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Eichel

Münchenberg: Herr Eichel, hinter der rot-grünen Koalition liegt ja eine turbulente Woche. Die Rentenreformpläne der Koalition wurden ja von unabhängigen Experten - ich sag's mal zugespitzt - 'in der Luft zerrissen'. Jetzt musste noch einmal nachgebessert werden: Der sogenannte 'Ausgleichsfaktor', der 2011 kommen sollte, der wandert in den Papierkorb. Wie würden Sie denn derzeit die Stimmung in der Koalition beschreiben?

Jörg Münchenberg |
    Eichel: Die Stimmung in der Koalition ist gut. Natürlich ist das ein schwieriges Thema - nach der Haushaltskonsolidierung und der Steuerreform, und politisch möglicherweise sogar davor das schwierigste Thema - Rentenreform -. Dahinter steht eine Gesellschaft, die immer älter wird. Wir alle leben länger, und gleichzeitig haben wir weniger Kinder. Das ist kein Thema, mit dem man die Menschen fröhlich macht - und deswegen mit der ganzen Rentenreform nicht. Aber es ist das erste Mal ein zukunftsbezogenes Konzept - abseits einzelner Regelungen. Und zwar auf der einen Seite die Stabilisierung der umlagefinanzierten Rente und der Bundeshaushalt, und die Ökosteuer leistet dazu ja sehr viel, und auf der anderen Seite Aufbau einer privaten Zusatzvorsorge, die erheblich - und zwar für die Familien mit kleinen Einkommen - aus Steuermitteln subventioniert wird. Das ist ein zukunftsbezogenes Konzept.

    Münchenberg: Bleiben wir noch mal ganz kurz bei der Stimmung. Es heißt ja jetzt wieder bei manchen Kommentatoren, 'die rot-grüne Koalition kann das nicht, es muss ständig nachgebessert werden'. War bei Ihnen da auch so ein gewisses Dejà-vu-Gefühl da, dass man gesagt hat: 'So was kennen wir doch aus dem Anfang der Regierungszeit'?

    Eichel: Das kann ich so nicht sagen. Wir haben ja bewiesen, dass wir es können: Die Haushaltskonsolidierung ist so ein Fall, die Steuerreform ist so ein Fall, Staatsangehörigkeitsrecht ist so ein Fall. Die Bahnreform wird so ein Fall werden - da haben wir ja eine ganz schlimme Sache von der alten Regierung übernommen, wie wir überhaupt viele Dinge korrigieren müssen aus früherer Zeit. Nein, natürlich ist das ein schwieriges Thema, aber auch das wird vernünftig geregelt.

    Münchenberg: Nun war die Rentenreform ja jetzt drei Tage lang in der Anhörung diese Woche. Die Experten haben sich dazu geäußert. Die Kritik, die da kam, die war ja unter dem Strich nicht neu. Jetzt stellt sich ja die Frage: War diese Reform insgesamt schlecht vorbereitet? Hätte man nicht einfach vielen Kritikern schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln nehmen können?

    Eichel: Das kann ich im einzelnen so nicht beurteilen. Den Teil, den das Finanzministerium dazu zuzuliefern hatte, uns aber gedanklich ebenfalls von Walter Riester vorbereitet war, nämlich eine private Vorsorge - kapitalgedeckt - zusätzlich zur umlagefinanzierten Rente, ist ja vom Grundsatz sehr positiv aufgenommen worden. Auch da muss man über Details sicherlich noch reden, denn das ist ein völlig neues Feld. Und da gibt's übrigens auch sehr viele Interessenten; da muss man immer aufpassen - bei jeder Kritik, die kommt -, wieviel an Interessenlagen dahinter steckt. Und in dem Fall ist das auch offenkundig.

    Münchenberg: Wird die Koalition ihr Ziel erreichen? Man will ja unter 40 Prozent gehen bei den Lohnnebenkosten. Ist dieses Ziel mittelfristig erreichbar?

