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Eichel

Münchenberg: Herr Minister, die Hiobsbotschaften für die Finanzpolitik reißen in diesen Tagen nicht ab: 126 Milliarden Steuerausfälle bis 2006, schrumpfendes Wirtschaftswachstum im I. Quartal dieses Jahres und jetzt auch noch die Meldung, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr mit knapp 40 Milliarden Euro wohl doppelt so hoch ausfallen wird wie ursprünglich geplant. Haben Sie sich eigentlich schon mit der Tatsache abgefunden, dass Sie den Rest Ihrer Amtszeit mehr oder weniger nur als Mangelverwalter bestehen müssen?

Jörg Münchenberg |
    Eichel: Nein, aber es war richtig, '99 den Konsolidierungskurs einzuleiten, sonst hätten wir jetzt alleine in diesem Jahr noch mal 25 Milliarden Euro mehr Schulden, als wir möglicherweise machen müssen. Wir hätten in den letzten vier Jahren 75 Milliarden Euro mehr Schulden gemacht. Aber eines ist klar: Drei Jahre praktisch wirtschaftliche Stagnation gegen alle Prognosen, die es gegeben hat - da war ja die Wachstumserwartung so um die zweieinhalb Prozent jeweils - , bringen uns eine völlig neue Situation. Sechs Prozent ausgefallenes Wachstum, das fehlt in der Basis und für die ganzen künftigen Jahre. Das heißt, Sie müssen die ganze Finanzplanung auf eine ganz neue Basis stellen, und das ist dramatisch, gar keine Frage. Es zeigt nur noch schonungsloser, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Gleichzeitig muss man jetzt drastische Anpassung machen, aber man darf eine ohnehin ganz schwache konjunkturelle Entwicklung - im Moment ja sogar im I. Quartal ein Minus davor - nicht in die Rezession treiben. Das ist völlig klar. Und da zwischendurch zu steuern, die notwendigen, tiefgreifenden Reformen zu machen und gleichzeitig das konjunkturell noch Vertretbare - das wird sehr schwierig.

    Münchenberg: Sie sagten selber, wir leben über unsere Verhältnisse. Ist das das Motto für die nächsten zehn Jahre in der Finanzpolitik?

    Eichel: Nein, das ist das Motto der vergangenen Jahrzehnte, und das müssen wir beenden, denn da hat sich ja etwas aufgebaut, was wir übrigens in den letzten Jahren - die Dynamik des immer schnelleren Schuldenanstiegs - diese Dynamik haben wir ja 1999/2000/2001 gebrochen. Erst 2002 hat den Bundeshaushalt das ohnehin schon zu schwache Wachstum 2001 und 2002 erreicht. Wir müssen nachdrücklicher denn je klarmachen, dass das so nicht weitergeht, weil vor uns ja der enorme demographische Wandel liegt: Eine viel älter werdende Gesellschaft bringt ganz neue Herausforderungen, und wir müssen vorher das Schuldenproblem gelöst haben, ehe uns die Probleme der alternden Gesellschaft mit voller Wucht treffen.

    Münchenberg: Wir werden da später noch einmal drauf eingehen. Zunächst einmal zurück zur Neuverschuldung. Die soll bei knapp 40 Milliarden Euro liegen in diesem Jahr. Könnte diese Zahl aber nicht noch deutlich höher ausfallen, wenn das Wachstum nicht in Schwung kommt?

    Eichel: Also, ich kann vorderhand auch diese Zahl so nicht bestätigen, weil sich im Laufe des Jahres sehr viel ändert. Was wir genau wissen, ist - zum gegenwärtigen Zeitpunkt - mindestens 10 Milliarden Euro Ausgaben für den Arbeitsmarkt über das hinaus, was der Haushalt bisher vorgesehen hat, zweitens Steuerausfälle in der Größenordnung - das hat die Steuerschätzung gezeigt - für unseren Haushalt von nochmals zweieinhalb Milliarden. Dann ist unklar oder wird eben durch den Zeitablauf immer unwahrscheinlicher, dass wir die Brücke zur Steuerehrlichkeit in diesem Jahr bauen können. Dann fehlen auch etwas über zwei Milliarden im Bundeshaushalt. Das macht zusammen zunächst mal 15 Milliarden aus, die auf die 19, die geplant waren, oben drauf kommen. Ich kann noch nicht genau das Jahr - und niemand kann es - übersehen, aber . . .

