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Ehrung oder Makel?
Initiative will den UNESCO-Welterbetitel für St. Pauli

Zwischen Rotlicht und Hafenromantik: Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass St. Pauli den UNESCO-Welterbetitel bekommt. Aber es gibt auch Kritiker auf der Reeperbahn - denn die Frage bleibt, ob das alte St. Pauli dadurch bewahrt oder im Dienste einer werbewirksamen Aufhübschung dauerhaft zerstört wird.

Von Axel Schröder | 13.09.2018
    Zahlreiche Menschen gehen am 24.11.2017 nahe der Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St.Pauli über die Große Freiheit und den Beatlesplatz.
    Der UNESCO-Welterbetitel wäre eine Wertschätzung für das Viertel und seine Entwicklung, sagt eine der Initiatorinnen (Daniel Reinhardt / dpa)
    Das Partyvolk flaniert über die Große Freiheit, vorbei an den bunten Neonreklamen über der kleinen Seitenstraße, die abbiegt von der Reeperbahn. Eine Bar reiht sich an die nächste, alle Eingänge von Türstehern bewacht. Und mittendrin im Getümmel steht André, auf dem Kopf einen kleinen quietschrosanen Plastikcowboyhut.
    "Ich bin der André, bin 26 und trinke heute Abend mit meinen Freunden!"
    Einige Barbesitzer freut der Boom der Junggesellenpartys. Andere, wie Julia Staron, in deren "Kukunn"-Club am Spielbudenplatz Konzerte, Theater oder Poetry Slams stattfinden, ist davon eher genervt.
    "Wenn Du hier am Wochenenden drei Junggesellenabschiede hast, dann sagst Du: "Naja, gut. Gehört halt auch dazu." Aber wenn Du natürlich am Abend 35 siehst, dann möchtest Du sie eigentlich alle klatschen. Um das mal so ganz dumpf zu sagen. Nein, ich bin natürlich überhaupt nicht für Gewalt. Aber es nervt extremst."
    Neben ihrem Club kümmert sich Julia Staron im Business Improvement District, dem BID Reeperbahn darum, den Kiez noch attraktiver zu machen, darum, wie es auf der Website des BID heißt, das "Vergnügungsviertel St. Pauli als Ziel des Hamburg-Tourismus" zu stärken. Anfang des Jahres entwickelte sie zusammen mit Freunden bei Bier und Wein die Idee, St. Pauli zum "immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe" zu machen.
    "In meiner Übersetzung wäre es eine Wertschätzung für das Viertel und seine Entwicklung. Weil ich glaube, dass hier in der Gesellschaft St. Paulis eine sehr besondere Haltung vorhanden ist. Und das ist die Vorstellung von Freiheit. Das leben zu können, die Lebensentwürfe des anderen ertragen zu können, dass das funktioniert."
    Ein PR-Gag?
    St. Pauli als Weltkulturerbe, doch eher ein PR-Gag? Das meint zumindest Margit Cenki. Sie hat gegen die Gentrifizierung der Bernhard-Nocht-Straße gekämpft und für eine stadtteilgerechte und weniger profitgeleitete Neubebauung des riesigen Areals, auf dem früher einmal die sogenannten Esso-Häuser standen. Dass nun aus dem "Business Improvement District", dem BID, die Idee mit dem Weltkulturerbe kommt, überrascht sie nicht. Auch nicht, dass mit Corny Littmann einer der umtriebigsten Theatermacher auf dem Kiez zu den Unterzeichnern gehört:
    "Sobald das BID drunter steht, das ja die Besitzer, die Hausbesitzer vertritt und dann Corny Littmann, der fast alle Läden am Kiez dann bald hat oder so, dann weiß ich überhaupt nicht, was das soll. Das sind alles Leute, die davon leben, Geschichten zu erzählen, die es nicht mehr gibt."
    Genauso kritisch wie Margit Cenki sieht Niels Boeing von der Initiative "St. Pauli Selbermachen" die Welterbe-Initiative:
    "Dann wird doch wahrscheinlich das Gleiche passieren wie an allen Orten, an denen es auch ein materielles Weltkulturerbe gibt. Sagen wir mal: Altstadt Dubrovnik, die gar nicht mehr atmen können vor lauter Tourismus. Das heißt, der Schuss könnte sogar tierisch nach hinten losgehen, dass es eigentlich noch wüster wird auf St. Pauli."
    Wo sich Anzug- und Jogginghosenträger hineinverirren
    Das alte, ziemlich raue, St. Pauli ist noch im Elbschlosskeller erlebbar. Die Kneipe existiert seit 1952, ihre Gäste hat die St. Paulianerin und Fotografin CP Krenkler porträtiert. Vorm Elbschlosskeller zeigt sie die Fotos. Zum Beispiel das Bild von Mausi. Ein stämmiger, grell geschminkter Kerl im glitzernden Paillettenkleid.
    "Und Mausi, das ist wirklich eine total rührende Geschichte, ist total dicke mit Tessy. Das ist der bürgernahe Polizist. Und Mausi geht dann, wenn sie ein neues Kleid hat, zu Tessy auf die Davidwache und zeigt ihm ihr schickes, neues Kleid. Das finde ich total süß."
    Die junge Fotografin schaut auf, begrüßt Rita. Stammkundin aus dem Elbschlosskeller, Bierdose in der Hand.
    "Hey, hallo!"
    "Hey! St. Pauli! Alles gut, alles gut."
    "Sie habe ich auch fotografiert im Elbschlosskeller."
    "Ach was, ach was. Ich bin auch auf Facebook. Ich tanze, wie eine Göttin! Hey, St. Pauli!"
    Die beiden Frauen halten noch einen Plausch, dann nimmt Rita die drei Stufen runter in den Elbschlosskeller. Auch so ein Ort, der St. Pauli ausmacht, wo sich abends auch Anzug- und Jogginghosenträger hineinverirren, in dem Rita tanzt und Mausi ihr neues Kleid ausführt. Die Frage bleibt, ob ein UNESCO-Welterbetitel genau dieses alte St. Pauli bewahren kann oder es im Dienste einer werbewirksamen Aufhübschung dauerhaft zerstört.