    Eichel: Jedenfalls sind wir die erste Regierung, die überhaupt die Lohnnebenkosten nicht nur angehalten, sondern schon gesenkt hat. Wir haben ja mit der Ökosteuer 17 Milliarden Mark jetzt, und die sind vollständig umgesetzt worden in die Rentenversicherung und bedeuten dort eine Absenkung des Rentenbeitragsniveaus von 20,3 auf 19,3 Punkte. Ab dem 1. Januar nächsten Jahres, wenn die nächste Stufe der Ökosteuerreform kommt - mit 5 Milliarden Mark -, gehen die Beiträge zur Rentenversicherung nochmal runter auf 19,1 Prozent. Und das ist eine langfristig sichere Entwicklung. Deswegen sind wir da auf gutem Wege. Was wir jetzt machen, ist eine massive Senkung der Steuern - zum 1. Januar 45 Milliarden Mark Nettoentlastung, 1,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt - sogar noch etwas mehr. Und wir werden auch bei den Lohnnebenkosten in der Perspektive weiter nach unten gehen - ja.

    Münchenberg: Sie haben selber mal den Vorschlag gemacht, man müsse darüber nachdenken, ob die Ökosteuer nicht für andere Ausgaben verwendet wird, als zur Senkung der Lohnnebenkosten. 2003 war - glaube ich - anterminiert, dass man dann vielleicht nachdenken könnte, ob man die Ökosteuer nicht für andere Sachen verwendet. Bleiben Sie bei diesem Vorschlag, oder glauben Sie, man muss mittelfristig doch dabei bleiben: Die Ökosteuer wird immer zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet?

    Eichel: Man darf jetzt keine Unklarheiten aufkommen lassen. Bis 2003 - die Stufen der Ökosteuerreform bis dahin sind eingesetzt bei der Rentenreform und werden für eine weitere Senkung und Stabilisierung des Beitragssatzes eingesetzt. Das heißt, auch jeder, der gegen diese Stufen ist, muss ehrlicherweise dann sagen: 'Ich bin für höhere Rentenversicherungsbeiträge' - mit all den negativen Folgen, die das hat. Im übrigen hat ja auch die Vorgängerregierung nicht die Mineralölsteuer dafür genommen, sondern die Mehrwertsteuer einen Punkt erhöht und damit das allgemeine Preisniveau nach oben gesetzt. Unseres Erachtens ist das der schlechtere Weg. Was nach 2003 passiert - jedenfalls all das, was wir bis dahin als Ökosteuerstufen haben -, das muss auch nachhaltig Jahr für Jahr in die Rente überwiesen werden. Wir werden es auch aus dem Bundeshaushalt heraus ohne weitere Erhöhungen bei der Ökosteuer dynamisieren müssen. Und wie es ansonsten weitergeht, ob wir auch mäßig weiter die Energiesteuern heraufsetzen, das wird im Jahr 2002 entschieden, vor der Bundestagswahl. Das ist jetzt kein Thema, denn wir haben ja eine Gesetzgebung, die bis in die nächste Wahlperiode - bis 2003 - reicht.

    Münchenberg: Haben Sie denn nicht im Rückblick nicht trotzdem ab und zu mal es bereut, die Ökosteuer eingeführt zu haben - im Hinblick auf die Sorge: Wie entwickelt sich der Ölpreis, gibt es neue Massenproteste? Oder verteilt der Kanzler vielleicht neue Beruhigungspillen?

    Eichel: Nein, ich glaube, dass auch immer mehr die Menschen, auch wenn das nicht bequem ist, die Notwendigkeit schon einsehen - im übrigen sagen uns das ja nun auch international anerkannte Fachleute; die Forschungsinstitute haben alle 6 gesagt in ihrem Herbstgutachten: Wir müssen das so weitermachen'; der frühere Bundesumweltminister Töpfer, der jetzt an der Spitze der Umweltorganisation der Vereinten Nationen steht, sagt: 'Dies ist ein richtiges Konzept' - das hat er als Umweltminister vertreten, das vertritt er auch jetzt. Wir sind da auf einem sicherlich nicht leichten Weg. Da muss man die Menschen überzeugen; man muss sie auch mitnehmen. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Und Politik kann nicht immer nur bequeme Wahrheiten verkünden; sie muss, wenn sie zukunftsbezogen arbeiten will, gelegentlich auch unbequeme Wahrheiten verkünden. Und dass wir unsere Umwelt zu schützen haben, dass wir mit weniger Energieverbrauch auskommen müssen, gehört zu den ebenso notwendigen wie unbequemen Wahrheiten.