    Münchenberg: . . . aber hört man da nicht auch Kritik am Kanzler heraus, denn der hat diese Zahl ja indirekt in die Welt gesetzt? Er hat gesagt, 38 Milliarden wird die Neuverschuldung in diesem Jahr sein.

    Eichel: Rund das Doppelte hat er gesagt, das ist auch in Ordnung. Also, die Zahlen, die ich eben gesagt habe, führen ja ungefähr da hin. Und das kann kein Mensch ganz genau wissen. Deswegen hat er gesagt, es wird rund das Doppelte sein. Das ist eine zutreffende Beschreibung dessen, was man gegenwärtig so ablesen kann . . .

    Münchenberg: . . . Sie hätten aber gerne gewartet mit der Zahl?

    Eichel: Nein, ich habe ja das, was ich hier eben genannt habe, auch im Haushaltsausschuss genannt und in anderen Zusammenhängen. Ich habe nur aufgebaut, was wir ganz konkret jetzt wissen, und das führt ungefähr zu dem, was der Kanzler gesagt hat.

    Münchenberg: Haben denn Ihrer Einschätzung nach Ihre Kabinettskollegen auch den Ernst der Lage begriffen? Es heißt ja immer wieder, Sie würden auch den Fraktionen, aber eben auch im Kabinett mit Ihren ständigen Sparappellen denen dann doch auf die Nerven fallen.

    Eichel: Das gewiss. Das ist die Funktion des Finanzministers, das ist unvermeidlich. Und dass dann irgendjemand mal auch darauf negativ reagiert, damit müssen Sie immer rechnen, sonst haben Sie Ihre Rolle ja nicht richtig gespielt. Ich muss ja dafür sorgen, dass es wirklich jeder begreift, was da los ist. Nein, aber das Kabinett ist sehr diszipliniert, sonst hätten wir ja den ganzen Konsolidierungskurs seit 1999 nicht durchgehalten.

    Münchenberg: Dennoch mussten Sie jetzt eine empfindliche Niederlage hinnehmen mit der Erhöhung der Tabaksteuer. Jetzt ist der Kanzler vorgeprescht mit der Neuverschuldung. Man wird manchmal den Eindruck nicht los, dass Ihr Wort vielleicht doch weniger Gewicht hat im Kabinett als in den Vorjahren.

    Eichel: Das wird man ganz einfach beim Haushalt 2004 sehen. Ich sehe das nicht so, sondern ich bin da mit dem Kanzler in engster Abstimmung. Es geht übrigens auch gar nicht anders. Man kann als Finanzminister nur erfolgreich sein, wenn der Kanzler einen stützt, und das tut der Bundeskanzler. Und das ist für mich die Voraussetzung für meine Arbeit, sonst kann sie in der Tat nicht erfolgreich sein. Und das ganze Kabinett und die Koalition muss den Weg mitgehen - und sehr viele andere auch noch. Da wird sehr viel ‹berzeugungsarbeit zu leisten sein.

    Münchenberg: Bevor wir auf den Haushalt 2004 zu sprechen kommen, zunächst mal zu einem anderen wichtigen Reformprojekt, die Agenda 2010. Die soll zunächst einmal dem Arbeitsmarkt neuen Schwung geben und damit indirekt auch den Haushalt mit entlasten. Umgekehrt enthält das Reformpaket wohl aber auch Belastungen für den Haushalt. Ich nenne mal die Debatte 'Zusammenlegung Arbeitslosen-/Sozialhilfe'. Da ist Einsparpotential da, das soll aber den klammen Kommunen zugute kommen. Ist das denn in der gegenwärtigen Haushaltslage machbar?

