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Ehrung für Krystian Lupa

In seinem berühmten Film "Persona" führte Ingmar Bergman 1966 eine verstummte Schauspielerin und eine Krankenpflegerin zu- und gegeneinander. Vorgeführt wurde die Krise einer Figur, und gefragt wurde danach, wie weit man sich einer anderen Figur annähern könne, ohne sich dabei selbst zu verlieren.

Von Hartmut Krug | 07.04.2009
    Krystian Lupas neues Stück "Persona" stellt ähnliche Fragen. Doch wie schon in seiner, noch einmal in Wroclaw gezeigten Auseinandersetzung mit Warhols Künstlerbild in "Factory 2", geht es dem polnischen Regisseur um eine Forschungsreise in die innere Situation des Künstlers. Mit seinem romantischen, von Grotowski geprägten Künstlerbild, das die Bühne als eine Art Spiegel ins Innere der Persönlichkeit versteht, versagt sich Krystian Lupa jeder äußerlichen Aktualität. Er glaubt an eine moralisch-ethische Verpflichtung des Künstlers und forscht mit Philosophie, Psychologie und Religion nach Identität und Persönlichkeit:

    "Ich mache kein politisches Theater, doch Politik ist für mich sehr interessant und ich weiß, dass Politik ein sehr wichtiges Element des heutigen Menschen ist. Und ich kann nicht ohne Politik. Doch im Theater über politische Sachen politisch zu sprechen, ist oberflächlich. Wir sollen tiefer suchen als nur über politische Fragen zu sprechen, und Wurzeln der Politik sind geistige. Wie sagt Jung zum Beispiel, Carl Gustav Jung? Dass wir heute Zwischenzeit sind."

    Bei der Busfahrt zur Spielstätte von "Persona", einem Fernsehstudio außerhalb von Wroclaw, passierte man eine unwirkliche Zwischenwelt mit weitläufigen Discounter-Landschaften und dem Container der polnischen Big-Brother-Version. Von Lupas "Persona"-Trilogie war nur der erste Teil fertig, in dem Marilyn Monroe auf der Suche nach dem wahren Bild von sich selbst ist, (die beiden weiteren sollen sich mit Gurdjieff und Simone Weil beschäftigen). Marilyn Monroe hat sich in ein leeres Filmstudio zurückgezogen und sich in dieser kunstvoll vollgerümpelten Abstellkammer auf zusammengestellten Tischen eine Schlaflandschaft geschaffen.

    In einem halblangen, den fast nackten Körper ausstellenden Pullover spricht Sandra Korzeniak als Marilyn-Kopie viele verschwurbelte, oft unfreiwillig komische, kitschig philosophierende Texte des Regisseurs, der doch bei seinen Dramatisierungen und Inszenierungen von Texten von Musil, Dostojewski, Bulgakow, Broch und Bernhard bewiesen hatte, dass er zwar kaum Bilder schafft, aber literarische Sprache versinnlichen und durchlässig zu machen versteht:

    "Ich habe niemals Sprachentheater gemacht. Für mich ist mehr die innere Situation des Menschen in Bedeutung, und man muss wissen, dass die Sprache nur eine Oberfläche ist."

    Die Sprache in "Persona" aber ist nun leider so oberflächlich wie geschwätzig.

    Es geht um die Frage, wie man seine Identität und Persönlichkeit schaffen, erkennen und leben kann: Wer bin ich, welche Bilder macht man sich von mir und welches wünsche ich; - liebe ich, wenn ja, wie, warum und wen, das sind die gestellten und grundsätzlich ja auch nicht falschen Fragen. Doch wie das gehaucht und geatmet, gezirpt und gesingsangt wird, wie die Schauspielerin sich auf ein hollywoodeskes Kleinmädchen-Suchtum herunterdimmt, wie sie Bedeutung inhaliert, um sie wieder heftig auszuatmen, wie sie raucht und trinkt, sich arrangiert und drapiert, das alles ist von einer so absichtsvollen und zugleich bedeutsamen Künstlichkeit, dass man peinlich berührt ist.

    Kein Rhythmus, kein Tempo, nur immer tiefere Bedeutsamkeit, - was Grotowski angerichtet hat, führt bei Lupa statt zu sensiblem psychologisch-realistischen Spiel direkt zu gruseligst altbackener Theaterhaftigkeit. So ist Krystian Lupa, der den Europäischen Theaterpreis auch für eine Theaterform bekam, die alle theaterhafte Schauspielerei zu überwinden trachtete, in "Persona" gerade bei dieser wieder angelangt.

    Immerhin überzeugt die Inszenierung dramaturgisch. Marilyn erforscht sich, indem sie auch in den Spiegel und ins Publikum schaut, und auf der Bühnenrückwand erscheint ihr Live-Videobild, schließlich geht es darum, welches Bild es von Marilyn geben kann und dass man, indem man sich ein Bild von einem Menschen macht, diesen zugleich umbringt.

    Lupa zeigt Marilyns Versuche, sich selbst zu erfinden und aus der (Vorstellungs-)Welt der anderen zu entkommen. So wird sie von ihrer Schauspiellehrerin Paula (Strasberg) einerseits als Ikone beschworen und andererseits in die Rolle der Gruschenka für die Verfilmung von Dostojewskis "Die Brüder Karamasoff" getrieben, weil sie sich in der Verwandlung in die Rolle selbst erkennen könne. Ein Fotograf, der aus "Blow up" entsprungen scheint, arrangiert und schminkt sie in einem passiven Liebesspiel als Leiche, bis sie sich für einen Psychiater (auch er eine filmische Klischeefigur) in einem roten Kleid selbstbewusst präsentiert. Zwischendurch bringt sie einen Wachmann dazu, ihr Traumbild zu verkörpern: Er radelt in einer unfreiwillig komischen Szene vor dem Sexualakt nackt auf dem Fahrrad um sie herum.

    Wenn Marilyn schließlich auf dem Set des Dostojewki-Films im Kleid von der Amtseinführung Kennedys erscheint, ist sie zwar bei sich, aber im falschen Bild. Also zieht ihr die Schauspiellehrerin das Kleid aus und macht sie im doppelten Sinn nackt. Marilyn, gelegt auf den weiß ausgeschlagenen Opfertisch, geht in Flammen auf, stirbt also als Individuum in einer Rolle. Krystian Lupas "Persona" war der enttäuschende Schlusspunkt eines inhaltlich und organisatorisch heftig misslungenen Festivals, das neben Krystian Lupa als Europäischem Theaterpreis-Träger gleich fünf arriviert-konventionelle Regievertreter des internationalen Festival-Zirkus groteskerweise als Preisträger für "Neue Theatrale Realitäten" auszeichnete.