    Münchenberg: Aber ist denn die Entfernungspauschale - jetzt rein sachlich betrachtet, sie steht ja im Widerspruch zur Ökosteuer, . . .

    Eichel: . . . nein, das steht sie nicht . . .

    Münchenberg: . . . denn es werden ja Fernpendler bevorzugt . . .

    Eichel: Nein, sie steht nicht im Widerspruch zur Ökosteuer, sondern - zum ersten: Die Umwandlung des Kilometergeldes in die Entfernungspauschale ist ja eine ausgesprochen ökologische Veranstaltung, denn das heißt, nicht mehr nur der Autofahrer, sondern alle - ganz unabhängig davon, welches Verkehrsmittel sie wählen, werden gleichermaßen entschädigt, bekommen über die Steuern etwas zurück von ihren Fahrkosten. Bei den Fernpendlern geht es doch darum, dass eine Menge Menschen in der Fläche nicht so die öffentlichen Verkehrsmittel überhaupt erreichen können, dass das auf dem Weg zur Arbeit eine zumutbare Alternative ist - mindestens deswegen, weil es wesentlich mehr Zeit braucht. Und deswegen ist da etwas drauf zu tun. Da gab es Vorstellungen, die noch weiter reichten. Das haben wir nicht gemacht. Ich denke, das ist ein vernünftiger Weg. Und dazu kommt ja im übrigen die Heizkostenpauschale, die wir zahlen, die denen hilft, die kleine Einkommen haben und in diesem Jahr eine hohe Steigerung ihrer Heizkostenrechnung haben werden. Das sind - glaube ich - vernünftige Ausgleichsmaßnahmen, die nichts an der Besteuerung der Erdölprodukte ändern. Und das darf auch nicht sein.

    Münchenberg: Die Entfernungspauschale ist jetzt am 21. Dezember im Bundesrat. Rechnen Sie da noch mit Überraschungen?

    Eichel: Nein. Es ist klar, dass es dort eine Mehrheit geben wird. Inzwischen hat ja auch Baden-Württemberg erklärt, dass es zustimmen wird. Ich kann das nur allen anderen Landesregierungen auch empfehlen. Sie werden nämlich ihren Wählerinnen und Wählern erklären müssen, wieso sie den ökologisch richtigen Weg zur Entfernungspauschale - der in allen Parteiprogrammen steht, in allen - nicht gehen wollen, der übrigens auch im Steuerreformprogramm der CDU/CSU drin stand, mit niedrigeren Sätzen. Und sie werden auch ihren Wählern erklären müssen, wieso sie den Fernpendlern, die ohnehin es ja nicht ganz einfach haben, den täglich langen Weg zur Arbeit zurücklegen zu müssen - einen langen Weg und viel Zeit -, die Pauschale verweigern. Also, es wird eine klare Mehrheit im Bundesrat geben.

    Münchenberg: Jetzt sind wir schon ganz weit fortgeschritten, bei der Entfernungspauschale angelangt. Ich wollte vorhin noch mal was zur Rente fragen. Ich habe vorhin gesagt, diese Woche war die Anhörung über die Rentenreform. Der Arbeitsminister bekam da reichlich Schelte zu hören, aber nicht nur er. Auch der Finanzminister wurde kritisiert - in dem Fall also Ihr Haus - für die Ausgestaltung der privaten Altersvorsorge. Die Experten sagten teilweise, es ist zu kompliziert. Und manche hatten gar den Eindruck, man würde versuchen, durch möglichst undurchschaubare Regeln die staatlichen Zuschüsse auf möglichst kleiner Flamme zu halten. Da müssten doch eigentlich, wenn solche Kritik kommt, bei Ihnen die Alarmglocken schrillen, weil - da würde ja das Vertrauen in die Rente doch sehr stark gefährdet.