    Eichel: Also, zunächst sind da noch eine Menge Abstimmungen zwischen dem Kollegen Clement und mir - zwischen unseren beiden Ministerien - erforderlich, ehe dort über Zahlen geredet werden kann. In der Perspektive, wenn alles so umgesetzt wird, wie Hartz sich das vorgestellt hat und dann in der Tat die neuen Personal-Service-Agenturen und die neuen Jobcenter funktionieren und alle Bedingungen richtig gesetzt sind, dann kann das funktionieren und wird das auch eine nachhaltige Entlastung der öffentlichen Finanzen sein. Aber die Frage ist: Wann? Und unter diesen konjunkturellen Bedingungen kann es ganz gut sein, dass das wesentlich länger dauert, als man denkt. Auch diese Belastungen müssen kalkuliert werden, und daraus ergibt sich dann auch, welcher Spielraum für Entlastungen für die Kommunen da ist. Ich will eine bessere Finanzausstattung der Kommunen und vor allem eine Verstetigung der Einnahmen. Aber ich muss auch darauf hinweisen: Für die Kommunalfinanzen sind nach unserer Finanzverfassung die Länder verantwortlich, und es kann nicht so sein, dass die sich die ganze Zeit bei diesem Thema wegducken und dann sagen: Bund, mach mal - obwohl der Bund gar nicht zuständig ist und uns möglicherweise dabei auch noch Steine in den Weg legen. Das geht nur im Ergebnis in der großen gemeinsamen Kraftanstrengung Bund, Länder und Gemeinden und betrifft dann auch nicht nur die Kommunalfinanzen.

    Münchenberg: Mit großer Spannung warten wir alle auf den Haushaltsentwurf 2004, weil - die Lage ist, wie wir jetzt erörtert haben, äußerst schwierig . . .

    Eichel: . . . das ist aber noch ein geschönter Ausdruck . . .

    Münchenberg: . . . gut, sie ist dramatisch. Es wird kolportiert, die Finanzlücke beträgt um die 15 Milliarden Euro. Diese Zahl . . .

    Eichel: . . . ja, 15 Milliarden plus/minus, ich will mich jetzt auf Einzelheiten noch nicht festlegen. Die Chefgespräche haben ja noch gar nicht begonnen, und Sie müssen bitte verstehen, dass ich jetzt nicht über die Medien einzelne Elemente diskutiere, die ich noch gar nicht mit den Kabinettskollegen diskutiert habe. So kann man ja keine Teamarbeit im Kabinett machen, mehr denn je ist Teamgeist unter uns erforderlich. Aber ja, 15 Milliarden plus/minus ist die Summe, um die es geht, damit wir nächstes Jahr einen verfassungsgemäßen Haushalt haben. Das ist das Ergebnis von drei Jahren Wachstumsflaute, das ist eben die neue Basis, auf der wir alles aufstellen müssen.

    Münchenberg: Nun haben Sie schon mal vorgemacht, wie so was gehen kann. 1999 haben Sie ein Sparpaket aufgelegt, damals war die Summe 30 Milliarden Mark. Das entspricht ungefähr dem, was jetzt auch da auf uns zukommt. Eine Wiederholung wird es nicht geben?

    Eichel: Nein, nicht in der Form, denn da ist vieles natürlich ausgereizt. Ich will mal ein Beispiel sagen, weil natürlich die Menschen im Lande zu Recht fragen: Spart denn nicht erst mal der Staat bei sich? Natürlich, das muss er ja auch . . .

    Münchenberg: . . . aber noch mal: Dass es zum Beispiel pauschale Kürzungen für die einzelnen Ressorts geben wird, so etwas ist nicht angedacht?

