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Ehrgeiziger Spieler

"Er ist der Typ, der immer die Herausforderung sucht." Der Budapester Politikwissenschaftler Lázlo Kéri kennt Viktor Orbán schon seit den frühen 80er-Jahren. Kéri war damals ein junger Hochschullehrer, Orbán Jura-Student. Schon früh war dessen Machtstreben erkennbar.

Jan-Uwe Stahr | 14.01.2011
    "Schon als 19-jähriger Student, im ersten Semester, erklärte er: Es ist an der Zeit gegen die Regierung zu kämpfen."

    Der Politik-Professor Laszlo Kéri, kann sich noch gut erinnern an den jungen Heißsporn, namens Viktor Orban. Schon Mitte der Achtziger wollte dieser die sozialistische Regierung stürzen. Kéri riet ihm damals zur Besonnenheit, sich nicht zu früh zu verausgaben. Ende der 80er-Jahre kam die Wende auch in Ungarn. Orban und seine Mitstreiter trugen dazu bei. Jetzt ist der Sozialismus seit über 20 Jahren Geschichte, Viktor Orban 45 Jahre alt und seit Mai vergangen Jahres Ministerpräsident von Ungarn. Ungestüm und kämpferisch ist er noch immer, sagt Professor Kéri

    "Er sei für eine Revolution gewählt worden, hat der neue Ministerpräsident nach seiner Wahl immer wieder erklärt. Und er meint das nicht als Witz. Es sei nicht nur eine Wahl gewesen, sondern eine Revolution."

    Tatsächlich versuchen Orban und seine rechtsnationale Regierung zwei Jahrzehnte nach der Wende einen radikalen Neustart. Sie wollen Ungarn mithilfe eines neuen, sogenannten "Systems des Nationalen Zusammenhalts" aus seiner tiefen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise holen. Dazu schreibt die Fidesz-Regierung, die über eine mächtige Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt, im Alleingang die Verfassung um, besetzt staatliche Institutionen und Betriebe mit treuen Parteisoldaten und könnte mithilfe der Aufsichtsbehörde auch die Medien kontrollieren. Empörte Kritik aus dem Ausland – wie jetzt an dem neuen Mediengesetz - scheinen Viktor Orban und seine Wähler nicht sehr zu beeindrucken. Der großen Mehrheit in Ungarn gilt er als "mutig". Orbán spricht die Sprache des Volkes, sagt Kéri. Auch deshalb ist er so populär.

    "Er benutzt sehr häufig symbolische Geschichten, übersetzt die politischen Herausforderungen in eine Schwarz-Weiß-Darstellung und in einer sehr bildhaften Sprache, das kommt an auf dem Lande und in den Kleinstädten, wo immerhin ein Drittel der Ungarn leben. Aber er hat auch gelernt, wie man zu den Großstädtern spricht, zu den Budapestern."

    Orban – wie auch die meisten Mitstreiter in seiner Regierung - stammen selber aus der ungarischen Provinz. Und nicht aus dem Budapester Establishment, wie die Mehrzahl der abgewählten Linken und Liberalen. Diese hatte Orban schon als Oppositionsführer immer wieder zu politischen Feinden des Landes stilisiert, sie als "fremdherzig" und korrupt bezeichnet. Tatsächlich haben sich einige aus der ehemaligen linksliberalen Elite die Taschen gefüllt. Aber auch die patriotisch und konservativ gesinnten Aufsteiger aus der Provinz haben durchaus gelernt, an sich selbst zu denken, sagt der gebürtige Budapester, Professor Kéri. Er hat viele aus der heutigen Fidesz-Führungsebene schon als Studenten kennengelernt.

    "Sie repräsentieren eine harte, kämpferische neue Generation, die stolz ist auf ihr Emporkommen und weiß ihre Interessen konsequent zu verteidigen. Auf der anderen Seite ist diese Politiker-Generation äußerst diszipliniert und bereit alles zu lernen, was sie für ihren Erfolg braucht."

    Der Politikwissenschaftler Kéri schätzt durchaus die Kompetenz vieler Fidesz-Politiker und ihren Willen zur Krisenbewältigung. Was ihn jedoch wundert, ist ihre scheinbar kritiklose Unterordnung unter Viktor Orban. Denn diesen hält Kéri für einen Spieler – einen der alles auf eine Karte setzt

    "Er ist der Typ, der immer die Herausforderung sucht. Der Risiken eingeht – auch wenn es keinen Sinn macht. Er ist der Typ der Risiken eingeht und die möglichen Konsequenzen verdrängt – die schlimmen Konsequenzen."

    Zum Beispiel die grenzenlose Verwendung der ihm eigenen Macht, die in der Konsequenz die demokratischen Werte gefährden könnte, für die er einst gekämpft hat.