    Eichel: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Es ist ja ein zukunftsbezogenes Konzept. Aber hier nun stehen in extremer Weise kapitalkräftige Interessen dahinter, denn um diesen Teil konkurrieren die Versicherungen, die Banken - und möglicherweise noch eine Reihe anderer Gruppen. Und wir schneiden sie nicht nach den Interessen der Versicherungen und der Banken, sondern es muss nach den Interessen der künftigen Rentner zugeschnitten sein. Und einen Kritikpunkt akzeptiere ich überhaupt nicht, der von der Seite nämlich zum Teil vorgebracht wird: Wir brauchen Sicherheit für das Produkt. Und das führt zu ein paar Regeln, die dann auch strikt eingehalten werden müssen. Und natürlich versuchen auch die einen oder anderen, ein relativ unsicheres Produkt, das eine höhere Rendite verspricht, aber nicht ohne weiteres dann auch einhält, ebenfalls zu plazieren. Und solche Spiele machen wir nicht mit.

    Münchenberg: Das heißt, Sie werden aber auch nicht nachbessern?

    Eichel: Was heißt 'nachbessern'? Diesen Begriff verstehe ich ohnehin nicht, denn Sie machen eine Anhörung, um von Experten und von Interessenten ihre Meinung zu hören. Und wenn es dort bessere Vorschläge gibt, dann wird man die selbstverständlich einbauen. Das halte ich für einen Akt ganz normaler demokratischer Diskussionskultur.

    Münchenberg: Haben Sie da einen gehört, wo Sie sagen: Das ist eine gute Idee, da werden wir dran arbeiten?

    Eichel: Wir sind im Moment dran, ich will das noch gar nicht im einzelnen bewerten. Wir haben ja den Begriff des 'Pensionsfonds' eingeführt, und das scheint eine sehr attraktive Sache zu werden, die auch interessant ist, weil dort die privat Vorsorge mit der betrieblichen Rente zusammengeführt werden kann. Und das wird sich in der nächsten Zeit deutlich zeigen, darüber wird noch intern diskutiert. Und dazu wird's im Januar Vorschläge zur weiteren Ausgestaltung geben. In Wirklichkeit sind wir an dieser Stelle auf Neuland, und das heißt, dass wir auch in der nächsten Zeit an diesem Punkte noch weiter werden arbeiten müssen. Das ist ja nicht die Veränderung eines bestehenden Systems, sondern ein völlig neues.

    Münchenberg: Nun gibt es ja auch die Forderung - beispielsweise von der Union, aber eben auch von der Wohnungsbauwirtschaft, also einer Lobbygruppe -, dass man auch Immobilien in die staatlich geförderte Altersversorgung mit reinnehmen muss. Sehen Sie da noch Möglichkeiten, dass da noch Verhandlungsbedarf besteht?

    Eichel: Das glaube ich nicht. Die Bausparkassen übrigens sind strikte dagegen; das ist immer nur ein Teil, der hier gesehen wird. Da wir ja gleichzeitig, und das wollte auch die Union, für die private zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge zur nachgelagerten Besteuerung übergehen - das heißt, es wird vorneweg aus unversteuertem Einkommen diese Vorsorge aufgebaut, und es wird versteuert, wenn es Einkommen, wenn es Rente wird -, käme man zu der unsinnigen Situation, dass man dann für die ersparte Miete künftig im Alter Steuern zahlen müsste. Das ist den Menschen schwer verständlich zu machen. Das haben wir auch gerade abgeschafft, und es ist ein schwerwiegender Einwand gegen solche Versuche.

    Münchenberg: Nun gibt es aber auch Kritiker, die sagen, bei der staatlich geförderten Altersvorsorge ist zu viel Dirigismus bei der Hand - das heißt, es wird den Leuten zu sehr vorgeschrieben, was sie für Produkte wählen dürfen, damit sie gefördert werden. Was sagen Sie diesen Kritikern?

    Eichel: Nein, wir haben das ja jetzt sehr allgemein formuliert. Den Kritikern sage ich: Nicht Euer Geschäft ist für uns die Grundlage, sondern die Sicherheit der Rente. Denn wozu müssen wir denn eine zusätzlich private Vorsorge aufbauen? - Weil die umlagefinanzierte Rente künftig nicht mehr so viel leisten kann. Das heißt, hier geht es um die Lebensstandardsicherung im Alter. Und das heißt auch: Es muss bis ans Lebensende eine sichere Rente da sein. Und wenn uns dann vorgeschlagen wird: 'Lasst das doch zum Beispiel wie bei der Kapitallebensversicherung - gleich am Anfang auszahlen, das kann doch jeder frei wählen', dann sage ich: 'Schön, oberhalb der Lebensstandardsicherung habe ich dagegen überhaupt nichts'. Aber hier geht es um die Lebensstandardsicherung. Und wenn das dann nicht funktioniert, dann sind aber die alten Menschen die Betrogenen. Und es käme niemand auf die Idee, so etwas vorzuschlagen für die umlagefinanzierte Rente. Und es ist deswegen auch falsch, es für die private Zusatzversorgung vorzuschlagen. Aber oberhalb dessen ist jede Wahlfreiheit ganz selbstverständlich.