    Eichel: Ich will im Moment nicht über Einzelheiten reden. Wir werden sicherlich alle Instrumente nutzen müssen, einerseits im bestimmten Umfang und ganz generell den Rasenmäher, aber der Rasenmäher ist in solchen Fällen ganz gewiss nicht das Instrument, mit dem man die Haushaltsprobleme lösen kann, sondern man wird alle großen Blöcke angucken und auch gewichten müssen. Und auch in der Situation muss gelten - und eigentlich noch härter - , dass wir für das, was Zukunft ist, Geld haben müssen. Und daran sieht man schon, dass der Rasenmäher nicht gehen kann. Zukunft heißt Kinder, Zukunft heißt Kinderbetreuung, Zukunft heißt Bildung, Ausbildung, Forschung, Entwicklung, Innovation und Investition in die Verkehrsinfrastruktur. Aber bei den Investitionen wird man immer hingucken müssen, was wirklich Zukunft ist und was nicht, denn Beton und Asphalt für sich genommen sind noch nicht unbedingt Zukunft - und die riesige Kraftanstrengung Rente, sichere Rente, keine Altersarmut in einer alternden Gesellschaft, das sind die großen Aufgaben und dann auch Ausgabenblöcke.

    Münchenberg: Sie haben selber von einem Leistungsmoratorium gesprochen bei der Vorlage der Steuerschätzzahlen. Das betrifft insbesondere auch Subventionsabbau und Steuervergünstigungsabbau. Warten Sie hier auf die Vorschläge der beiden Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück, oder werden Sie selber mit eigenen Vorschlägen nach vorne gehen?

    Eichel: Zunächst einmal: Ich finde es ja gut, dass die beiden Ministerpräsidenten offenbar doch im Einverständnis aller Ministerpräsidenten die Aufgabe übernommen haben, sich an das Thema Subventionsabbau, und zwar sowohl bei den Finanzhilfen - also auf der Ausgabenseite -, als auch bei den Steuervergünstigungen heranzumachen. Ich unterstütze das auch nachdrücklich. Ich will aber auch sagen, habe das auch schon gesagt: Zehn Prozent in drei Jahren reicht nicht. Ich werde jetzt nicht einen ganzen Katalog von Vorschlägen wieder einbringen, die ja im Bundesrat zunächst gescheitert sind. Aber es ist ja schon sichtbar, dass der Bundesrat selbst begreift - auch die Opposition - , dass sie da Sachen abgelehnt haben, die sie besser vielleicht nicht abgelehnt hätten, wenn Sie etwa das Thema 'Eigenheimzulage' nehmen. Inzwischen sagt ja auch Herr Merz, dass man die dringend kürzen muss. Deswegen: Ich werde mit großen Blöcken kommen, Eigenheimzulage ist so ein Fall.

    Münchenberg: Sie werden auch selber konkrete Vorschläge machen - da muss das Messer angesetzt werden.

    Eichel: Ja, aber nicht so einfach, dass ich alles wieder auf den Tisch lege, was der Bundesrat abgelehnt hat. So kann es ja nicht gehen, sondern wenn dort jetzt ein Umdenkungsprozess begonnen hat, begrüße ich das außerordentlich, will auch gar nicht mehr nachkarten. Das hat ja für alle gar keinen Zweck, denn die Probleme, die wir haben, sind so gewaltig und betreffen alle Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - und die sozialen Sicherungssysteme, dass wir das sowieso nur in einer einzigen gemeinsamen Kraftanstrengung lösen können. Deswegen wollen wir nicht Zeit vergeuden mit Schlachten der Vergangenheit - die noch mal zu schlagen, ist unsinnig -, sondern besser konstruktiv nach vorne. Und ich habe den Eindruck, dass jedenfalls doch ein großer Teil auch in der CDU/CSU und bei den christdemokratisch geführten Ländern das auch begriffen hat. Ich hoffe, dass die Tendenz sich durchsetzt.

