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Ehrenamt und COVID-19
Was tun ohne Tafeln?

Rund 1,6 Millionen Menschen werden in Deutschland von Tafeln mit Essen versorgt, doch in der Coronakrise schließen immer mehr der über 900 Einrichtungen - viele der Ehrenamtlichen fallen in den Teil der Risikogruppe. Um die Hilfe für Bedürftige aufrecht zu erhalten, denkt man in Berlin über Alternativen nach.

Von Anja Nehls | 19.03.2020
Ehrenamtliche Helfer von "Laib und Seele" sind bei der Essensausgabe von bedürftigen Menschen in einem Vorraum der Evangelischen Advent-Zachäus Kirche beschäftigt.
Aus Angst vor dem Corona-Virus haben in Berlin nur noch wenige Tafeln geöffnet (Annette Riedl / dpa )
Langsam schiebt sich die Reihe der Menschen vorbei an langen Tischen mit Salat, der schon ein paar welke Blätter hat, Brot vom Vortag oder Obst mit ein paar dunklen Flecken. Eigentlich der übliche Alltag in den 45 Ausgabestellen der Berliner Tafel. Jetzt hat nur noch eine Handvoll davon in Berlin geöffnet. Alle anderen sind dicht – wegen Corona, sagt die Leiterin der Berliner Tafel, Sabine Werth: "Die Ausgabestellen in den Kirchengemeinden, die haben dann einfach irgendwann mal beschlossen, ihnen ist das Risiko zu groß oder die Ehrenamtlichen haben gesagt, uns ist das Risiko zu groß, wir trauen uns nicht länger. Da ist ja das Problem, die sind 60, 70, 80 plus. Genau deshalb sind da die Ausgaben auch eingestellt worden, weil das einfach gefährdete Personengruppen sind. Unsere Ehrenamtlichen sind nicht so, weil sie ganz genau wissen, was das für Konsequenzen hat.
55.000 Bedürftige wurden in Berlin an den Ausgabestellen der Berliner Tafel bislang mit Lebensmitteln für einen symbolischen Preis von 1 Euro versorgt. Sozialhilfeempfänger, Rentner mit kleinem Einkommen, Familien, die von Hartz 4 leben. Für viele der Menschen machen die Lebensmittel der Tafel das Leben tatsächlich ein bisschen leichter:
Schutz für altere Ehrenämtler
"ich kriege hier einmal in der Woche Nahrungsmittel, auch Grundnahrungsmittel, frische, Kartoffeln und so. Ich komme damit ein paar Tage über die Runden - ist schon eine herrliche Einrichtung. Ich bin Rentnerin und kriege eine kleine Rente – da ist das natürlich sehr nützlich. "Das hilft mir so sehr, ich bin so dankbar dafür, dass es die Leute überhaupt gibt."
Damit ist jetzt erstmal Schluss. Die Ausgabestellen der Tafel einfach mit jüngeren Ehrenamtlichen zu besetzen und wieder zu öffnen ist für Sabine Werth allerdings keine Lösung: "Das Problem ist die Pulkbildung. Also wir haben Ausgabestellen, da sind 60,70 Ehrenamtliche im Einsatz, da kommen 250 Haushalte zusammen, das heißt da sind immer viele Menschen. Und das Schöne an unseren Ausgabestellen ist ja auch die Tatsache, dass das der Ort der sozialen Begegnung war, dass die Leute sich vorher zum Kaffee und zum Kuchen getroffen haben, dort in der Ausgabestelle zusammen gesessen haben, das muss alles wegfallen.
Es gibt genug Lebensmittel
Dabei sind eigentlich genug Lebensmittel vorhanden. Nachdem es in den ersten Tagen der Corona-Krise wegen der vielen Hamsterkäufe weniger Angebot für die Bedürftigen gab, füllen sich jetzt die Regale der Tafel in der Lagerhalle auf dem Berliner Großmarkt zusehends, sagt Antje Trölsch von der Berliner Tafel im RBB: "Wir kriegen jetzt Angebote, die der Situation geschuldet sind, das heißt also wenn Gastronomie nicht so arbeiten kann wie sonst, Kantinen oder - ich habe gerade erfahren, dass wir aus den Kinos das Popcorn bekommen."
Immer mehr Restaurants machen dicht, die Händler auf dem Großmarkt können ihre Ware nicht verkaufen, immer mehr landet bei der Tafel. Dazu kommt, dass die Tafel normalerweise 300 soziale Einrichtungen mit Lebensmitteln beliefert. Obdachlosenheime, Jugendclubs, Kindertagesstätten, Seniorentreffpunkte. Zwei Drittel dieser Einrichtungen haben jetzt bereits geschlossen, sagt Sabine Werth: "Das heißt, wir haben jetzt langsam wieder etwas mehr Lebensmittel, wobei es da große Schwankungen gibt, nun müssen wir sehen, dass wir die Menschen, die ja auch auf die Hilde in gewisser Weise angewiesen sind, weil sie sich einmal in der Woche bei uns Lebensmittel holen, dass wir die erreichen."
Lieferservice für Bedürftige
Deshalb soll es vielleicht schon ab Freitag einen Lieferservice von Lebensmitteln für Bedürftige geben. "Wir haben jetzt schon 70 Freiwillige, die sich gemeldet haben, die zum großen Teil auch einen Führerschein haben. Dann hat die Firma Hertz uns Transporter angeboten, die wir von ihnen kostenlos bekommen können, so dass wir versuchen werden, da Touren zu stricken. Von den Ausgabestellen wird jeweils eine Hotline eingerichtet, wo zu bestimmten Zeiten die Leute sich melden können, um zu sagen, ich würde gerne beliefert werden."
Das wird mühsam. Denn die Kunden der Tafel müssen sich jetzt erst neu registrieren, Name und Adresse müssen erfasst werden, erst dann können die Touren koordiniert werden, so Werth: "Das Problem ist, dass der Datenschutz dafür gesorgt hat, dass wir keine Adressen mehr notieren dürfen und von daher wir keine persönlichen Daten der Klientinnen und Klienten haben, das bedeutet: Es muss einfach jetzt neu aufgenommen werden, da wir ansonsten nicht wissen wohin."
Dass es einige Daten bereits gibt, ist nun auch wieder Corona zu verdanken. Ein paar der freiwilligen Helfer haben bei den vergangenen Ausgaben vorsichtshalber notiert, wer da war – weil man die Kundinnen und Kunden bei einer Infektion im Umfeld der Tafel möglichst schnell benachrichtigen will.