    Münchenberg: Nun sagten Sie vorhin selber, die Diskussion ist noch im Flusse; man überlegt sich noch die verschiedenen Möglichkeiten. Es gibt zum Beispiel jetzt auch Vorschläge, dass man sagt, die betriebliche Altersvorsorge soll stark gefördert werden. Das ist ja auch ein Wunsch besonders der Gewerkschaften. Wird es denn bei dem angepeilten Volumen von 19 Milliarden Mark pro Jahr bleiben?

    Eichel: Ja, sicher. Alles andere wäre unbezahlbar. Übrigens war selbst die Opposition angenehm überrascht von dieser Summe. Mehr ist in der Tat nicht zu machen, mehr kann realistischerweise kein Mensch finanzieren.

    Münchenberg: Auch was die Familienförderung angeht . . .

    Eichel: . . . die ist ja außerordentlich hoch ausgebaut. Für kleine Einkommen - Familie mit 2-3 Kindern - erreichen Sie ja ein Fördervolumen von 90 Prozent dessen, was angespart werden muss. Und das heißt, es ist weitaus mehr - in sehr vielen Fällen -, als der Arbeitgeberbeitrag sonst wäre. Der wäre nämlich nur 50 Prozent. Das heißt, der Steuerzahler tritt hier ein, wie er übrigens ja auch schon für die umlagefinanzierte Rente eintritt, denn wir haben im Bundeshaushalt einen Zuschuss in diesem Jahr von 127 Milliarden zur Rentenversicherung, im nächsten Jahr bereits von 137 Milliarden Mark. Und damit sehen Sie: Mehr kann man auch aus den Kassen der Steuerzahler - aus dem Bundeshaushalt - nicht leisten.

    Münchenberg: Nun wurde ja die staatliche Altersvorsorge verschoben auf 2002 - man hat gesagt, mit Rücksicht auch auf die finanzielle Situation der Länder. Dort, würde ich sagen, grumelt es ja schon seit einiger Zeit. Man sagte: 'Der Finanzminister hat sich profiliert mit der Steuerreform, mit dem Sparpaket - teilweise auf unsere Kosten'. Das sagten auch teilweise die SPD-geführten Länder. Auch von den UMTS-Milliarden gab es ja nichts ab für die Länder. Haben Sie - im Rückblick - die Länder manchmal zu wenig gepflegt oder zu stark beansprucht?

    Eichel: Nein. Aber die Länderhaushalte sind durch die Steuerreform natürlich sehr strapaziert. Darauf habe ich immer hingewiesen; ich habe gesagt, man kann nicht noch immer mehr versprechen - wie das die Opposition gemacht hat. Wir haben übrigens auch nicht die private Altersvorsorge verschoben. Sie wird voll aufgebaut sein in 2008, wie das immer vorgesehen war. Was sich geändert hat alleine ist, dass wir es nicht in acht Schritten zu 0,5 Prozent des Einkommens machen, sondern in vier Schritten mit einem Prozent. Und das bedeutet: Wenn Sie - wie immer vorgesehen - 2008 das Ziel erreichen wollen, dann fangen Sie allerdings nicht 2001 mit 0,5, sondern 2002 mit einem Prozent an. Und das hat insofern auch etwas mit den Länderhaushalten zu tun, weil ein Vorziehen auf 2001 und fertig sein in 2007 in der Periode dann 9 Milliarden Mark Mehrausgaben bedeutet hätte, die keiner hat. Im übrigen: Die Länder müssen im Bundesrat - und das war ja auch der Sinn des Länderabstimmungsverhaltens am 14. Juli, als sie der Steuerreform zugestimmt haben - natürlich das entscheiden, was ihre Haushalte verkraften können. Und dasselbe gilt für den Bundeshaushalt auch. Man muss darauf hinweisen: Der Bund hat die höchste Verschuldung von allen öffentlichen Haushalten in Deutschland, und die Bundesinteressen zu wahren liegt auch im Interesse der Länder. Denn wozu ist der Bund da? Um die Länder zu unterstützen - zum Beispiel, um den Aufbau Ost auch in Zukunft finanzieren zu können. Das kann er aber nur, wenn er nicht überschuldet ist.