    Münchenberg: Trotzdem ist wieder jetzt von den ostdeutschen Ländern zu hören: Kürzung der Eigenheimzulage wird abgelehnt. Die SPD ist gegen eine Kürzung der Kohlesubvention, die Gewerkschaften sind empört, dass vielleicht an die steuerfreien Feiertags- und Nachtzuschläge herangegangen werden soll. Das hört sich immer noch nach den alten Grabenkämpfen an?!

    Eichel: Ja sicher, das wird alles Begleitmusik sein, die wir erleben werden. Aber wenn man ein Paket schnürt, bei dem alle und entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit dabei sind und nicht jeder sich dadurch schadlos hält, dass er dem anderen in die Tasche greift, dann denke ich, ist das auch überwindbar. Dann werden die Menschen das auch einsehen. Vielleicht werden sogar ganz am Schluss die Lobbyisten als Staatsbürger das auch begreifen.

    Münchenberg: Aber verstehe ich Sie richtig: Es gibt für Sie auch kein Tabu?

    Eichel: Es kann überhaupt kein Tabu geben, aber es gibt die Frage nach der Gerechtigkeit der Veranstaltung. Natürlich kann es nicht so sein, dass das alles bei den Schwächsten abgeladen wird.

    Münchenberg: Nun war ja in dieser Woche auch ein Punkt, über den gesprochen wurde, ein Haushaltssicherungsgesetz. Dieser Vorschlag kam wohl von der FDP, aber auch von den Grünen. Die Koalition hat das bislang, zumindest nach außen hin, brüsk zurückgewiesen. Was spricht denn dagegen? Da könnte man ja auch an die gesetzlich gesicherten Leistungen ran mit so einer Maßnahme.

    Eichel: Weil Schnellschüsse keinen Sinn machen. Das Problem, mit dem wir es zu tun haben, ist von einer Größenordnung, die es erforderlich macht, dass wir grundlegende strukturelle Entscheidungen treffen. Und die müssen zusammen mit dem Haushalt 2004 getroffen werden, so habe ich das dem Haushaltsausschuss auch erklärt. Mit der Vorlage werde ich auch überlegen, ob daraus einzelne Maßnahmen bereits nach 2003 vorgezogen werden können und vorgezogen werden sollen. Und die Vorschläge werde ich dann auch machen. Aber auch hier muss man auf eines achten: Wir sind in einer konjunkturell äußerst labilen Situation, und in einer solchen Situation gilt grundsätzlich, zunächst - so sehen das übrigens auch die Stabilitätswächter in Brüssel - , man muss die automatischen Stabilisatoren wirken lassen. Das heißt, durch die konjunkturelle Lage entstehende Einnahmeausfälle und die Belastung für den Arbeitsmarkt hinnehmen und zeitbefristet auch dann die höheren Schulden - so sehr mich das schmerzt, wie Sie verstehen werden. Das muss allerdings in der nächsten Aufschwungphase zu einer umso härterer Konsolidierung führen, um dann die Schulden wieder zurückzahlen zu können. Und deswegen: Hier hilft nicht jetzt kurzfristiger Aktionismus. Aber Sie können sicher sein, dass alles getan wird, damit Ausgaben, die vermeidbar sind, auch vermieden werden. Aber umgekehrt alles, was wir an Investitionen uns vorgenommen hatten, was wir uns vorgenommen hatten für die Zukunftsbilder - Kinderbetreuung oder Forschung und Entwicklung - auch gemacht wird, weil wir andernfalls ja die wirtschaftliche Entwicklung schädigen würden.

    Münchenberg: Nur, wenn Sie jetzt zum Beispiel bei den Subventionen ansetzen, dann wirkt sich das ja für die Menschen, wenn sie nicht entlastet werden auf der anderen Seite, indirekt wie eine Steuererhöhung aus. Es bleibt unter dem Strich weniger Geld im Portemonnaie. Könnte das nicht auch dann der labilen Konjunktur zusätzlich noch einen Schubs geben, einen negativen?

