auch den historisch informierten Umgang mit Klaviermusik des Barocks beeinflussen.

    Nun soll hier nicht behauptet werden, Cembali wie das Hass'sche Museumsstück seien der Maßstab aller Tastendinge. Aber für bestimmte Repertoirebereiche auch außerhalb der norddeutschen Schule, Kammermusik etwa aus dem Umfeld des studentischen Collegium musicum in Leipzig, sind sie das Instrument der Wahl. Der Grundfehler der nicht ganz zu Unrecht verpönten Groß-Cembali moderner Bauart bestand ja nicht in der 16-Fuß-Ausstattung, sondern in der vom Klavierbau übernommenen inneren Konstruktion, der sogenannten Rastenbauweise, die dem Klang etwas Starres, Sprödes, Drahtiges verlieh. Dafür stehen Herstellernamen wie Pleyel und auch Neupert in Bamberg, wo man sich aber längst wieder auf den Bau nach historischen Vorbildern besonnen hat. So auch bei diesem Cembalo nach Hass, das in allen Details dem Original im Brüsseler Instrumentenmuseum nachgebildet ist. Starr, drahtig, spröde gar klingt es mitnichten. Vielmehr profund, fast grollend in den Bässen. Aber auch an Grazie und Süße in den 4-Fuß-Regionen fehlt es nicht, man höre nur Reinckens "Holländische Nachtigall"...

    * Musikbeispiel: Joh. Adam Reincken - "Holländische Nachtigahl"

    "Es scheint geradezu, als habe Bach in der Auseinandersetzung mit der norddeutschen Kunst überhaupt erst zu seiner eigenen Ausdrucksweise gefunden". So hat es der Bachforscher Werner Breig formuliert, den Christian Brembeck im Beiheft dieser neuen Platte auch zitiert. Im Kontext der Musik von Reincken, Böhm und Buxtehude ist die auf den ersten Blick so anfechtbare Aussage plausibel, und die Wahl des Instrumentes trägt nicht wenig dazu bei. Experimentierfreude hat Brembeck, der langjährige Cembalist der Münchner Philharmoniker und des Tölzer Knabenchors, schon mit seinem Versuch einer Rekonstruktion des Silbermann'schen "Cembal d'amour" bewiesen. Mit dieser Einspielung legt er nun ein weiteres und rundum überzeugendes Ergebnis seiner cembalistischen Klangrecherche vor. Denn auch wenn es wie eine Binsenweisheit klingt: Nicht der Interpret allein, auch das Instrument macht die Musik.

    * Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach - Fantasia a-moll, BWV 922

    Die neue Platte im Deutschlandfunk, heute: "Der fantastische Styl" mit Werken vorwiegend norddeutscher Orgelmeister, dargeboten auf einem 16-Fuß-Cembalo nach Hieronymus Albrecht Hass, soeben erschienen bei Musicaphon im Klassik Center Kassel. Zuletzt erklang die a-moll-Fantasie Bach-Werke-Verzeichnis 922. Christian Brembeck war der Interpret.

    "Der fantastische Styl"
    Christian Brembeck (Cembalo)
    Musicaphon (Vertrieb: Klassik Center Kassel)
    Labelcode: LC 00522
    Bestell-Nr.: M 56871