    Münchenberg: Nun haben ja die SPD-geführten Länder ja um die Entfernungspauschale gepokert. Glauben Sie, so in die Zukunft gerichtet, dass das Regieren - aus Bundessicht - nicht ein bisschen schwieriger werden wird, weil vielleicht doch so ein bisschen die Stimmung sich gewandelt hat - auch bei den SPD-geführten Ländern, dass man sagt: 'Wir können einfach nicht mehr bezahlen'?

    Eichel: Nein, das kann ich ja verstehen. Und das muss man dann auch jedem Bundespolitiker, und das muss man insbesondere auch der Opposition sagen, die ständig Forderungen stellt, die unbezahlbar sind. Und insofern haben mich die Länderfinanzminister auch ganz an ihrer Seite. Sie - wie ich - haben das Interesse, eine solide Finanzwirtschaft zu betreiben, und nicht neue Schulden zu machen. Und deswegen wird es zwar immer mal wieder ein Stückchen Streit geben, aber die Grundlage ist völlig gemeinsam. Und so haben wir das im Finanzplanungsrat auch besprochen: Wir wollen raus aus der Schuldenfalle. Die Länder wollen das seit längerem; die haben zum Teil früher - nein, nicht zum Teil, alle - mit Konsolidierungsschritten angefangen. Der Bund hing dahinter zurück. Das musste die neue Bundesregierung einleiten. Es wäre besser gewesen, es wäre schon viel früher passiert.

    Münchenberg: Bleiben wir noch mal kurz bei dem Thema 'Stimmungen'. Bis zur Sommerpause war das Verhältnis zwischen Koalition und er Wirtschaft ja relativ gut - sage ich mal. Auch der Finanzminister wurde besonders gelobt für seine Steuerreform. Mittlerweile hat sich das Stimmungsbild etwas gewandelt. Da ist plötzlich die Rede von 'Reformstau' beispielsweise, da ist die Rede von 'falschen Reformen beim Arbeitsrecht'. Haben Sie auch den Eindruck, die Wirtschaft wendet sich jetzt gerade etwas wieder ab von der rot-grünen Koalition?

    Eichel: Ach, ich würde das überhaupt nicht in solchen Kategorien - 'Zuwendung' oder 'Abwendung' von der rot-grünen Koalition - betrachten, sondern von Interessenlagen. Und wir haben mit der Steuerreform etwas gemacht, was der Wirtschaft und den Bürgern gemeinsam nützt. Und man sieht ja die Erfolge auch. Wir haben in zwei Jahren 900.000 neue Arbeitsplätze. Das sind so viele, wie in den ersten 10 Jahren der deutschen Einheit unter der Regierung Kohl verlorengegangen sind. Und jetzt gibt es natürlich auch Gesetze, die nicht allen in der Wirtschaft gefallen - Sie haben das angesprochen -: Mítbestimmung; Rechtsanspruch auf Teilzeit, wie in den Niederlanden, aber auf einer Basis, die auch für die Betriebe verträglich ist. Aber was wir gemeinsam wollen, ist eine blühende Wirtschaft, die viele zusätzliche Arbeitsplätze schafft - als Grundlage für soziale Gerechtigkeit. Und da gehen wir gut voran.

    Münchenberg: Da gibt es ja auch einen Punkt, über den die Wirtschaft sich sehr ärgert. Das sind die verlängerten Abschreibungsfristen, mit deren Hilfe die Steuerreform zum Teil gegenfinanziert wird. Aus dem Finanzministerium heißt es, Sie wollen 3,5 Milliarden Mark daraus schöpfen; die Wirtschaft rechnet mit Mehrkosten von 7 Milliarden Mark. Nehmen Sie diese Vorwürfe ernst?