    Eichel: Also, wir werden die einzelnen Maßnahmen sehr sorgfältig abwägen vor diesem Hintergrund. Aber Sie müssen immer eines sehen: Steuervergünstigungen helfen ja nur einer kleinen Gruppe, aber alle anderen bezahlen es mit. Und deswegen macht das vernünftigerweise keinen Sinn. Und wenn das dann auch im nächsten Jahr ja zusammenfällt mit Steuersenkungen, die ja kommen und die wir auch genau so machen wollen, dann kann so etwas auch verträglich sein. Es geht - glaube ich - an der Stelle mehr darum, für die politische Klasse den Mut zu haben, das zu tun und für alle die Einsicht klar zu machen und zu verbreiten, dass jeder seinen Beitrag gemäß seiner Leistungsfähigkeit leisten muss, damit Staatseinnahmen und Staatsausgaben zum Einklang gebracht werden. Das heißt Kürzung der Staatsausgaben, und das heißt auch Subventionsabbau bei den Steuern.

    Münchenberg: Das heißt - Sie haben es eben gerade in einem kurzen Nebensatz erwähnt - , die Steuerreformstufen kommen 2004/2005 so, wie geplant, definitiv?

    Eichel: Sie stehen so im Gesetz, und ich möchte gerne. Das ist gegenwärtig ein Problem wegen der vielen Vorschläge, die in der Debatte rumschwirren - aber nicht von mir - , dass wir viel zu viele Steuerdiskussionen und dadurch auch viel zu viel Verunsicherung haben. Und es ist gut, wenn man sich an das hält, was im Gesetz steht.

    Münchenberg: Herr Minister, Sie haben gerade eben den Mut der Politik angesprochen. Aber wenn man sich jetzt die Debatte innerhalb der SPD - allein um die Agenda 2010 - anschaut, dann gewinnt man ja nicht gerade den Eindruck, dass auch die Regierungsparteien sehr mutig sind in der Umsetzung dessen, was seitens des Kanzlers vorgeschlagen wird. Das, was Sie angedeutet haben, auch bei den sozialen Sicherungssystemen, geht ja weit über die Agenda 2010 hinaus. Glauben Sie denn, die Politik hat den Mut, letztlich so weit auch zu gehen?

    Eichel: Nein, es geht nicht über die Agenda 2010 hinaus, sondern die Agenda 2010 hat ja die Felder beschrieben, um die es geht und hat in einigen Feldern bereits sehr konkrete Festlegungen getroffen, etwa bei der Gesundheitsreform. Bei der Rente zum Beispiel nicht, dafür ist die Rürup-Kommission da, dafür soll sie für die nachhaltige Finanzierbarkeit des Rentensystems Vorschläge machen. Und wenn die auf dem Tisch liegen, sind sie zu bewerten und ist darüber zu entscheiden. Das ist in der Agenda 2010 alles vorgesehen und . . .

    Münchenberg: . . . die Vorschläge liegen aber auf dem Tisch, und . . .

    Eichel: . . . nein, was diesen Teil betrifft, liegen sie ja noch nicht auf dem Tisch.

    Münchenberg: Was das Rentenalter zum Beispiel angeht, hat Rürup ja schon seine Vorschläge gemacht.

    Eichel: Ja. Aber das - haben wir gesagt, und das finde ich auch richtig - ist im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht das Thema, das man diskutieren muss. Wir haben ja heute das gesetzliche Renteneintrittsalter 65 Jahre. Das tatsächliche liegt bei 60. Und die erste Aufgabe der nächsten Jahre ist, das tatsächliche Renteneintrittsalter dem gesetzlichen anzupassen. ‹brigens: Jedes Jahr, das wir dort beim tatsächlichen Renteneintritt nach oben gehen und wirklich Schluss machen mit dem Unsinn der Frühverrentung, bringt uns eine Entlastung bei den Beiträgen um einen Punkt. Das ist eine gewaltige Sache. Und wenn wir das einigermaßen geschafft haben, dann kommt der Zeitpunkt, auch über das Renteneintrittsalter zu reden. Und selbstverständlich wird das in der Zukunft eine große Rolle spielen, denn es ist völlig klar: In einer Gesellschaft, in der die Menschen immer länger leben, wird auch - sonst ist das alles nicht finanzierbar - die Lebensarbeitszeit ausgedehnt werden müssen, übrigens nach zwei Seiten: Früher in den Beruf - und auch länger drin bleiben.

