" Ich treffe Entscheidungen. Aber ich bin keine Buchhalterin. Da vertraue ich meinen Mitarbeitern. Und meine Entscheidungen treffe ich sehr schnell - in 30 Sekunden oder einigen Minuten. Die Papiere liegen nie sehr lange hier herum."
Die EU-Kommissarin für Finanzen fackelt nicht lange herum. Sie sagt gerade heraus, was sie denkt und nimmt bei ihrer Kritik kein Blatt vor den Mund. In dem Brüsseler Institutionen-Zirkus ist das eher selten und bei den Beobachtern hoch willkommen, sagt Tom Weingärtner, seit fünf Jahren als EU-Korrespondent in Brüssel:
" Ungewöhnlich ist das auf jeden Fall. Es ist eher die nicht-konventionelle Methode. Die meisten Politiker und die meisten Kommissare versuchen das immer mit Formelkompromissen hinter verschlossenen Türen, die keiner kennt. Deshalb versteht das ja auch keiner. Und in so einer Lage ist es natürlich hübsch, wenn man eine Politikerin hat, die sagt, was sie denkt und worauf man sich dann auch einstellen kann."
Aber nicht immer stößt die Litauerin, die vor ihrem europäischen Amt Finanzministerin war und noch immer zu den beliebtesten Politikern ihres Heimatlandes gehört, auf so viel Gegenliebe bei ihren Verhandlungspartnern.
Kritiker werfen ihr vor, undiplomatisch zu sein und mit dem Kopf durch die Wand zu wollen - zum Beispiel, wenn sie der britischen Ratspräsidentschaft öffentlich vorwirft, sich beim EU-Haushalt verrechnet zu haben oder wenn sie ihre eigene Institution in die Mangel nimmt:
" Wir haben hier die besten Leute aus ganz Europa. Aber das System erstickt die Initiativen, weil die Beamten zu viele soziale Privilegien haben. Sie genießen ihr Leben, das hohe Gehalt und das ist alles. Diese Institution hat ein hohes Potential, aber es wird nicht gut genutzt."
Solche Sätze aus dem Mund einer Kommissarin sind in Brüssel eine kleine Sensation. Die Journalisten freuen sich. Tom Weingärtner:
" Und sie hat auch das politische Selbstbewusstsein, um das in einem Ministerrat zu sagen, auch wenn da Mister Blair oder Chirac sitzen, die das dann doof finden. Und sie hat auch den Mut, dass auch öffentlich zu sagen und nicht nur hinter verschlossenen Türen."
Für ihre Kritiker hat die Kommissarin unterdessen nur ein Lächeln übrig:
" Meine Arbeitsmethode ist, sehr ehrlich und offen zu sein. Ich bluffe nie und investiere sehr viel in die Vorbereitung meiner Sitzungen. Meistens bin ich besser vorbereitet als mein Gegenüber. Das irritiert mich manchmal. Und wenn der andere seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, dann sage ich das auch."
Die Mannschaft von Dalia Grybauskaite funktioniert. Sie funktioniert sogar so gut, dass die Kommissionsmitarbeiter beim Gipfel im vergangenen Dezember die Arbeit der britischen Präsidentschaft übernahmen. In der entscheidenden Verhandlungsphase zur Finanziellen Vorausschau rechnete der Trupp der Kommissarin den neuen Vorschlag aus, der die Grundlage für den endgültigen Kompromiss bildete.
Die Litauerin sitzt während der Kommissionssitzungen neben Danuta Hübner aus Polen. Mit ihr ist Grybauskaite befreundet. Auch mit dem deutschen Kommissar Günter Verheugen versteht sie sich gut. Aber nicht alles, was sie in Brüssel entdeckt hat, gefällt ihr:
" Es dauert alles so unglaublich viel länger als in den Nationalstaaten. Als ich noch Finanzministerin war, konnte ich meine Entscheidungen innerhalb von einer Woche, manchmal sogar einiger Stunden treffen. Hier dauert das Monate oder Jahre. Die Maschine kostet mich sehr viel Geduld. Ich glaube, alle Neulinge sehen das. Wir wollen schnellere und effizientere Entscheidungen. Wir hassen diese Langsamkeit und die Logik der Hierarchie. Wir wollen Ergebnisse."
Diese Entschlossenheit bringt der Kommissarin auch bei ihren Kollegen Anerkennung. Reimer Böge, der als Europaabgeordneter direkt mit ihr über den EU-Haushalt verhandelt, beschreibt sie nach eigenen Worten als eine "sehr intelligente Frau".
" Sie ist jemand, die sehr konkret und sehr schnell handelt, die auch in der Lage ist, kein Blatt vor den Mund nimmt und mit ganz offenem Visier spielt. Das ist etwas sehr positives, weil wir oft das Problem haben, dass sich Kommissionsmitarbeiter hinter allgemeinen Formeln verstecken und mangelnden Mut zeigen, Führung zu übernehmen und sich vielleicht auch mal die Finger zu verbrennen. Diese Angst hat Frau Grybauskaite zweifelsohne nicht."
Sie gilt als eine der stärksten Kommissare in dem Brüsseler Gremium. Das hat sie vor allem auch der Tatsache zu verdanken, dass ihr das EU-Parlament bei ihrer Kandidatur ein blendendes Zeugnis ausgestellt hat. Sie kannte nicht nur ihre Dossiers. Sie hatte auch keine politische Vergangenheit zu tragen wie andere ihrer Kollegen aus den neuen Mitgliedsländern im Osten Europas. Sie war nie Mitglied in einer Partei, studierte in Russland und Amerika. Finanzministerin wurde sie erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
Gerade mit dieser Erfahrung im Petto, wird Dalia Grybauskaite ihren Stil wohl - trotz Kritik - nicht ändern. Aber ein bisschen hat sich auch die selbstbewusste Litauerin den Brüsseler Regeln angepasst:
" Ich lerne viel, besonders Geduld. In der Zwischenzeit zähle bis zehn, bevor ich meinen Mund aufmache. Manchmal sollte ich vielleicht besser bis 20 zählen."