    Eichel: Wir haben das natürlich überprüft, und wir nehmen alle Anhörungen ernst. Aber es ist falsch. Die 3,5 Milliarden standen immer im Finanztableau, die werden auch nicht überschritten. Ich finde zum Teil es jetzt als unfair, wie sich die Debatte wendet - nach dem Motto: 'Die Steuerreform haben wir im Sack, und jetzt versuchen wir, diesen Teil wieder wegzuschießen'. Es war immer Bestandteil des gesamten Entlastungskonzeptes, und ohne das wäre die Steuerreform um diese 3,5 Milliarden niedriger ausgefallen. Im übrigen muss man noch auf eines hinweisen: Es geht in Wahrheit gar nicht um 3,5 Milliarden, sondern Abschreibungen haben für die Betriebe nur einen Zinseffekt. Man muss also Steuer früher oder später zahlen. Aber nichts anderes passiert dort. Es ist ein Barwerteffekt von 500 Millionen Mark - bei einer Steuerreform, die die Wirtschaft nachhaltig um 30 Milliarden entlastet. Und deswegen ist da sehr viel Lobbyismus jetzt im Spiel. Ich verlange von der Wirtschaft schon - so wie sie von mir erwarten kann, dass ich mein Wort halte -, dass sie ihr Wort hält, dass zur Steuerreform auch die Überarbeitung der AfA-Tabellen gehört, und dass die mit 3,5 Milliarden im Entstehungsjahr im Konzept drin war und auch drin bleibt.

    Münchenberg: Aber selbst Ihr kleiner Koalitionspartner sagt ja, 'wir müssen auf die Belange der Wirtschaft mehr Rücksicht nehmen in dieser Frage'.

    Eichel: Der kleine Koalitionspartner hat das alles mit beschlossen. Ich kann nichts mit Äußerungen anfangen, die am einen Tage so und am nächsten Tag anders klingen.

    Münchenberg: Herr Eichel, trotz aller kritischen Stimmen auch aus der Wirtschaft sind Sie ein sehr populärer Politiker. Sie rangieren auf den Beliebtheitsskalen ja ganz oben - und das trotz, oder vielleicht auch gerade wegen Ihres Sparkurses. Hat Sie das selber überrascht?

    Eichel: Ja, schon. Ich hoffe, dass dahintersteckt - und dass wir das auch so machen -, dass wir schlicht mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernünftig seriös umgehen, dass dahintersteckt, dass die Menschen sagen: 'Es geht ja wirklich nicht so weiter - immer höhere Staatsverschuldung. Aus dieser Falle müssen wir raus'' - und das tun wir auch. Und wenn eine solche Politik populär ist, dann ist das nur gut, denn das heißt, dass man von so einem Pfad auch nicht wieder runterkommt. Und das dürfen wir auch nicht.

    Münchenberg: Aber Sie haben sich ja sehr ehrgeizige Ziele gesteckt. Bis 2006 soll die Neuverschuldung auf Null reduziert werden. Nun gibt es ja Haushaltsrisiken - Sie haben es vorhin ganz am Anfang mal gesagt: Die Bahn, die mal immer wieder mit Milliardenlöchern Schlagzeilen macht, dann die Milliardenkosten für BSE, das EXPO-Defizit nicht zu vergessen. Die UMTS-Einnahmen, die Sie ja nicht mehr haben werden in den nächsten Haushaltsjahren . . .

    Eichel: . . . ja, die haben wir ja auch nie in dem Haushalt eingeplant . . .

    Münchenberg: . . . ja, aber trotzdem ist dieses Ziel, 2006 ganz auf Null zu kommen bei der Neuverschuldung - ist das erreichbar?

    Eichel: Es ist dann erreichbar, wenn unsere anderen Annahmen realistisch sind: Wirtschaftswachstum 2 bis 2 ½ Prozent, und wir unseren Konsolidierungskurs halten. Und das tun wir nun im zweiten Jahr. Das müssen wir natürlich all die Jahre tun. Wir sind bisher mit unseren Annahmen auf der sicheren Seite, und ich lege auch großen Wert darauf, dass wir nichts schönrechnen und uns auch nichts schöner malen, als es ist - sondern Realisten bleiben. Ich lasse mich als Finanzminister ungern unangenehm überraschen, und deswegen sind meine Ansätze auch vorsichtig kalkuliert. Also, das ist erreichbar, aber es ist ein hartes Stück Arbeit. Das ist gewiss.