    Münchenberg: Herr Minister, die Konjunktur lahmt, die Steuereinnahmen sinken, die Schulden drohen zu explodieren, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wo Sie den Optimismus dennoch hernehmen, dass das Defizitkriterium im nächsten Jahr eingehalten werden kann.

    Eichel: Das ist eine Frage unserer eigenen Anstrengung, und selbstverständlich auch eine Frage, wie sich die Weltwirtschaft weiter entwickelt. Es gibt ja eine Reihe auch günstiger Faktoren. Die ÷lpreise sind jedenfalls nicht explodiert, wie viele vor dem Irak-Krieg angenommen haben . . .

    Münchenberg: . . . aber habe ich Sie richtig verstanden: Die Einhaltung des Defizitkriteriums 2004 steht unter dem Vorbehalt konjunktureller Entwicklung. Also wenn das Wachstum nicht in Schwung kommt, dann wird doch das Defizitkriterium nicht zu halten sein?

    Eichel: Darüber will ich jetzt gar nicht philosophieren. Aber ich sage: Jede Planung steht immer unter Annahmen. Und das heißt: Wachstumsannahmen um die zwei Prozent sind bisher die Grundlage für eine Planung, die uns nächstes Jahr wieder unter die drei Prozent zurückführt. Und wir sind ja in diese Lage geraten, weil die Wachstumsannahmen, die alle gehabt haben, nicht gestimmt haben. Das ist ja die Situation. Ich bin da als deutscher Finanzminister inzwischen in einer Lage wie der französische Finanzminister auch. Und die haben die Wiedervereinigung nicht gehabt. In vielen Ländern Europas ist der Swing viel größer in der Finanzpolitik - von ‹berschusshaushalten alle fast jetzt in defizitäre Haushalte. Wir Deutschen sind da - in einer äußerst schwierigen Lage - vergleichsweise ausgesprochen diszipliniert. Aber es ändert nichts daran: Wir haben die Grenze gerissen.

    Münchenberg: Nochmal: Einhaltung Defizit 2004 nicht um jeden Preis?

    Eichel: Wir tun alles, um es einzuhalten. Nur, ich sage noch einmal: Jede ökonomische Planung hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, und der liegt zugrunde eine Wachstumsannahme um die zwei Prozent real. Wenn wir nächstes Jahr Weltrezession hätten, was ich weder glaube noch hoffe, dann haben wir wieder eine gänzlich andere Lage. Es hat keinen Sinn, darüber zu spekulieren. Jedes Programm, das ist ja auch in Brüssel voll akzeptiert, jede Planung in Brüssel selber, jedes Programm, das dahin gemeldet wird von jedem Land, beruht immer auch auf Wachstumsannahmen.

    Münchenberg: Herr Minister, braucht denn die Europäische Union noch den Stabilitäts- und Wachstumspakt? Es geht eben nicht nur um Stabilität, es geht auch um Wachstum. Teilweise kommt jetzt die Kritik auf, dass das Wachstum gehemmt wird, weil das Hauptaugenmerk auf Stabilität gerichtet ist.

    Eichel: Nein, das Wachstum wird dadurch gar nicht gehemmt, sondern der Stabilitäts- und Wachstumspakt macht allerdings vollkommen klar, dass mit einer explodierenden Staatsverschuldung kein nachhaltiges Wachstum zu erreichen ist. Das ist Irrtum und Phantasielosigkeit derjenigen, denen immer nur eines einfällt: Immer mehr Schulden zu machen. Das haben wir ja nun hinreichend in der Vergangenheit gemacht. Japan hat das noch viel extremer gemacht, ohne Erfolg. Deswegen brauchen wir den Pakt, denn wir müssen uns immer wieder daran erinnern, dass einfaches Hineinsteuern in immer mehr Schulden die Zukunft verbaut und die Zukunft nicht öffnet.

    Münchenberg: Herr Minister, in dieser Woche wurde ja auch verstärkt über Deflationsgefahren diskutiert, sprich: Die Preise sinken, trotzdem wächst die Wirtschaft nicht - japanische Verhältnisse, um es verkürzt auszudrücken. Sie selber haben gesagt, das sei für Deutschland keinerlei Thema. Der Weltwährungsfond sieht das anders. Was macht Sie denn so sicher?

    Eichel: Der Weltwährungsfonds, übrigens Herr Köhler selbst, hat das inzwischen dementiert. Sicherheiten gibt es in dieser Welt überhaupt keine, wenn Sie überlegen, wie Prognosen ausgesehen haben und wie dann die Wirklichkeit ausgesehen hat. Aber wir haben in der Euro-Zone eine Inflationsrate von immer noch leicht über zwei Prozent. In Deutschland ist sie traditionell am niedrigsten, ungefähr bei 1 - 1,2 Prozent gegenwärtig. Und deswegen, und weil ja auch durchaus Tarifabschlüsse gemacht worden sind, die einen Zuwachs an Einkommen zum Beispiel beinhaltet haben, gehe ich nicht davon aus. Das ist übrigens die Position sowohl der Europäischen Zentralbank wie der EU-Kommission, es ist ja nicht nur meine - , dass wir nicht in eine Deflationsgefahr hineinrutschen. Aber es ist ganz gewiss so, dass wir alles daransetzen müssen - ich habe das ja vorhin deutlich gemacht - , dass wachstumsfördernde Politik auch von der Finanzpolitik zu unterstützen ist.

    Münchenberg: Ich muss trotzdem noch mal nachhaken. Sie sagten, die Inflationsrate im EU-Schnitt ist zwar relativ nicht hoch, aber liegt bei zwei Prozent. In Deutschland ist sie relativ niedrig. Die Deflationsgefahr - und da bezog sich meine Frage auch nur auf Deutschland - ob hier nicht hier eine Gefahr droht.

    Eichel: Nein, wir sind ja doch inzwischen voll integriert in den gemeinsamen Markt, und deswegen können Sie nicht sagen, dass die deutsche Wirtschaft für sich genommen in eine Deflation - das wird sie auch nicht tun - in eine Deflation hineingeraten wird. Wir haben, ich habe das ja eben gesagt, auch eine Reihe, ohne dass wir damit die Staatsverschuldung nennenswert belasten, von wachstumsfördernden Maßnahmen ergriffen. Und die zentrale Frage gegenwärtig übrigens ist ohnehin eher eine, die an die Psyche geht, nämlich: Gibt es wieder Zukunftsvertrauen? Es ist ja nicht so, dass das Geld im Land nicht da wäre. Es ist im großen Umfange da, es wird nicht ausgegeben. Es gibt gegenwärtig sehr viel Angstsparen. Und das müssen wir in einer großen gemeinsamen, auch übrigens psychologisch gut gemachten Kraftanstrengung auflösen.

    Münchenberg: Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, dass Sie gegenwärtig in der schwierigsten Phase als Finanzminister stehen?

    Eichel: Soweit ich bisher, also jetzt seit vier Jahren - Finanzministerjahren - erlebt habe - ja.

    Münchenberg: Und wenn es 2004 nicht klappen sollte, würden Sie dann auch Konsequenzen ziehen - wenn Sie sagen: Wir schaffen nicht das Defizitkriterium?

    Eichel: Das ist so ziemlich die gegenwärtig für mich uninteressanteste Frage, weil wir eine riesige Aufgabe vor uns haben. Natürlich muss man die mit Prinzipien angehen, die man auch durchhalten muss.